Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vor dem Feind kämpft, nun unversehrt nach Hause zurückkehren werde. Lebhaft
gedenken wir nun der Schilderungen unserer Väter, wie ihnen zu Muthe ge¬
wesen, als Paris zum ersten und zweiten Male den Einzug Deutscher Heere
erlebte. Ja, die alten Bilder und Schildereien in den Folianten unserer Bi¬
bliotheken, welche die Friedensfeste zu Ende des dreißigjährigen Krieges dar¬
stellen, schließen uns plötzlich verwandte Stimmungen auf.

Sowie dieser persönliche Antheil eines Jeden an dem gewaltigen Ereig
riß genossen ist, erwägt man die Nachricht selbst, ihre Folgen nach allen
Seiten. Die Bezwingung dieser Stadt hat ihres Gleichen nicht in der ganzen
Geschichte der Menschheit; nicht einmal in dem pH antasiebeschwingten Sagenkreise
irgend eines Volkes. Alles in der Belagerungskunst Erlebte, alles Erdichtete,
bleibt weit zurück hinter der Ausdauer, Klugheit und Todesverachtung, welche
bei Hunderttausenden zusammenwirken mußten, um die Belagerung von Paris
zu glücklichem Ende zu führen. Und so viel man über den harten Dienst un¬
serer Belagerungstruppen, ihre unvergleichliche Kaltblütigkeit und Tapferkeit,
die ungeheure Ausdehnung der Belagerungslinie und der belagerten Werke,
gelesen hat: so erfüllt doch erst die eigene Anschauung der Gegend, der
Kämpfer, der Schutzwehren und Machtmittel des Feindes mit der vollen Vor¬
stellung von der Größe der Arbeit, die gethan ward, von der Herrlichkeit
dieses Sieges. Drei volle Tage braucht ein rüstiges Wagenpferd, um den
Kreis zu umfahren, den unsere Belagerungstruppen schlössen. Und so hoch man
steigt, um von der Höhe aus über das Thal der Seine in die Ferne zu schauen,
nirgends reicht der Blick bis ans Ende des Durchmessers dieses Kreises. Die
Natur und die Kunst der Befestigung, in welcher die Franzosen von
jeher Meister waren, hatten Alles aufgeboten, um jeden Feind von
dem Herzen ihres Landes zurückzutreiben. Ein Gürtel großer bedeu¬
tender Festungen beschützte die Riesenstadt auf meilenweiten Umkreis.
Nur wenige Stellen unserer Linie waren annähernd so hoch gelegen,
wie die Schutzwehren des Feindes. Näher an der Stadt hatte ein
Menschenalter an einem zweiten ununterbrochenen Wall gearbeitet. Der
Wall und die Forts waren in den jüngsten Monaten des Verzweif¬
lungskampfes erheblich verstärkt worden. Ungewöhnlich reiche Vorräthe
hatte der belagerte Feind gesammelt. Seine Führer waren mit die tüchtigsten,
welche Frankreich in diesem Kriege uns gegenübergestellt hat. -- Diesen schier
unbezwinglichen Kreis von Festungen zu umschließen, zu besiegen, unternahm
ein Deutsches Heer, welches bei Beginn der Belagerung an Zahl dem belagerten
Feinde kaum gewachsen war, sich aber auf eine mindestens doppelte Meilen¬
zahl vertheilen mußte. An Schutzmitteln gegen das verheerende Feuer
der feindlichen Wurfgeschosse besaß es anfangs nichts als die Keller der ver¬
lassenen Häuser der Umgegend. Dennoch wirft es jeden, mit Uebermacht und


vor dem Feind kämpft, nun unversehrt nach Hause zurückkehren werde. Lebhaft
gedenken wir nun der Schilderungen unserer Väter, wie ihnen zu Muthe ge¬
wesen, als Paris zum ersten und zweiten Male den Einzug Deutscher Heere
erlebte. Ja, die alten Bilder und Schildereien in den Folianten unserer Bi¬
bliotheken, welche die Friedensfeste zu Ende des dreißigjährigen Krieges dar¬
stellen, schließen uns plötzlich verwandte Stimmungen auf.

Sowie dieser persönliche Antheil eines Jeden an dem gewaltigen Ereig
riß genossen ist, erwägt man die Nachricht selbst, ihre Folgen nach allen
Seiten. Die Bezwingung dieser Stadt hat ihres Gleichen nicht in der ganzen
Geschichte der Menschheit; nicht einmal in dem pH antasiebeschwingten Sagenkreise
irgend eines Volkes. Alles in der Belagerungskunst Erlebte, alles Erdichtete,
bleibt weit zurück hinter der Ausdauer, Klugheit und Todesverachtung, welche
bei Hunderttausenden zusammenwirken mußten, um die Belagerung von Paris
zu glücklichem Ende zu führen. Und so viel man über den harten Dienst un¬
serer Belagerungstruppen, ihre unvergleichliche Kaltblütigkeit und Tapferkeit,
die ungeheure Ausdehnung der Belagerungslinie und der belagerten Werke,
gelesen hat: so erfüllt doch erst die eigene Anschauung der Gegend, der
Kämpfer, der Schutzwehren und Machtmittel des Feindes mit der vollen Vor¬
stellung von der Größe der Arbeit, die gethan ward, von der Herrlichkeit
dieses Sieges. Drei volle Tage braucht ein rüstiges Wagenpferd, um den
Kreis zu umfahren, den unsere Belagerungstruppen schlössen. Und so hoch man
steigt, um von der Höhe aus über das Thal der Seine in die Ferne zu schauen,
nirgends reicht der Blick bis ans Ende des Durchmessers dieses Kreises. Die
Natur und die Kunst der Befestigung, in welcher die Franzosen von
jeher Meister waren, hatten Alles aufgeboten, um jeden Feind von
dem Herzen ihres Landes zurückzutreiben. Ein Gürtel großer bedeu¬
tender Festungen beschützte die Riesenstadt auf meilenweiten Umkreis.
Nur wenige Stellen unserer Linie waren annähernd so hoch gelegen,
wie die Schutzwehren des Feindes. Näher an der Stadt hatte ein
Menschenalter an einem zweiten ununterbrochenen Wall gearbeitet. Der
Wall und die Forts waren in den jüngsten Monaten des Verzweif¬
lungskampfes erheblich verstärkt worden. Ungewöhnlich reiche Vorräthe
hatte der belagerte Feind gesammelt. Seine Führer waren mit die tüchtigsten,
welche Frankreich in diesem Kriege uns gegenübergestellt hat. — Diesen schier
unbezwinglichen Kreis von Festungen zu umschließen, zu besiegen, unternahm
ein Deutsches Heer, welches bei Beginn der Belagerung an Zahl dem belagerten
Feinde kaum gewachsen war, sich aber auf eine mindestens doppelte Meilen¬
zahl vertheilen mußte. An Schutzmitteln gegen das verheerende Feuer
der feindlichen Wurfgeschosse besaß es anfangs nichts als die Keller der ver¬
lassenen Häuser der Umgegend. Dennoch wirft es jeden, mit Uebermacht und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125494"/>
          <p xml:id="ID_932" prev="#ID_931"> vor dem Feind kämpft, nun unversehrt nach Hause zurückkehren werde. Lebhaft<lb/>
gedenken wir nun der Schilderungen unserer Väter, wie ihnen zu Muthe ge¬<lb/>
wesen, als Paris zum ersten und zweiten Male den Einzug Deutscher Heere<lb/>
erlebte. Ja, die alten Bilder und Schildereien in den Folianten unserer Bi¬<lb/>
bliotheken, welche die Friedensfeste zu Ende des dreißigjährigen Krieges dar¬<lb/>
stellen, schließen uns plötzlich verwandte Stimmungen auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933" next="#ID_934"> Sowie dieser persönliche Antheil eines Jeden an dem gewaltigen Ereig<lb/>
riß genossen ist, erwägt man die Nachricht selbst, ihre Folgen nach allen<lb/>
Seiten. Die Bezwingung dieser Stadt hat ihres Gleichen nicht in der ganzen<lb/>
Geschichte der Menschheit; nicht einmal in dem pH antasiebeschwingten Sagenkreise<lb/>
irgend eines Volkes. Alles in der Belagerungskunst Erlebte, alles Erdichtete,<lb/>
bleibt weit zurück hinter der Ausdauer, Klugheit und Todesverachtung, welche<lb/>
bei Hunderttausenden zusammenwirken mußten, um die Belagerung von Paris<lb/>
zu glücklichem Ende zu führen. Und so viel man über den harten Dienst un¬<lb/>
serer Belagerungstruppen, ihre unvergleichliche Kaltblütigkeit und Tapferkeit,<lb/>
die ungeheure Ausdehnung der Belagerungslinie und der belagerten Werke,<lb/>
gelesen hat: so erfüllt doch erst die eigene Anschauung der Gegend, der<lb/>
Kämpfer, der Schutzwehren und Machtmittel des Feindes mit der vollen Vor¬<lb/>
stellung von der Größe der Arbeit, die gethan ward, von der Herrlichkeit<lb/>
dieses Sieges. Drei volle Tage braucht ein rüstiges Wagenpferd, um den<lb/>
Kreis zu umfahren, den unsere Belagerungstruppen schlössen. Und so hoch man<lb/>
steigt, um von der Höhe aus über das Thal der Seine in die Ferne zu schauen,<lb/>
nirgends reicht der Blick bis ans Ende des Durchmessers dieses Kreises. Die<lb/>
Natur und die Kunst der Befestigung, in welcher die Franzosen von<lb/>
jeher Meister waren, hatten Alles aufgeboten, um jeden Feind von<lb/>
dem Herzen ihres Landes zurückzutreiben. Ein Gürtel großer bedeu¬<lb/>
tender Festungen beschützte die Riesenstadt auf meilenweiten Umkreis.<lb/>
Nur wenige Stellen unserer Linie waren annähernd so hoch gelegen,<lb/>
wie die Schutzwehren des Feindes. Näher an der Stadt hatte ein<lb/>
Menschenalter an einem zweiten ununterbrochenen Wall gearbeitet. Der<lb/>
Wall und die Forts waren in den jüngsten Monaten des Verzweif¬<lb/>
lungskampfes erheblich verstärkt worden. Ungewöhnlich reiche Vorräthe<lb/>
hatte der belagerte Feind gesammelt. Seine Führer waren mit die tüchtigsten,<lb/>
welche Frankreich in diesem Kriege uns gegenübergestellt hat. &#x2014; Diesen schier<lb/>
unbezwinglichen Kreis von Festungen zu umschließen, zu besiegen, unternahm<lb/>
ein Deutsches Heer, welches bei Beginn der Belagerung an Zahl dem belagerten<lb/>
Feinde kaum gewachsen war, sich aber auf eine mindestens doppelte Meilen¬<lb/>
zahl vertheilen mußte. An Schutzmitteln gegen das verheerende Feuer<lb/>
der feindlichen Wurfgeschosse besaß es anfangs nichts als die Keller der ver¬<lb/>
lassenen Häuser der Umgegend. Dennoch wirft es jeden, mit Uebermacht und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] vor dem Feind kämpft, nun unversehrt nach Hause zurückkehren werde. Lebhaft gedenken wir nun der Schilderungen unserer Väter, wie ihnen zu Muthe ge¬ wesen, als Paris zum ersten und zweiten Male den Einzug Deutscher Heere erlebte. Ja, die alten Bilder und Schildereien in den Folianten unserer Bi¬ bliotheken, welche die Friedensfeste zu Ende des dreißigjährigen Krieges dar¬ stellen, schließen uns plötzlich verwandte Stimmungen auf. Sowie dieser persönliche Antheil eines Jeden an dem gewaltigen Ereig riß genossen ist, erwägt man die Nachricht selbst, ihre Folgen nach allen Seiten. Die Bezwingung dieser Stadt hat ihres Gleichen nicht in der ganzen Geschichte der Menschheit; nicht einmal in dem pH antasiebeschwingten Sagenkreise irgend eines Volkes. Alles in der Belagerungskunst Erlebte, alles Erdichtete, bleibt weit zurück hinter der Ausdauer, Klugheit und Todesverachtung, welche bei Hunderttausenden zusammenwirken mußten, um die Belagerung von Paris zu glücklichem Ende zu führen. Und so viel man über den harten Dienst un¬ serer Belagerungstruppen, ihre unvergleichliche Kaltblütigkeit und Tapferkeit, die ungeheure Ausdehnung der Belagerungslinie und der belagerten Werke, gelesen hat: so erfüllt doch erst die eigene Anschauung der Gegend, der Kämpfer, der Schutzwehren und Machtmittel des Feindes mit der vollen Vor¬ stellung von der Größe der Arbeit, die gethan ward, von der Herrlichkeit dieses Sieges. Drei volle Tage braucht ein rüstiges Wagenpferd, um den Kreis zu umfahren, den unsere Belagerungstruppen schlössen. Und so hoch man steigt, um von der Höhe aus über das Thal der Seine in die Ferne zu schauen, nirgends reicht der Blick bis ans Ende des Durchmessers dieses Kreises. Die Natur und die Kunst der Befestigung, in welcher die Franzosen von jeher Meister waren, hatten Alles aufgeboten, um jeden Feind von dem Herzen ihres Landes zurückzutreiben. Ein Gürtel großer bedeu¬ tender Festungen beschützte die Riesenstadt auf meilenweiten Umkreis. Nur wenige Stellen unserer Linie waren annähernd so hoch gelegen, wie die Schutzwehren des Feindes. Näher an der Stadt hatte ein Menschenalter an einem zweiten ununterbrochenen Wall gearbeitet. Der Wall und die Forts waren in den jüngsten Monaten des Verzweif¬ lungskampfes erheblich verstärkt worden. Ungewöhnlich reiche Vorräthe hatte der belagerte Feind gesammelt. Seine Führer waren mit die tüchtigsten, welche Frankreich in diesem Kriege uns gegenübergestellt hat. — Diesen schier unbezwinglichen Kreis von Festungen zu umschließen, zu besiegen, unternahm ein Deutsches Heer, welches bei Beginn der Belagerung an Zahl dem belagerten Feinde kaum gewachsen war, sich aber auf eine mindestens doppelte Meilen¬ zahl vertheilen mußte. An Schutzmitteln gegen das verheerende Feuer der feindlichen Wurfgeschosse besaß es anfangs nichts als die Keller der ver¬ lassenen Häuser der Umgegend. Dennoch wirft es jeden, mit Uebermacht und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/250>, abgerufen am 26.06.2024.