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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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hatte d!e Civilehe und konfessionslose Eommunalschulen eingeführt, es hatte
die Verwaltung der Stiftungen aus den Händen der Kirche befreit. Aehn-
liche Reformen waren auch in Württemberg längst geboten, allein die Demo¬
kratie hatte sich ihren ultramontanen Alliirten gegenüber verpflichtet, diese
Fragen nicht zu berühren, um den Frieden in der herrschenden großdeutschen
Partei nicht zu stören. Den Vortheil des Bündnisses zogen allein die Ka¬
tholiken. So kam es denn allmählig dahin, daß in Württemberg, welches seit
Jahrhunderten eine Burg des Protestantismus und der freien Forschung im
Süden gewesen, und seiner Zeit wesentlich der Unterstützung Preußens, gegen¬
über dem übermächtigen Oestreich, die Erhaltung seiner staatlichen Selbständig¬
keit und seiner so viel gerühmten alten Verfassung zu verdanken hatte, plötzlich
die ultramontane Partei in allen Zweigen des Staatslebens die Herrschaft
erlangte. Ihr gehörten die Präsidenten der beiden ständischen Körperschaften
an (der Präsident der Kammer der Standesherren war der Graf Rechberg,
der Bruder des östreichischen Staatsmanns von 1866, und bisher einer der
Hauptvermittler der östreichisch-katholischen Politik in Schwaben; als Präsi¬
dent der Abgeordnetenkammer aber fungirte der vorgenannte Probst, der
eben erst in der bekannten Denunciationssache gegen den verstorbenen Bischof
von Rottenburg eine so zweifelhafte Rolle gespielt hatte, die Seele aller
ultramontanen Umtriebe im Lande). Sie dominirte in dem zur ständigen Con-
trole der Regierung verfassungsmäßig bestellten engern ständischen Ausschuß,
sie hatte sogar die Majorität in der Kirchen- und Schulcommission der Ab¬
geordnetenkammer, deren Vorstand bezeichnend genug der Domcapitular von
Dannecker war, der päpstliche Hausprälat, welcher in den SOer Jahren
das berüchtigte Concordat in Rom vermittelt hatte.

Nur in der Negation gegen den nationalen Staat einig, konnten die
verschiedenen Elemente, welche die Majorität der Abgeordnetenkammer bildeten,
blos durch die Vermeidung jeder positiven Thätigkeit auf dem Gebiete der
Gesetzgebung den innern 'Zwiespalt unterdrücken. Es war damit von selbst
eine Politik des swws <zuo auch in allen inneren Fragen gegeben, welche sich
zunächst in einer Verschleppung der Gesetzesvorlagen, zu deren Erledigung
ein positives Programm nothwendig war, thatsächlich aber in einer völligen
Stagnation der gesammten Staatsthätigkeit äußerte. Um diese innere Lebens¬
unfähigkeit nach Außen zu verdecken, hatte man sich gegenseitig das Wort
gegeben, die Württembergischen Zustände unübertrefflich zu finden und solche
namentlich auch in den auswärtigen Frankfurter und Wiener Journalen ver¬
herrlichen zu lassen. Und doch ließ sich ohne Uebertreibung behaupten, daß
Württemberg im Lauf der Jahre aus allen Gebieten des Staatslebens weit
zurück geblieben war. Von dem wahrhaft chaotischen Zustand der Steuerge¬
setzgebung abgesehen, regelt ein veraltetes Preßgesetz vom Jahr 1807 die


Gmizlwtc" I. 187l. M

hatte d!e Civilehe und konfessionslose Eommunalschulen eingeführt, es hatte
die Verwaltung der Stiftungen aus den Händen der Kirche befreit. Aehn-
liche Reformen waren auch in Württemberg längst geboten, allein die Demo¬
kratie hatte sich ihren ultramontanen Alliirten gegenüber verpflichtet, diese
Fragen nicht zu berühren, um den Frieden in der herrschenden großdeutschen
Partei nicht zu stören. Den Vortheil des Bündnisses zogen allein die Ka¬
tholiken. So kam es denn allmählig dahin, daß in Württemberg, welches seit
Jahrhunderten eine Burg des Protestantismus und der freien Forschung im
Süden gewesen, und seiner Zeit wesentlich der Unterstützung Preußens, gegen¬
über dem übermächtigen Oestreich, die Erhaltung seiner staatlichen Selbständig¬
keit und seiner so viel gerühmten alten Verfassung zu verdanken hatte, plötzlich
die ultramontane Partei in allen Zweigen des Staatslebens die Herrschaft
erlangte. Ihr gehörten die Präsidenten der beiden ständischen Körperschaften
an (der Präsident der Kammer der Standesherren war der Graf Rechberg,
der Bruder des östreichischen Staatsmanns von 1866, und bisher einer der
Hauptvermittler der östreichisch-katholischen Politik in Schwaben; als Präsi¬
dent der Abgeordnetenkammer aber fungirte der vorgenannte Probst, der
eben erst in der bekannten Denunciationssache gegen den verstorbenen Bischof
von Rottenburg eine so zweifelhafte Rolle gespielt hatte, die Seele aller
ultramontanen Umtriebe im Lande). Sie dominirte in dem zur ständigen Con-
trole der Regierung verfassungsmäßig bestellten engern ständischen Ausschuß,
sie hatte sogar die Majorität in der Kirchen- und Schulcommission der Ab¬
geordnetenkammer, deren Vorstand bezeichnend genug der Domcapitular von
Dannecker war, der päpstliche Hausprälat, welcher in den SOer Jahren
das berüchtigte Concordat in Rom vermittelt hatte.

Nur in der Negation gegen den nationalen Staat einig, konnten die
verschiedenen Elemente, welche die Majorität der Abgeordnetenkammer bildeten,
blos durch die Vermeidung jeder positiven Thätigkeit auf dem Gebiete der
Gesetzgebung den innern 'Zwiespalt unterdrücken. Es war damit von selbst
eine Politik des swws <zuo auch in allen inneren Fragen gegeben, welche sich
zunächst in einer Verschleppung der Gesetzesvorlagen, zu deren Erledigung
ein positives Programm nothwendig war, thatsächlich aber in einer völligen
Stagnation der gesammten Staatsthätigkeit äußerte. Um diese innere Lebens¬
unfähigkeit nach Außen zu verdecken, hatte man sich gegenseitig das Wort
gegeben, die Württembergischen Zustände unübertrefflich zu finden und solche
namentlich auch in den auswärtigen Frankfurter und Wiener Journalen ver¬
herrlichen zu lassen. Und doch ließ sich ohne Uebertreibung behaupten, daß
Württemberg im Lauf der Jahre aus allen Gebieten des Staatslebens weit
zurück geblieben war. Von dem wahrhaft chaotischen Zustand der Steuerge¬
setzgebung abgesehen, regelt ein veraltetes Preßgesetz vom Jahr 1807 die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/237>, abgerufen am 28.09.2024.