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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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bildes. Er theilte vielmehr die freundlichere und bequemere ^Auffassung seines
verehrten klinischen Lehrers Dr. Ehrmann: die Studien wollen nicht allein
ernst und fleißig, sie wollen auch heiter und mit Geistesfreiheit behandelt werden.
Gern folgte er seinem Rathe, gab dem Körper Bewegung und durchstreifte
in fröhlicher Gesellschaft mehr als einmal das schöne Land zu Fuß und zu
Pferde. Bon zwei größeren Reisen gibt er uns selbst Bericht; die eine führte
ihn über die berühmte Zaberner Stiege nach Zabern; dann über Pfalzburg und
Lützelstein nach Saarbrücken, Bieses und Hagenau wieder zurück. Ein ander
Mal gings ins obere Elsaß; Colmar und Schlettstadt wurden besucht; in
dämmeriger Ferne zeigten sich die Thürme von Basel; verlockend winkte das
Blau der Schweizer Berge. Von vielen Höhen, von der Wasenburg und vom
Odilienberg, wie von dem Altan des Münsters aus, wo er oft im Kreise
heiterer Freunde mit gefüllten Römern die scheidende Sonne grüßte, sandte
er betrachtend und genießend immer wieder den Blick auf das weite Land
umher. -- Und ebensosehr interessirten ihn die Bewohner und die politischen
Zustände dieses Landes. Von dem Fenster seiner Wohnung schaute er in
manchen müßigen Augenblicken mit innigem Behagen auf das bunte Markt¬
gewühl zu seinen Füßen. Und er gehörte in der Stadt, wie er selbst gesteht,
zu den "Pflastertretern", zu den "wandelnden Müßiggängern", die mehr als
Bücher und Papier den lebendigen Verkehr mit thätigen und Vergnügsamen
Menschen liebten. Da mußte er denn bald unter dem Volk heimisch werden,
zumal einige seiner Tischgenossen, übrigens selbst mit Landesart und Sitte
wohl bekannt, den lebensfrischen, geselligen, geistvollen Studiosus in viele an¬
gesehene Familien in Stadt und Land mit Freuden einführten. Da brachte
er in der Predigerfamilie zu Sesenheim manchen schönen Sommertag zu; und
in lustigen Ausflügen diesseits und jenseits des Rheins, in Hagenau, Fort-
Louis, Philippsburg und an anderen Orten fand er all' die lieben Bekannten
in ihrem eigenen Daheim, die er vorher als Besucher des Sesenheimer Pfarr¬
hauses bei einander gesehen; jeder schloß gastfrei und liebenswürdig Küche
und Keller, Gärten und Weinberge, ja die ganze Gegend auf.

Sammeln wir die in Dichtung und Wahrheit, Buch 9 -- 11 zerstreuten
Züge zu einem Bilde von Land und Leuten im Elsaß vor 100 Jahren.

Kein größerer Gegensatz ist, als die elscissische Ebene und die daran gren¬
zenden wilden und rauhen Gebirgsgegenden von Ostlothringen. Elsaß schil¬
dert Goethe wie ein Paradies; von wo man es auch betrachten mag, immer
dieselbe herrliche, schöne, entzückende Ebene; ein heiteres, fruchtbares, fröhliches
Land mit seinen üppigen Matten und grünen Auen, von Büschen und Wäl¬
dern, Dörfern und Meierhöfen in bunter Abwechselung reich geschmückt. Am
reichsten ist das Land an den Ufern des Ill und des Rhein, dessen Wasser
von grünen Inseln und Ländern vielfach unterbrochen, silberglänzend das


bildes. Er theilte vielmehr die freundlichere und bequemere ^Auffassung seines
verehrten klinischen Lehrers Dr. Ehrmann: die Studien wollen nicht allein
ernst und fleißig, sie wollen auch heiter und mit Geistesfreiheit behandelt werden.
Gern folgte er seinem Rathe, gab dem Körper Bewegung und durchstreifte
in fröhlicher Gesellschaft mehr als einmal das schöne Land zu Fuß und zu
Pferde. Bon zwei größeren Reisen gibt er uns selbst Bericht; die eine führte
ihn über die berühmte Zaberner Stiege nach Zabern; dann über Pfalzburg und
Lützelstein nach Saarbrücken, Bieses und Hagenau wieder zurück. Ein ander
Mal gings ins obere Elsaß; Colmar und Schlettstadt wurden besucht; in
dämmeriger Ferne zeigten sich die Thürme von Basel; verlockend winkte das
Blau der Schweizer Berge. Von vielen Höhen, von der Wasenburg und vom
Odilienberg, wie von dem Altan des Münsters aus, wo er oft im Kreise
heiterer Freunde mit gefüllten Römern die scheidende Sonne grüßte, sandte
er betrachtend und genießend immer wieder den Blick auf das weite Land
umher. — Und ebensosehr interessirten ihn die Bewohner und die politischen
Zustände dieses Landes. Von dem Fenster seiner Wohnung schaute er in
manchen müßigen Augenblicken mit innigem Behagen auf das bunte Markt¬
gewühl zu seinen Füßen. Und er gehörte in der Stadt, wie er selbst gesteht,
zu den „Pflastertretern", zu den „wandelnden Müßiggängern", die mehr als
Bücher und Papier den lebendigen Verkehr mit thätigen und Vergnügsamen
Menschen liebten. Da mußte er denn bald unter dem Volk heimisch werden,
zumal einige seiner Tischgenossen, übrigens selbst mit Landesart und Sitte
wohl bekannt, den lebensfrischen, geselligen, geistvollen Studiosus in viele an¬
gesehene Familien in Stadt und Land mit Freuden einführten. Da brachte
er in der Predigerfamilie zu Sesenheim manchen schönen Sommertag zu; und
in lustigen Ausflügen diesseits und jenseits des Rheins, in Hagenau, Fort-
Louis, Philippsburg und an anderen Orten fand er all' die lieben Bekannten
in ihrem eigenen Daheim, die er vorher als Besucher des Sesenheimer Pfarr¬
hauses bei einander gesehen; jeder schloß gastfrei und liebenswürdig Küche
und Keller, Gärten und Weinberge, ja die ganze Gegend auf.

Sammeln wir die in Dichtung und Wahrheit, Buch 9 — 11 zerstreuten
Züge zu einem Bilde von Land und Leuten im Elsaß vor 100 Jahren.

Kein größerer Gegensatz ist, als die elscissische Ebene und die daran gren¬
zenden wilden und rauhen Gebirgsgegenden von Ostlothringen. Elsaß schil¬
dert Goethe wie ein Paradies; von wo man es auch betrachten mag, immer
dieselbe herrliche, schöne, entzückende Ebene; ein heiteres, fruchtbares, fröhliches
Land mit seinen üppigen Matten und grünen Auen, von Büschen und Wäl¬
dern, Dörfern und Meierhöfen in bunter Abwechselung reich geschmückt. Am
reichsten ist das Land an den Ufern des Ill und des Rhein, dessen Wasser
von grünen Inseln und Ländern vielfach unterbrochen, silberglänzend das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/23>, abgerufen am 26.06.2024.