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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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kirchhos, wo der Kampf begann, finden sich auch noch Darstellungen des
Drachenkampfs *).

Als modificirter Sonnengott mußte Se. Georg natürlich einen
Schimmel reiten und in der That sieht man ihn selten in anderer Weise dar¬
gestellt. Aber er zeigte sich auch als besonderer Schutzheiliger der Rosse
überhaupt und gilt als solcher noch heutzutage in den meisten Gegenden
Oberdeutschlands. Da versammeln sich am Se. Georgstage die Bauern
bei einer dem Heiligen geweihten Kapelle oft in so großer Zahl, daß an tau¬
send Rosse, Wagen und Gespanne um das Heiligthum im Kreise stehn. Man
lagert im Grünen beim Bier; der Geistliche predigt indeß in der Kapelle,
und wenn er damit fertig ist, so tritt er in die Thür und segnet die einzeln
herangeführten Rosse, indem er sie mit dem Weihwedel besprengt. Dieser
christliche Segen ist indeß nur eine oaptatio bknevolemtliiö, eine verschämte
kirchliche Zuthat des Festes. Die Hauptsache ist der "Georgiritt". Ohne
Sattel und Bügel schwingen sich die jungen Bursche auf ihre besten Pferde
und sprengen in vollem Laufe, feierlich jauchzend dreimal um die Kapelle.
Wie uralterthümlich heidnisch aber diese Sitte ist, beweist der Umstand, daß
mancherorts der Georgiritt nicht bei einem christlichen Gotteshause, sondern
um einen jener vielhundertjährigen Tingbäume stattfindet, die an alten Ge¬
richts- und Opferstätten noch heut hier und dort vom freien Hag die knorri¬
gen Riesenarme gen Himmel strecken. Da führt -- vollständig dem Franken¬
ritt um die Jrminsul entsprechend -- der " Georgiritt" um solchen Ting¬
baum, und ein in seinem Schatten stehender greiser Bauer bewirft die Rosse
mit feuchter Erde, die aus dem Wurzelgebiet des heiligen Baums gegraben
ist. Das schützt Roß und Reiter bis zum nächsten Lenz vor Krankheit, zumal
wenn man eine Hand voll solcher Heilerde mit heim nimmt und in einem
Säckchen im Noßstall aufhängt. -- Der Georgiritt ist ein schöner Rest
vom Frühlings gottesdienst des rossemächtigen Wodan-Sige-Georg.

Interessant ist, daß auch die großen englischen Wettrennen,
welche jetzt, soweit sie noch Frühlingsrennen sind, meist zu Pfingsten statt¬
finden, ursprünglich ebenfalls am Georgi-Tage gefeiert wurden. Die un¬
unterbrochene Reihe der berühmten Ehester Races, welche später in die erste
Maiwoche verlegt wurden, und deren Preise anfangs in drei Silberglocken
bestanden, wurden im Jahre 1610 für den Georgstag gestiftet. Und wenn
auch dieser jetzt in den Hintergrund getreten ist, die Lenz-Rennen, namentlich



") Auch in Mansfeld soll Se. Georg 'auf dem Schlosse gewohnt und am Schloßbeige
den Drachen getödtet haben. Er ist der Schutzpatron der Grafschaft und sein Bild prangtauf
allen Mansfeldischen Münzen. -- Bis l788 feierte man auch in Apolda durch feierlichen
Umzug einen Lindwurmtödter.

kirchhos, wo der Kampf begann, finden sich auch noch Darstellungen des
Drachenkampfs *).

Als modificirter Sonnengott mußte Se. Georg natürlich einen
Schimmel reiten und in der That sieht man ihn selten in anderer Weise dar¬
gestellt. Aber er zeigte sich auch als besonderer Schutzheiliger der Rosse
überhaupt und gilt als solcher noch heutzutage in den meisten Gegenden
Oberdeutschlands. Da versammeln sich am Se. Georgstage die Bauern
bei einer dem Heiligen geweihten Kapelle oft in so großer Zahl, daß an tau¬
send Rosse, Wagen und Gespanne um das Heiligthum im Kreise stehn. Man
lagert im Grünen beim Bier; der Geistliche predigt indeß in der Kapelle,
und wenn er damit fertig ist, so tritt er in die Thür und segnet die einzeln
herangeführten Rosse, indem er sie mit dem Weihwedel besprengt. Dieser
christliche Segen ist indeß nur eine oaptatio bknevolemtliiö, eine verschämte
kirchliche Zuthat des Festes. Die Hauptsache ist der „Georgiritt". Ohne
Sattel und Bügel schwingen sich die jungen Bursche auf ihre besten Pferde
und sprengen in vollem Laufe, feierlich jauchzend dreimal um die Kapelle.
Wie uralterthümlich heidnisch aber diese Sitte ist, beweist der Umstand, daß
mancherorts der Georgiritt nicht bei einem christlichen Gotteshause, sondern
um einen jener vielhundertjährigen Tingbäume stattfindet, die an alten Ge¬
richts- und Opferstätten noch heut hier und dort vom freien Hag die knorri¬
gen Riesenarme gen Himmel strecken. Da führt — vollständig dem Franken¬
ritt um die Jrminsul entsprechend — der „ Georgiritt" um solchen Ting¬
baum, und ein in seinem Schatten stehender greiser Bauer bewirft die Rosse
mit feuchter Erde, die aus dem Wurzelgebiet des heiligen Baums gegraben
ist. Das schützt Roß und Reiter bis zum nächsten Lenz vor Krankheit, zumal
wenn man eine Hand voll solcher Heilerde mit heim nimmt und in einem
Säckchen im Noßstall aufhängt. — Der Georgiritt ist ein schöner Rest
vom Frühlings gottesdienst des rossemächtigen Wodan-Sige-Georg.

Interessant ist, daß auch die großen englischen Wettrennen,
welche jetzt, soweit sie noch Frühlingsrennen sind, meist zu Pfingsten statt¬
finden, ursprünglich ebenfalls am Georgi-Tage gefeiert wurden. Die un¬
unterbrochene Reihe der berühmten Ehester Races, welche später in die erste
Maiwoche verlegt wurden, und deren Preise anfangs in drei Silberglocken
bestanden, wurden im Jahre 1610 für den Georgstag gestiftet. Und wenn
auch dieser jetzt in den Hintergrund getreten ist, die Lenz-Rennen, namentlich



") Auch in Mansfeld soll Se. Georg 'auf dem Schlosse gewohnt und am Schloßbeige
den Drachen getödtet haben. Er ist der Schutzpatron der Grafschaft und sein Bild prangtauf
allen Mansfeldischen Münzen. — Bis l788 feierte man auch in Apolda durch feierlichen
Umzug einen Lindwurmtödter.
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[0225] kirchhos, wo der Kampf begann, finden sich auch noch Darstellungen des Drachenkampfs *). Als modificirter Sonnengott mußte Se. Georg natürlich einen Schimmel reiten und in der That sieht man ihn selten in anderer Weise dar¬ gestellt. Aber er zeigte sich auch als besonderer Schutzheiliger der Rosse überhaupt und gilt als solcher noch heutzutage in den meisten Gegenden Oberdeutschlands. Da versammeln sich am Se. Georgstage die Bauern bei einer dem Heiligen geweihten Kapelle oft in so großer Zahl, daß an tau¬ send Rosse, Wagen und Gespanne um das Heiligthum im Kreise stehn. Man lagert im Grünen beim Bier; der Geistliche predigt indeß in der Kapelle, und wenn er damit fertig ist, so tritt er in die Thür und segnet die einzeln herangeführten Rosse, indem er sie mit dem Weihwedel besprengt. Dieser christliche Segen ist indeß nur eine oaptatio bknevolemtliiö, eine verschämte kirchliche Zuthat des Festes. Die Hauptsache ist der „Georgiritt". Ohne Sattel und Bügel schwingen sich die jungen Bursche auf ihre besten Pferde und sprengen in vollem Laufe, feierlich jauchzend dreimal um die Kapelle. Wie uralterthümlich heidnisch aber diese Sitte ist, beweist der Umstand, daß mancherorts der Georgiritt nicht bei einem christlichen Gotteshause, sondern um einen jener vielhundertjährigen Tingbäume stattfindet, die an alten Ge¬ richts- und Opferstätten noch heut hier und dort vom freien Hag die knorri¬ gen Riesenarme gen Himmel strecken. Da führt — vollständig dem Franken¬ ritt um die Jrminsul entsprechend — der „ Georgiritt" um solchen Ting¬ baum, und ein in seinem Schatten stehender greiser Bauer bewirft die Rosse mit feuchter Erde, die aus dem Wurzelgebiet des heiligen Baums gegraben ist. Das schützt Roß und Reiter bis zum nächsten Lenz vor Krankheit, zumal wenn man eine Hand voll solcher Heilerde mit heim nimmt und in einem Säckchen im Noßstall aufhängt. — Der Georgiritt ist ein schöner Rest vom Frühlings gottesdienst des rossemächtigen Wodan-Sige-Georg. Interessant ist, daß auch die großen englischen Wettrennen, welche jetzt, soweit sie noch Frühlingsrennen sind, meist zu Pfingsten statt¬ finden, ursprünglich ebenfalls am Georgi-Tage gefeiert wurden. Die un¬ unterbrochene Reihe der berühmten Ehester Races, welche später in die erste Maiwoche verlegt wurden, und deren Preise anfangs in drei Silberglocken bestanden, wurden im Jahre 1610 für den Georgstag gestiftet. Und wenn auch dieser jetzt in den Hintergrund getreten ist, die Lenz-Rennen, namentlich ") Auch in Mansfeld soll Se. Georg 'auf dem Schlosse gewohnt und am Schloßbeige den Drachen getödtet haben. Er ist der Schutzpatron der Grafschaft und sein Bild prangtauf allen Mansfeldischen Münzen. — Bis l788 feierte man auch in Apolda durch feierlichen Umzug einen Lindwurmtödter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/225>, abgerufen am 28.09.2024.