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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Jas Keese des Krieges.
(Kleine Beitrüge zu einer bestrittenen Lehre.)

V Ein Grundzug unseres Wesens, ja der tiefste Zug, der vielleicht über¬
haupt in demselben liegt, ist die Rechtlichkeit des deutschen Volkes. Es
mag sein, daß die Römer mehr Schärfe und die Franzosen mehr Beweglich¬
keit in ihre gesetzlichen Normen legten, aber mehr Sinn für das Recht,
mehr Bedürfniß nach demselben haben ohne Zweifel die Deutschen. Freilich
denkt man dabei zunächst an das Recht des Einzelnen und an friedliche Zu¬
stände; allein auch die Völker sind bestimmte Subjecte, die in der Gemein¬
schaft der übrigen Völker stehen; auch sie haben Rechte und Pflichten, und
der Rechtsstreit, der unter ihnen besteht, der durch das Gericht der Waffen
entschieden wird, ist der Krieg.

Daß es hier mit den Formen des Verfahrens nicht so genau genommen
wird, wie im bürgerlichen Processe, liegt auf der Hand; aber bestimmte For¬
men sind nichtsdestoweniger unter allen civilisirten Nationen vereinbart, und
wer zu denselben zählen will, ist daran gebunden. Man kann diese Summe
von Grundsätzen, die auch die bewaffnete Hand in Schranken halten, gewisser¬
maßen ein internationales Kriegsrecht nennen, bei dessen Aufrechthaltung
alle Mächte ein gleiches Interesse haben. Vielleicht ist auch für den
Laien von Bedeutung, den wesentlichsten Inhalt desselben zu kennen, und in
diesem Sinne leiten wir die folgende Darstellung ein. Niemand braucht sich
dabei zu fürchten, daß er in juristische Definitionen verwickelt wird; denn der
Lehrmeister, den wir wählen, wird das Beispiel der Erfahrung sein; an der
Hand der Erlebnisse sollen die einzelnen Begriffe erörtert werden.

Wenn wir vom "Recht" des Krieges sprechen, werden uns vielleicht
manche einwenden, ob denn überhaupt der Krieg ein "Recht" ist. Bei dieser
Frage müssen wir daher einen Augenblick verweilen, bevor wir auf das Ein-


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Jas Keese des Krieges.
(Kleine Beitrüge zu einer bestrittenen Lehre.)

V Ein Grundzug unseres Wesens, ja der tiefste Zug, der vielleicht über¬
haupt in demselben liegt, ist die Rechtlichkeit des deutschen Volkes. Es
mag sein, daß die Römer mehr Schärfe und die Franzosen mehr Beweglich¬
keit in ihre gesetzlichen Normen legten, aber mehr Sinn für das Recht,
mehr Bedürfniß nach demselben haben ohne Zweifel die Deutschen. Freilich
denkt man dabei zunächst an das Recht des Einzelnen und an friedliche Zu¬
stände; allein auch die Völker sind bestimmte Subjecte, die in der Gemein¬
schaft der übrigen Völker stehen; auch sie haben Rechte und Pflichten, und
der Rechtsstreit, der unter ihnen besteht, der durch das Gericht der Waffen
entschieden wird, ist der Krieg.

Daß es hier mit den Formen des Verfahrens nicht so genau genommen
wird, wie im bürgerlichen Processe, liegt auf der Hand; aber bestimmte For¬
men sind nichtsdestoweniger unter allen civilisirten Nationen vereinbart, und
wer zu denselben zählen will, ist daran gebunden. Man kann diese Summe
von Grundsätzen, die auch die bewaffnete Hand in Schranken halten, gewisser¬
maßen ein internationales Kriegsrecht nennen, bei dessen Aufrechthaltung
alle Mächte ein gleiches Interesse haben. Vielleicht ist auch für den
Laien von Bedeutung, den wesentlichsten Inhalt desselben zu kennen, und in
diesem Sinne leiten wir die folgende Darstellung ein. Niemand braucht sich
dabei zu fürchten, daß er in juristische Definitionen verwickelt wird; denn der
Lehrmeister, den wir wählen, wird das Beispiel der Erfahrung sein; an der
Hand der Erlebnisse sollen die einzelnen Begriffe erörtert werden.

Wenn wir vom „Recht" des Krieges sprechen, werden uns vielleicht
manche einwenden, ob denn überhaupt der Krieg ein „Recht" ist. Bei dieser
Frage müssen wir daher einen Augenblick verweilen, bevor wir auf das Ein-


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[0213] Jas Keese des Krieges. (Kleine Beitrüge zu einer bestrittenen Lehre.) V Ein Grundzug unseres Wesens, ja der tiefste Zug, der vielleicht über¬ haupt in demselben liegt, ist die Rechtlichkeit des deutschen Volkes. Es mag sein, daß die Römer mehr Schärfe und die Franzosen mehr Beweglich¬ keit in ihre gesetzlichen Normen legten, aber mehr Sinn für das Recht, mehr Bedürfniß nach demselben haben ohne Zweifel die Deutschen. Freilich denkt man dabei zunächst an das Recht des Einzelnen und an friedliche Zu¬ stände; allein auch die Völker sind bestimmte Subjecte, die in der Gemein¬ schaft der übrigen Völker stehen; auch sie haben Rechte und Pflichten, und der Rechtsstreit, der unter ihnen besteht, der durch das Gericht der Waffen entschieden wird, ist der Krieg. Daß es hier mit den Formen des Verfahrens nicht so genau genommen wird, wie im bürgerlichen Processe, liegt auf der Hand; aber bestimmte For¬ men sind nichtsdestoweniger unter allen civilisirten Nationen vereinbart, und wer zu denselben zählen will, ist daran gebunden. Man kann diese Summe von Grundsätzen, die auch die bewaffnete Hand in Schranken halten, gewisser¬ maßen ein internationales Kriegsrecht nennen, bei dessen Aufrechthaltung alle Mächte ein gleiches Interesse haben. Vielleicht ist auch für den Laien von Bedeutung, den wesentlichsten Inhalt desselben zu kennen, und in diesem Sinne leiten wir die folgende Darstellung ein. Niemand braucht sich dabei zu fürchten, daß er in juristische Definitionen verwickelt wird; denn der Lehrmeister, den wir wählen, wird das Beispiel der Erfahrung sein; an der Hand der Erlebnisse sollen die einzelnen Begriffe erörtert werden. Wenn wir vom „Recht" des Krieges sprechen, werden uns vielleicht manche einwenden, ob denn überhaupt der Krieg ein „Recht" ist. Bei dieser Frage müssen wir daher einen Augenblick verweilen, bevor wir auf das Ein- 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/213>, abgerufen am 29.06.2024.