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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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preußischen Polen zu documentiren. Und da in letzter Zeit von den Lem-
berger und Krakauer nationalen so lebhafte Demonstrationen zu Gunsten der
französischen Republik erfolgt waren, durfte die parallele Kundgebung von
diesseits nicht ausbleiben.

Im Uebrigen erklärt das tonangebende Blatt der preußischen Polen die
ewigen, der Veränderungslust des Stammes schon nicht mehr recht zusagenden
Proteste der Landboten noch dadurch, daß den Polen Deutschland gegenüber
die Rolle zufalle, welche in Gegenwart des Königs Darius der von den
Athenern papageiende Sklav gehabt habe. Der Vergleich ist wenig schmei¬
chelhaft. Wenn man ihn dem näherliegenden Anführen des ceterum eensso
vorgezogen hat, so liegt eben darin ein Beweis, daß sich die unruhigen Op¬
ponenten von Warthe und Weichsel ihres Mangels an Catonischer Haltung
wohl bewußt sind. Für die Reichstagswahlen schlägt das maßgebende Organ
den Posener Polen vor, nicht wie bisher gebildete Männer, die der Deutschen
Sprache mächtig sind, nach Berlin zu senden; vielmehr soll man alle die¬
jenigen, aus Ländern der ehemaligen Republik Polen stammenden Menschen,
welche durch Zufall das Bürgerrecht eines Deutschen Staats erlangt haben,
zusammensuchen, koste es was es wolle, bis man die nöthige Candidaten-
anzahl vereinigt habe; diese ganz ohne Rücksicht auf persönliche Vergangen¬
heit und politische Befähigung gewählten, und von Wilna und Warschau,
vom Dniepr und Dniestr her gebürtigen Abgeordneten des unter dem
Scepter des Deutschen Kaisers befindlichen Bruchtheils der polnischen
Nation, sollen die unzerstörbare Zusammengehörigkeit derselben darstellen. In
Berlin werden sie weiter nichts zu thun haben, als im Nationalcostüm einen
Protest gegen die Einverleibung von Posen und Westpreußen ins Deutsche
Reich auf den Präsidententisch des Deutschen Reichstags niederzulegen. Deutsch
soll blos einer verstehen, und dieser nur zu de in Zweck, um den gemeinsamen
Schritt seiner Kollegen bei Kaiser Wilhelm in feierlicher Audienz zu moti-
viren, umgeben von seinen theatralisch aufgeputzten Landsleuten. Und davon
verspricht man- sich Eindruck. Denn, so sagen sie: Friedrich Wilhelm IV.
war im Grunde seines Herzens der Wiederherstellung Polens wohl geneigt.

Wir haben also in Berlin große Dinge und zunächst bedeutende Schau¬
spiele zu erwarten. Nachdem die chinesische Gesandtschaft verschwunden ist,
wird etwas polnischer Nationalputz ganz angenehm die Monotonie von Cy¬
linder und Ueberzieher auf unseren Straßen unterbrechen.

Uebrigens ist die polnische Wahlagitation sehr rege, weit lebhafter, als
diejenige der verschiedenen Deutschen Parteien. Von letzteren hat die national¬
liberale Richtung kürzlich ihren Landesausschuß in unseren Mauern gesehen.
Die Wahlresultate für diese Partei versprechen den aus allen Gegenden, auch
aus Süddeutschland, eingehenden Nachrichten zu Folge, sehr günstig zu wer,-


Grenzboten I. 1871. 24

preußischen Polen zu documentiren. Und da in letzter Zeit von den Lem-
berger und Krakauer nationalen so lebhafte Demonstrationen zu Gunsten der
französischen Republik erfolgt waren, durfte die parallele Kundgebung von
diesseits nicht ausbleiben.

Im Uebrigen erklärt das tonangebende Blatt der preußischen Polen die
ewigen, der Veränderungslust des Stammes schon nicht mehr recht zusagenden
Proteste der Landboten noch dadurch, daß den Polen Deutschland gegenüber
die Rolle zufalle, welche in Gegenwart des Königs Darius der von den
Athenern papageiende Sklav gehabt habe. Der Vergleich ist wenig schmei¬
chelhaft. Wenn man ihn dem näherliegenden Anführen des ceterum eensso
vorgezogen hat, so liegt eben darin ein Beweis, daß sich die unruhigen Op¬
ponenten von Warthe und Weichsel ihres Mangels an Catonischer Haltung
wohl bewußt sind. Für die Reichstagswahlen schlägt das maßgebende Organ
den Posener Polen vor, nicht wie bisher gebildete Männer, die der Deutschen
Sprache mächtig sind, nach Berlin zu senden; vielmehr soll man alle die¬
jenigen, aus Ländern der ehemaligen Republik Polen stammenden Menschen,
welche durch Zufall das Bürgerrecht eines Deutschen Staats erlangt haben,
zusammensuchen, koste es was es wolle, bis man die nöthige Candidaten-
anzahl vereinigt habe; diese ganz ohne Rücksicht auf persönliche Vergangen¬
heit und politische Befähigung gewählten, und von Wilna und Warschau,
vom Dniepr und Dniestr her gebürtigen Abgeordneten des unter dem
Scepter des Deutschen Kaisers befindlichen Bruchtheils der polnischen
Nation, sollen die unzerstörbare Zusammengehörigkeit derselben darstellen. In
Berlin werden sie weiter nichts zu thun haben, als im Nationalcostüm einen
Protest gegen die Einverleibung von Posen und Westpreußen ins Deutsche
Reich auf den Präsidententisch des Deutschen Reichstags niederzulegen. Deutsch
soll blos einer verstehen, und dieser nur zu de in Zweck, um den gemeinsamen
Schritt seiner Kollegen bei Kaiser Wilhelm in feierlicher Audienz zu moti-
viren, umgeben von seinen theatralisch aufgeputzten Landsleuten. Und davon
verspricht man- sich Eindruck. Denn, so sagen sie: Friedrich Wilhelm IV.
war im Grunde seines Herzens der Wiederherstellung Polens wohl geneigt.

Wir haben also in Berlin große Dinge und zunächst bedeutende Schau¬
spiele zu erwarten. Nachdem die chinesische Gesandtschaft verschwunden ist,
wird etwas polnischer Nationalputz ganz angenehm die Monotonie von Cy¬
linder und Ueberzieher auf unseren Straßen unterbrechen.

Uebrigens ist die polnische Wahlagitation sehr rege, weit lebhafter, als
diejenige der verschiedenen Deutschen Parteien. Von letzteren hat die national¬
liberale Richtung kürzlich ihren Landesausschuß in unseren Mauern gesehen.
Die Wahlresultate für diese Partei versprechen den aus allen Gegenden, auch
aus Süddeutschland, eingehenden Nachrichten zu Folge, sehr günstig zu wer,-


Grenzboten I. 1871. 24
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[0193] preußischen Polen zu documentiren. Und da in letzter Zeit von den Lem- berger und Krakauer nationalen so lebhafte Demonstrationen zu Gunsten der französischen Republik erfolgt waren, durfte die parallele Kundgebung von diesseits nicht ausbleiben. Im Uebrigen erklärt das tonangebende Blatt der preußischen Polen die ewigen, der Veränderungslust des Stammes schon nicht mehr recht zusagenden Proteste der Landboten noch dadurch, daß den Polen Deutschland gegenüber die Rolle zufalle, welche in Gegenwart des Königs Darius der von den Athenern papageiende Sklav gehabt habe. Der Vergleich ist wenig schmei¬ chelhaft. Wenn man ihn dem näherliegenden Anführen des ceterum eensso vorgezogen hat, so liegt eben darin ein Beweis, daß sich die unruhigen Op¬ ponenten von Warthe und Weichsel ihres Mangels an Catonischer Haltung wohl bewußt sind. Für die Reichstagswahlen schlägt das maßgebende Organ den Posener Polen vor, nicht wie bisher gebildete Männer, die der Deutschen Sprache mächtig sind, nach Berlin zu senden; vielmehr soll man alle die¬ jenigen, aus Ländern der ehemaligen Republik Polen stammenden Menschen, welche durch Zufall das Bürgerrecht eines Deutschen Staats erlangt haben, zusammensuchen, koste es was es wolle, bis man die nöthige Candidaten- anzahl vereinigt habe; diese ganz ohne Rücksicht auf persönliche Vergangen¬ heit und politische Befähigung gewählten, und von Wilna und Warschau, vom Dniepr und Dniestr her gebürtigen Abgeordneten des unter dem Scepter des Deutschen Kaisers befindlichen Bruchtheils der polnischen Nation, sollen die unzerstörbare Zusammengehörigkeit derselben darstellen. In Berlin werden sie weiter nichts zu thun haben, als im Nationalcostüm einen Protest gegen die Einverleibung von Posen und Westpreußen ins Deutsche Reich auf den Präsidententisch des Deutschen Reichstags niederzulegen. Deutsch soll blos einer verstehen, und dieser nur zu de in Zweck, um den gemeinsamen Schritt seiner Kollegen bei Kaiser Wilhelm in feierlicher Audienz zu moti- viren, umgeben von seinen theatralisch aufgeputzten Landsleuten. Und davon verspricht man- sich Eindruck. Denn, so sagen sie: Friedrich Wilhelm IV. war im Grunde seines Herzens der Wiederherstellung Polens wohl geneigt. Wir haben also in Berlin große Dinge und zunächst bedeutende Schau¬ spiele zu erwarten. Nachdem die chinesische Gesandtschaft verschwunden ist, wird etwas polnischer Nationalputz ganz angenehm die Monotonie von Cy¬ linder und Ueberzieher auf unseren Straßen unterbrechen. Uebrigens ist die polnische Wahlagitation sehr rege, weit lebhafter, als diejenige der verschiedenen Deutschen Parteien. Von letzteren hat die national¬ liberale Richtung kürzlich ihren Landesausschuß in unseren Mauern gesehen. Die Wahlresultate für diese Partei versprechen den aus allen Gegenden, auch aus Süddeutschland, eingehenden Nachrichten zu Folge, sehr günstig zu wer,- Grenzboten I. 1871. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/193>, abgerufen am 23.07.2024.