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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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nicht concentrirt. Nicht ein einziges Armeecorps stand vollständig ausgerüstet.
Das war eine arge und zugleich bittere Enttäuschung.*) --

Dabei war das Kundschafts- und Spionirwesen herzlich schlecht, denn,
da namentlich letzteres Geld kostete, dieses aber nur von der Intendantur zu
beziehen war, so galt diese hier abermals als der allgemeine Hemmschuh.
Man stand der Grenze bereits nahe, man holte schon zum Schlage aus, und
wußte nicht einmal, wo und wie stark man den Gegner vor sich hatte.

Das ungefähr waren die Grundzüge der Verwaltung. Wir gelangen
nun zur Dritten im Bunde: zur Heerführung.

Der Kaiser, so gern seinem ihm so weit überlegenen Ohm nachahmend, ja
sogar im Kleinlichen nicht selten nachäffend, wollte jetzt auch wie dieser den
Feldherrn spielen, zu dem er nichts weniger als geschaffen war. Bereits hatte
er im italienischen Feldzuge Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu sammeln,
und darüber weitere Betrachtungen anzustellen. Doch das blieb seine Sache,
und mit der Uebernahme des Obercommandos wälzte er auch die Verant¬
wortung in Betreff des Ausganges auf sich.

Auch hier hatte Marschall Niet, obgleich er schon in das Gefilde der
Todten hinübergewandert war, seine Hand insofern noch im Spiele, als er
zu seinen Lebzeiten über den längst projectirten Siegeszug über den Rhein
viel mit seinem kaiserlichen Herrn conferirt hatte. Die darauf abzielenden
Projecte waren nicht nur häufig besprochen, und beiderseitig in Erwägung ge¬
zogen worden, sondern der Marschall hatte auch einen Plan im Allgemeinen
ausgearbeitet. Dieser war dem Kaiser am gegenwärtigsten. Er that damit
sehr geheim, und nur im engsten Vertrauen besprach er ihn kurz vor der
Kriegserklärung mit dem Marschall Leboeuf und dem General Cafe ei¬
ne an. Nun bleibt es aber ein gewaltiger Unterschied: ob man einen so
Vieles umfassenden Plan selbst, aus dem Fundament heraus, aufgebaut hat,
oder ob man sich in einen bereits entworfenen hineindenken, ja hineinleben
soll. Letzteres war hier der Fall. Wenn dem wirklich so ist, wie von glaub¬
würdiger Seite angenommen wurde, so blieb Denen, die danach ihre Ma߬
nahmen treffen sollten, viel zu wenig Zeit dazu.

So lange man auch vorher gegrübelt und gezaudert hatte, den entschei¬
denden Schritt zu wagen, so sehr überstürzte man sich jetzt in der Ausführung;
und der sonst so ruhige und bedächtig erwägende Cäsar wurde von einem
Feuereifer durchglüht, wie er sonst seinem verschlossenen Wesen fremd war.
Diese Lohe schlug auch in den Herzen des Heeres und des Volkes auf, und
von da stieg die Hitze in die Köpfe, durch die der Rest des kühlen Verstandes



") Aus der den Inspirationen des Kaisers Napoleon zugeschriebenen Schrift- "Oam-
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"ttÄvIiü 1'sol-in",M' Fguörnl. ZZi'nxsIlss."
Grenzboten 7. 1871. 23

nicht concentrirt. Nicht ein einziges Armeecorps stand vollständig ausgerüstet.
Das war eine arge und zugleich bittere Enttäuschung.*) —

Dabei war das Kundschafts- und Spionirwesen herzlich schlecht, denn,
da namentlich letzteres Geld kostete, dieses aber nur von der Intendantur zu
beziehen war, so galt diese hier abermals als der allgemeine Hemmschuh.
Man stand der Grenze bereits nahe, man holte schon zum Schlage aus, und
wußte nicht einmal, wo und wie stark man den Gegner vor sich hatte.

Das ungefähr waren die Grundzüge der Verwaltung. Wir gelangen
nun zur Dritten im Bunde: zur Heerführung.

Der Kaiser, so gern seinem ihm so weit überlegenen Ohm nachahmend, ja
sogar im Kleinlichen nicht selten nachäffend, wollte jetzt auch wie dieser den
Feldherrn spielen, zu dem er nichts weniger als geschaffen war. Bereits hatte
er im italienischen Feldzuge Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu sammeln,
und darüber weitere Betrachtungen anzustellen. Doch das blieb seine Sache,
und mit der Uebernahme des Obercommandos wälzte er auch die Verant¬
wortung in Betreff des Ausganges auf sich.

Auch hier hatte Marschall Niet, obgleich er schon in das Gefilde der
Todten hinübergewandert war, seine Hand insofern noch im Spiele, als er
zu seinen Lebzeiten über den längst projectirten Siegeszug über den Rhein
viel mit seinem kaiserlichen Herrn conferirt hatte. Die darauf abzielenden
Projecte waren nicht nur häufig besprochen, und beiderseitig in Erwägung ge¬
zogen worden, sondern der Marschall hatte auch einen Plan im Allgemeinen
ausgearbeitet. Dieser war dem Kaiser am gegenwärtigsten. Er that damit
sehr geheim, und nur im engsten Vertrauen besprach er ihn kurz vor der
Kriegserklärung mit dem Marschall Leboeuf und dem General Cafe ei¬
ne an. Nun bleibt es aber ein gewaltiger Unterschied: ob man einen so
Vieles umfassenden Plan selbst, aus dem Fundament heraus, aufgebaut hat,
oder ob man sich in einen bereits entworfenen hineindenken, ja hineinleben
soll. Letzteres war hier der Fall. Wenn dem wirklich so ist, wie von glaub¬
würdiger Seite angenommen wurde, so blieb Denen, die danach ihre Ma߬
nahmen treffen sollten, viel zu wenig Zeit dazu.

So lange man auch vorher gegrübelt und gezaudert hatte, den entschei¬
denden Schritt zu wagen, so sehr überstürzte man sich jetzt in der Ausführung;
und der sonst so ruhige und bedächtig erwägende Cäsar wurde von einem
Feuereifer durchglüht, wie er sonst seinem verschlossenen Wesen fremd war.
Diese Lohe schlug auch in den Herzen des Heeres und des Volkes auf, und
von da stieg die Hitze in die Köpfe, durch die der Rest des kühlen Verstandes



") Aus der den Inspirationen des Kaisers Napoleon zugeschriebenen Schrift- „Oam-
p-lAllö <1v 1870. Dos vimsW «mi gut Amor6 1a OapitulÄtion Sö Noäsn, par un vKolox
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[0185] nicht concentrirt. Nicht ein einziges Armeecorps stand vollständig ausgerüstet. Das war eine arge und zugleich bittere Enttäuschung.*) — Dabei war das Kundschafts- und Spionirwesen herzlich schlecht, denn, da namentlich letzteres Geld kostete, dieses aber nur von der Intendantur zu beziehen war, so galt diese hier abermals als der allgemeine Hemmschuh. Man stand der Grenze bereits nahe, man holte schon zum Schlage aus, und wußte nicht einmal, wo und wie stark man den Gegner vor sich hatte. Das ungefähr waren die Grundzüge der Verwaltung. Wir gelangen nun zur Dritten im Bunde: zur Heerführung. Der Kaiser, so gern seinem ihm so weit überlegenen Ohm nachahmend, ja sogar im Kleinlichen nicht selten nachäffend, wollte jetzt auch wie dieser den Feldherrn spielen, zu dem er nichts weniger als geschaffen war. Bereits hatte er im italienischen Feldzuge Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu sammeln, und darüber weitere Betrachtungen anzustellen. Doch das blieb seine Sache, und mit der Uebernahme des Obercommandos wälzte er auch die Verant¬ wortung in Betreff des Ausganges auf sich. Auch hier hatte Marschall Niet, obgleich er schon in das Gefilde der Todten hinübergewandert war, seine Hand insofern noch im Spiele, als er zu seinen Lebzeiten über den längst projectirten Siegeszug über den Rhein viel mit seinem kaiserlichen Herrn conferirt hatte. Die darauf abzielenden Projecte waren nicht nur häufig besprochen, und beiderseitig in Erwägung ge¬ zogen worden, sondern der Marschall hatte auch einen Plan im Allgemeinen ausgearbeitet. Dieser war dem Kaiser am gegenwärtigsten. Er that damit sehr geheim, und nur im engsten Vertrauen besprach er ihn kurz vor der Kriegserklärung mit dem Marschall Leboeuf und dem General Cafe ei¬ ne an. Nun bleibt es aber ein gewaltiger Unterschied: ob man einen so Vieles umfassenden Plan selbst, aus dem Fundament heraus, aufgebaut hat, oder ob man sich in einen bereits entworfenen hineindenken, ja hineinleben soll. Letzteres war hier der Fall. Wenn dem wirklich so ist, wie von glaub¬ würdiger Seite angenommen wurde, so blieb Denen, die danach ihre Ma߬ nahmen treffen sollten, viel zu wenig Zeit dazu. So lange man auch vorher gegrübelt und gezaudert hatte, den entschei¬ denden Schritt zu wagen, so sehr überstürzte man sich jetzt in der Ausführung; und der sonst so ruhige und bedächtig erwägende Cäsar wurde von einem Feuereifer durchglüht, wie er sonst seinem verschlossenen Wesen fremd war. Diese Lohe schlug auch in den Herzen des Heeres und des Volkes auf, und von da stieg die Hitze in die Köpfe, durch die der Rest des kühlen Verstandes ") Aus der den Inspirationen des Kaisers Napoleon zugeschriebenen Schrift- „Oam- p-lAllö <1v 1870. Dos vimsW «mi gut Amor6 1a OapitulÄtion Sö Noäsn, par un vKolox »ttÄvIiü 1'sol-in»,M' Fguörnl. ZZi'nxsIlss." Grenzboten 7. 1871. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/185>, abgerufen am 23.07.2024.