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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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lich reZiten müsse, und so entschuldigt er sich denn z. B. im Erzgebirge sehr
ausdrücklich:


"Ich komme geschritten;
Hätt ich ein Pferdlein,
so käm ich geritten.
Ich hab wohl ein's im Stalle stehen,
aber es kann nicht über die Schwelle gehen*)."

Die Zähigkeit, mit welcher das Volk beim Umzüge des Schimmelreiters
die Erinnerung an die alten Götter festhielt, mußte frühzeitig die Kirche ver¬
anlassen, sich der altgewohnten Formen zu bemächtigen und ihnen eine christ¬
liche Gestalt zu substituiren. -- Dazu bot sich am natürlichsten ein schon
vorhandener Nachfolger Wodan's in der christlichen Mythologie dar, dessen
Fest kurz vor der Wintersonnenwende, auf den 6. December, fällt, nämlich der
heilige Nikolaus.

Die ursprüngliche Verbindung dieses Heiligen, der ein frommer venezia¬
nischer Bischof war, mit Wodan hatte freilich mit nichts weniger zu thun,
als mit dem heiteren Glänze weihnachtlicher Freude. Es war der Name
des Bischofs, der ihm seine Bedeutung verlieh. Das griechische Wort "Niko-
laos" bedeutet nämlich "Volksbesieger" und war ein Beinamen Pluto's, des
Gottes der Unterwelt, weil der Tod ja alle Völker besiegt. Dasselbe Prä-
dicat eignete sich aber auch vortrefflich für Wodan, erstlich als Schlachtengott,
dann aber auch als Wintergott. Denn als solcher sitzt Wodan, dem Volks¬
glauben zufolge, vor dem Zeitpunkt des Neulichts, also am 6. December,
dem Nikolaostage, allerdings noch unterirdisch im Hügel und sammelt hier
-- wie wir später noch ersehen werden -- als Fürst der Todten, als Herr¬
scher in der Unterwelt ein großes Heer, um mit dem Neulicht hervorzubrechen
aus der Tiefe und erst im Sturm, bald aber als Sonnensieger über die er¬
wachende Erde zu ziehen.

Vor der Wintersonnenwende entsprach Wodan somit wirklich demPluto-
Nikolaos. Und so errichtete denn die Kirche dicht vor Weihnachten in diesem
Se. Nikolaos eine Heiligengestalt, welche durch ihren Namen, wie durch das
Datum ihres Festes die ganze düstere Macht des Todes noch einmal
mächtig und vollgewaltig aussprechen sollte, um den Segen des neugeborenen
Heils dann desto leuchtender hervortreten zu lassen.

Indessen -- Namen sind Schall und Rauch! Von der grollenden Kirche
immer mehr aus den Weihnachtsgebräuchen vertrieben, wanderte der Schimmel-



-) Drum stolpert Ruprecht auch zuweilen gleich auf der Schwelle, fällt der Länge nach
hin, und schreit: "Eine Thürschwelle ist mir unbekannt
Ich salle wie ein Sack voll Sand u. s. w."

lich reZiten müsse, und so entschuldigt er sich denn z. B. im Erzgebirge sehr
ausdrücklich:


„Ich komme geschritten;
Hätt ich ein Pferdlein,
so käm ich geritten.
Ich hab wohl ein's im Stalle stehen,
aber es kann nicht über die Schwelle gehen*)."

Die Zähigkeit, mit welcher das Volk beim Umzüge des Schimmelreiters
die Erinnerung an die alten Götter festhielt, mußte frühzeitig die Kirche ver¬
anlassen, sich der altgewohnten Formen zu bemächtigen und ihnen eine christ¬
liche Gestalt zu substituiren. — Dazu bot sich am natürlichsten ein schon
vorhandener Nachfolger Wodan's in der christlichen Mythologie dar, dessen
Fest kurz vor der Wintersonnenwende, auf den 6. December, fällt, nämlich der
heilige Nikolaus.

Die ursprüngliche Verbindung dieses Heiligen, der ein frommer venezia¬
nischer Bischof war, mit Wodan hatte freilich mit nichts weniger zu thun,
als mit dem heiteren Glänze weihnachtlicher Freude. Es war der Name
des Bischofs, der ihm seine Bedeutung verlieh. Das griechische Wort „Niko-
laos" bedeutet nämlich „Volksbesieger" und war ein Beinamen Pluto's, des
Gottes der Unterwelt, weil der Tod ja alle Völker besiegt. Dasselbe Prä-
dicat eignete sich aber auch vortrefflich für Wodan, erstlich als Schlachtengott,
dann aber auch als Wintergott. Denn als solcher sitzt Wodan, dem Volks¬
glauben zufolge, vor dem Zeitpunkt des Neulichts, also am 6. December,
dem Nikolaostage, allerdings noch unterirdisch im Hügel und sammelt hier
— wie wir später noch ersehen werden — als Fürst der Todten, als Herr¬
scher in der Unterwelt ein großes Heer, um mit dem Neulicht hervorzubrechen
aus der Tiefe und erst im Sturm, bald aber als Sonnensieger über die er¬
wachende Erde zu ziehen.

Vor der Wintersonnenwende entsprach Wodan somit wirklich demPluto-
Nikolaos. Und so errichtete denn die Kirche dicht vor Weihnachten in diesem
Se. Nikolaos eine Heiligengestalt, welche durch ihren Namen, wie durch das
Datum ihres Festes die ganze düstere Macht des Todes noch einmal
mächtig und vollgewaltig aussprechen sollte, um den Segen des neugeborenen
Heils dann desto leuchtender hervortreten zu lassen.

Indessen — Namen sind Schall und Rauch! Von der grollenden Kirche
immer mehr aus den Weihnachtsgebräuchen vertrieben, wanderte der Schimmel-



-) Drum stolpert Ruprecht auch zuweilen gleich auf der Schwelle, fällt der Länge nach
hin, und schreit: „Eine Thürschwelle ist mir unbekannt
Ich salle wie ein Sack voll Sand u. s. w."
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[0180] lich reZiten müsse, und so entschuldigt er sich denn z. B. im Erzgebirge sehr ausdrücklich: „Ich komme geschritten; Hätt ich ein Pferdlein, so käm ich geritten. Ich hab wohl ein's im Stalle stehen, aber es kann nicht über die Schwelle gehen*)." Die Zähigkeit, mit welcher das Volk beim Umzüge des Schimmelreiters die Erinnerung an die alten Götter festhielt, mußte frühzeitig die Kirche ver¬ anlassen, sich der altgewohnten Formen zu bemächtigen und ihnen eine christ¬ liche Gestalt zu substituiren. — Dazu bot sich am natürlichsten ein schon vorhandener Nachfolger Wodan's in der christlichen Mythologie dar, dessen Fest kurz vor der Wintersonnenwende, auf den 6. December, fällt, nämlich der heilige Nikolaus. Die ursprüngliche Verbindung dieses Heiligen, der ein frommer venezia¬ nischer Bischof war, mit Wodan hatte freilich mit nichts weniger zu thun, als mit dem heiteren Glänze weihnachtlicher Freude. Es war der Name des Bischofs, der ihm seine Bedeutung verlieh. Das griechische Wort „Niko- laos" bedeutet nämlich „Volksbesieger" und war ein Beinamen Pluto's, des Gottes der Unterwelt, weil der Tod ja alle Völker besiegt. Dasselbe Prä- dicat eignete sich aber auch vortrefflich für Wodan, erstlich als Schlachtengott, dann aber auch als Wintergott. Denn als solcher sitzt Wodan, dem Volks¬ glauben zufolge, vor dem Zeitpunkt des Neulichts, also am 6. December, dem Nikolaostage, allerdings noch unterirdisch im Hügel und sammelt hier — wie wir später noch ersehen werden — als Fürst der Todten, als Herr¬ scher in der Unterwelt ein großes Heer, um mit dem Neulicht hervorzubrechen aus der Tiefe und erst im Sturm, bald aber als Sonnensieger über die er¬ wachende Erde zu ziehen. Vor der Wintersonnenwende entsprach Wodan somit wirklich demPluto- Nikolaos. Und so errichtete denn die Kirche dicht vor Weihnachten in diesem Se. Nikolaos eine Heiligengestalt, welche durch ihren Namen, wie durch das Datum ihres Festes die ganze düstere Macht des Todes noch einmal mächtig und vollgewaltig aussprechen sollte, um den Segen des neugeborenen Heils dann desto leuchtender hervortreten zu lassen. Indessen — Namen sind Schall und Rauch! Von der grollenden Kirche immer mehr aus den Weihnachtsgebräuchen vertrieben, wanderte der Schimmel- -) Drum stolpert Ruprecht auch zuweilen gleich auf der Schwelle, fällt der Länge nach hin, und schreit: „Eine Thürschwelle ist mir unbekannt Ich salle wie ein Sack voll Sand u. s. w."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/180>, abgerufen am 29.09.2024.