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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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In den meisten Gegenden Deutschlands aber ziehn zur Adventszeit
Bauern als Schimmelreiter verkleidet von Hof zu Hof. Die Art der
Darstellung ist verschieden. Entweder wird dem Burschen ein Sieb mit langer
Stange vor der Brust befestigt, ein Pferdekopf daran gebunden und das
Ganze mit weißen Laken verhängt -- so construirt man im Braunschweigischen
den Schimmelreiter -- oder drei Knaben stellen den Schimmel dadurch her,
daß zwei von ihnen die Hände auf die Schultern des Vordermannes legen,
der seinerseits durch seine vorgestreckten Arme, (die wie das ganze seltsame Wesen
mit Betttüchern überdeckt sind) den Kopf des Thieres bildet. Auf den Schul¬
tern des Mittelsten sitzt der gleichfalls weiß verhüllte Reiter, welcher einen
erleuchteten Kürbis als Kops unter dem Arm trägt. Diese Form ist in
Schlesien gebräuchlich. -- Ebenso, oder doch in ganz ähnlicher Weise, erscheint
der Schimmelreiter in den verschiedensten Gegenden Deutschlands von Schwa¬
ben bis zur Nordsee, ja sogar in England, dessen Wodan horse oder
Hobby horse noch heute der Mittelpunkt heiterer Volkslustbarkeit ist, gerade
wie es uns als solcher bei Shakespeare begegnet. -

Diesem Schimmelreiter oder Sunnwendfeuermann, der offenbar nichts
anderes als eine rohe Repräsentation Wodan's ist, schließen sich häufig noch
andere Weihnachtsmasken an, welche nicht minder Reste alter Götter¬
gestalten sind, wie sie einst neben Wodan im Götterumzuge der Zwölften
auftraten, dann aber in christlicher Zeit, zu Knechtsgestalt herabgedrückt, halb
oder ganz komische Figuren wurden: so namentlich der Schmied, in wel¬
chem unzweifelhaft der hammerschwingende Gewittergott Donner zu erkennen
ist, ferner, und zwar wohl als Hindeutung auf die mit dem Neulicht er¬
wachende Saat, der "Haferbräutigam", vornehmlich aber der "Knecht
Ruprecht". Mit solcher Gefolgschaft wandelt der Schimmelreiter von Haus
zu Haus, nicht mehr, um den alten Göttern gleich, zum Jahrbeginne himm¬
lische Verheißung reichen Segens und köstliche Gaben zu spenden, sondern
um Gaben zu empfangen: Würste, Speckschnitte und Trinkgelder, bis des
buntscheckigen Aufzuges Weg endlich zu einer Spinnstube führt, wo sich die
Mädchen im Halbkreise aufstellen, der Schimmelreiter aber unter mancherlei
Kurzweil Orakel ertheilt und Räthsel aufgibt, zu denen der alte räthsel¬
kundige "Odhinn", welchen die Edda ja gern mit Sterblichen um die Wette
rathen läßt, wohl den Kopf geschüttelt haben würde.

In einigen Gegenden heißt der Schimmelreiter auch selbst "Ruprecht"
und zwar mit vollem Fug, denn Ruprecht, d. i. Ruodperath, heißt der "rum¬
glänzende" ; das aber ist ganz eigentlich ein Beiname Wodan's, und Ruprecht
hat sogar hier und dort (namentlich in Pommern, im Halle'schen, in Böhmen)
auch deutlich die Erinnerung daran bewahrt, daß er, als ein Wodan, eigene-


In den meisten Gegenden Deutschlands aber ziehn zur Adventszeit
Bauern als Schimmelreiter verkleidet von Hof zu Hof. Die Art der
Darstellung ist verschieden. Entweder wird dem Burschen ein Sieb mit langer
Stange vor der Brust befestigt, ein Pferdekopf daran gebunden und das
Ganze mit weißen Laken verhängt — so construirt man im Braunschweigischen
den Schimmelreiter — oder drei Knaben stellen den Schimmel dadurch her,
daß zwei von ihnen die Hände auf die Schultern des Vordermannes legen,
der seinerseits durch seine vorgestreckten Arme, (die wie das ganze seltsame Wesen
mit Betttüchern überdeckt sind) den Kopf des Thieres bildet. Auf den Schul¬
tern des Mittelsten sitzt der gleichfalls weiß verhüllte Reiter, welcher einen
erleuchteten Kürbis als Kops unter dem Arm trägt. Diese Form ist in
Schlesien gebräuchlich. — Ebenso, oder doch in ganz ähnlicher Weise, erscheint
der Schimmelreiter in den verschiedensten Gegenden Deutschlands von Schwa¬
ben bis zur Nordsee, ja sogar in England, dessen Wodan horse oder
Hobby horse noch heute der Mittelpunkt heiterer Volkslustbarkeit ist, gerade
wie es uns als solcher bei Shakespeare begegnet. -

Diesem Schimmelreiter oder Sunnwendfeuermann, der offenbar nichts
anderes als eine rohe Repräsentation Wodan's ist, schließen sich häufig noch
andere Weihnachtsmasken an, welche nicht minder Reste alter Götter¬
gestalten sind, wie sie einst neben Wodan im Götterumzuge der Zwölften
auftraten, dann aber in christlicher Zeit, zu Knechtsgestalt herabgedrückt, halb
oder ganz komische Figuren wurden: so namentlich der Schmied, in wel¬
chem unzweifelhaft der hammerschwingende Gewittergott Donner zu erkennen
ist, ferner, und zwar wohl als Hindeutung auf die mit dem Neulicht er¬
wachende Saat, der „Haferbräutigam", vornehmlich aber der „Knecht
Ruprecht". Mit solcher Gefolgschaft wandelt der Schimmelreiter von Haus
zu Haus, nicht mehr, um den alten Göttern gleich, zum Jahrbeginne himm¬
lische Verheißung reichen Segens und köstliche Gaben zu spenden, sondern
um Gaben zu empfangen: Würste, Speckschnitte und Trinkgelder, bis des
buntscheckigen Aufzuges Weg endlich zu einer Spinnstube führt, wo sich die
Mädchen im Halbkreise aufstellen, der Schimmelreiter aber unter mancherlei
Kurzweil Orakel ertheilt und Räthsel aufgibt, zu denen der alte räthsel¬
kundige „Odhinn", welchen die Edda ja gern mit Sterblichen um die Wette
rathen läßt, wohl den Kopf geschüttelt haben würde.

In einigen Gegenden heißt der Schimmelreiter auch selbst „Ruprecht"
und zwar mit vollem Fug, denn Ruprecht, d. i. Ruodperath, heißt der „rum¬
glänzende" ; das aber ist ganz eigentlich ein Beiname Wodan's, und Ruprecht
hat sogar hier und dort (namentlich in Pommern, im Halle'schen, in Böhmen)
auch deutlich die Erinnerung daran bewahrt, daß er, als ein Wodan, eigene-


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[0179] In den meisten Gegenden Deutschlands aber ziehn zur Adventszeit Bauern als Schimmelreiter verkleidet von Hof zu Hof. Die Art der Darstellung ist verschieden. Entweder wird dem Burschen ein Sieb mit langer Stange vor der Brust befestigt, ein Pferdekopf daran gebunden und das Ganze mit weißen Laken verhängt — so construirt man im Braunschweigischen den Schimmelreiter — oder drei Knaben stellen den Schimmel dadurch her, daß zwei von ihnen die Hände auf die Schultern des Vordermannes legen, der seinerseits durch seine vorgestreckten Arme, (die wie das ganze seltsame Wesen mit Betttüchern überdeckt sind) den Kopf des Thieres bildet. Auf den Schul¬ tern des Mittelsten sitzt der gleichfalls weiß verhüllte Reiter, welcher einen erleuchteten Kürbis als Kops unter dem Arm trägt. Diese Form ist in Schlesien gebräuchlich. — Ebenso, oder doch in ganz ähnlicher Weise, erscheint der Schimmelreiter in den verschiedensten Gegenden Deutschlands von Schwa¬ ben bis zur Nordsee, ja sogar in England, dessen Wodan horse oder Hobby horse noch heute der Mittelpunkt heiterer Volkslustbarkeit ist, gerade wie es uns als solcher bei Shakespeare begegnet. - Diesem Schimmelreiter oder Sunnwendfeuermann, der offenbar nichts anderes als eine rohe Repräsentation Wodan's ist, schließen sich häufig noch andere Weihnachtsmasken an, welche nicht minder Reste alter Götter¬ gestalten sind, wie sie einst neben Wodan im Götterumzuge der Zwölften auftraten, dann aber in christlicher Zeit, zu Knechtsgestalt herabgedrückt, halb oder ganz komische Figuren wurden: so namentlich der Schmied, in wel¬ chem unzweifelhaft der hammerschwingende Gewittergott Donner zu erkennen ist, ferner, und zwar wohl als Hindeutung auf die mit dem Neulicht er¬ wachende Saat, der „Haferbräutigam", vornehmlich aber der „Knecht Ruprecht". Mit solcher Gefolgschaft wandelt der Schimmelreiter von Haus zu Haus, nicht mehr, um den alten Göttern gleich, zum Jahrbeginne himm¬ lische Verheißung reichen Segens und köstliche Gaben zu spenden, sondern um Gaben zu empfangen: Würste, Speckschnitte und Trinkgelder, bis des buntscheckigen Aufzuges Weg endlich zu einer Spinnstube führt, wo sich die Mädchen im Halbkreise aufstellen, der Schimmelreiter aber unter mancherlei Kurzweil Orakel ertheilt und Räthsel aufgibt, zu denen der alte räthsel¬ kundige „Odhinn", welchen die Edda ja gern mit Sterblichen um die Wette rathen läßt, wohl den Kopf geschüttelt haben würde. In einigen Gegenden heißt der Schimmelreiter auch selbst „Ruprecht" und zwar mit vollem Fug, denn Ruprecht, d. i. Ruodperath, heißt der „rum¬ glänzende" ; das aber ist ganz eigentlich ein Beiname Wodan's, und Ruprecht hat sogar hier und dort (namentlich in Pommern, im Halle'schen, in Böhmen) auch deutlich die Erinnerung daran bewahrt, daß er, als ein Wodan, eigene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/179>, abgerufen am 23.07.2024.