Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.
Dachte man aber einmal die bewegte Luft als Gottheit, so war es ganz Indeß keineswegs bildet die Fantasie eines jugendlichen mit ehrfurchts¬
Bei weitem am häufigsten aber dachten die Deutschen Sturm und Wind
Auch als die Stufe des Theriomorphismus, (der Anschauung von Natur¬
Dachte man aber einmal die bewegte Luft als Gottheit, so war es ganz Indeß keineswegs bildet die Fantasie eines jugendlichen mit ehrfurchts¬
Bei weitem am häufigsten aber dachten die Deutschen Sturm und Wind
Auch als die Stufe des Theriomorphismus, (der Anschauung von Natur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125418"/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> Wind ist der Welle<lb/> Lieblicher Buhle,<lb/> Wind mischt von Grund aus<lb/> Schäumende Wogen ....<lb/> Schicksal des Menschen,<lb/> Wie gleichst du dem Wind! —<lb/></l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_613"> Dachte man aber einmal die bewegte Luft als Gottheit, so war es ganz<lb/> dem Sinne kindlicher Naturmenschen angemessen, wenn man vor Allem die<lb/> gewaltigste, die furchtbarste Gestaltung derselben, also den Sturm, zum<lb/> Gegenstande mythenbildender Verehrung machte. Denn alle Gottesfurcht, alle<lb/> Ehrfurcht geht ja, wie dies schon im Worte liegt, zuerst von der wirklichen<lb/> Furcht aus. Und so ist denn sehr begreiflich, daß die vornehmste, die am<lb/> reichsten entwickelte Göttergestalt des altdeutschen Glaubens ursprünglich ein<lb/> Sturmgott ist. —</p><lb/> <p xml:id="ID_614"> Indeß keineswegs bildet die Fantasie eines jugendlichen mit ehrfurchts¬<lb/> vollem Schauer in die Welt hinausspähenden und hinauslauschenden Volks¬<lb/> gemüths von vornherein menschlich geformte, menschlich empfindende<lb/> Göttergestalten; vielmehr treten die Personificationen der Naturerscheinungen<lb/> fast immer zuerst unter der Form von Thier gestalten auf. Ein ungeheurer<lb/> Wolf schien der heulende Wind, vor dem die Heerde weißer Wolken eilig<lb/> flieht; oder man glaubte im Sturme Flug und Krächzen schwarzer Raben,<lb/> oder eines weltüberfliegenden Adlers Flügelschlag zu vernehmen, wie ja noch<lb/> Lenau singt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Draußen schlägt der Nachtgesell<lb/> Sturm sein brausendes Gesieder. —</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_615"> Bei weitem am häufigsten aber dachten die Deutschen Sturm und Wind<lb/> unter der Form des Rosses, eine Anschauung, die noch jetzt so geläufig ist,<lb/> daß die Dichter sie mit großer Vorliebe gebrauchen und z. B. der eben schon<lb/> angeführte Lenau in der herrlichen Sturmscene seines Faust sicherlich auf<lb/> unser volles Verständniß rechnen kann, wenn er singt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> „Wie wenn die Nosse durch die Haide fliegen,<lb/> Hiusauscnd an den schlanken Graseshalmen<lb/> Und sie mit ihrem Stmmgeschnaube biegen<lb/> Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:<lb/> So fliegen auch die Himmclsrosse rasend<lb/> Durch grüne Meereshaiden als Verwüster<lb/> Und widern Sturm aus cmfgerissner Rüster<lb/> Der Masten schlanke Halme niederblasend!"</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_616" next="#ID_617"> Auch als die Stufe des Theriomorphismus, (der Anschauung von Natur¬<lb/> erscheinungen unter dem Bilde der Thiere) verlassen, und die höhere Stufe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhle,
Wind mischt von Grund aus
Schäumende Wogen ....
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind! —
Dachte man aber einmal die bewegte Luft als Gottheit, so war es ganz
dem Sinne kindlicher Naturmenschen angemessen, wenn man vor Allem die
gewaltigste, die furchtbarste Gestaltung derselben, also den Sturm, zum
Gegenstande mythenbildender Verehrung machte. Denn alle Gottesfurcht, alle
Ehrfurcht geht ja, wie dies schon im Worte liegt, zuerst von der wirklichen
Furcht aus. Und so ist denn sehr begreiflich, daß die vornehmste, die am
reichsten entwickelte Göttergestalt des altdeutschen Glaubens ursprünglich ein
Sturmgott ist. —
Indeß keineswegs bildet die Fantasie eines jugendlichen mit ehrfurchts¬
vollem Schauer in die Welt hinausspähenden und hinauslauschenden Volks¬
gemüths von vornherein menschlich geformte, menschlich empfindende
Göttergestalten; vielmehr treten die Personificationen der Naturerscheinungen
fast immer zuerst unter der Form von Thier gestalten auf. Ein ungeheurer
Wolf schien der heulende Wind, vor dem die Heerde weißer Wolken eilig
flieht; oder man glaubte im Sturme Flug und Krächzen schwarzer Raben,
oder eines weltüberfliegenden Adlers Flügelschlag zu vernehmen, wie ja noch
Lenau singt:
Draußen schlägt der Nachtgesell
Sturm sein brausendes Gesieder. —
Bei weitem am häufigsten aber dachten die Deutschen Sturm und Wind
unter der Form des Rosses, eine Anschauung, die noch jetzt so geläufig ist,
daß die Dichter sie mit großer Vorliebe gebrauchen und z. B. der eben schon
angeführte Lenau in der herrlichen Sturmscene seines Faust sicherlich auf
unser volles Verständniß rechnen kann, wenn er singt:
„Wie wenn die Nosse durch die Haide fliegen,
Hiusauscnd an den schlanken Graseshalmen
Und sie mit ihrem Stmmgeschnaube biegen
Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:
So fliegen auch die Himmclsrosse rasend
Durch grüne Meereshaiden als Verwüster
Und widern Sturm aus cmfgerissner Rüster
Der Masten schlanke Halme niederblasend!"
Auch als die Stufe des Theriomorphismus, (der Anschauung von Natur¬
erscheinungen unter dem Bilde der Thiere) verlassen, und die höhere Stufe
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |