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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Kampf geführt werden sollte. Bei der allgemeinen Corruption, die vom
cäsarischen Regime ausging, mußte unvermeidlich auch das Heer zunächst mit
betroffen werden. Aber diese inneren Schäden, die bisher möglichst sorgsam
dem Auslande gegenüber vertuscht wurden, führten nicht allein zum plötz¬
lichen Sturz aus schwindelnder Höhe, -- ein viel gefährlicherer Feind für
Volk und Heer war der Größenwahn, die Selbstüberhebung und die ver¬
ächtliche Geringschätzung des Gegners. In dieser argen Verblendung übersah
man alle Mängel und Uebel, nicht nur in den niederen Sphären, sondern
auch in den höheren. So bewährte sich auch in Frankreich das alte deutsche
Sprichwort: "Stolz und Hochmuth kommt vor'in Fall!"

Noch mehr Mängeln begegnen wir in der Administration. Die Ver-
derbniß derselben war keine neue, überraschende, man fühlte sie längst im
Lande auch. In der Sitzung des gesetzgebenden Körpers, am 17. Juli 1870,
rief der Deputirte Ordinaire von der Tribüne herab dem Hause zu:
"Die in der Krim und Italien gemachten Erfahrungen haben
bewiesen, daß der größte Feind unserer Soldaten nicht die
Kugeln unserer Gegner, sondern die Fehl er de r V erwaltun g
sind, deren Reform bis jetzt nicht hat erreicht werden können."

Mit diesen wenigen Worten ist der Nagel auf den Kopf getroffen. --

Die Verwaltung war total veraltet, und in ihrer Organisation so com-
plicirt, daß eine wirkliche Controle zur Unmöglichkeit wurde. Das erkannte
auch der praktische und hellblickende Marschall Niet, er hatte dabei den
besten Willen, den Augiasstall zu räumen, aber ehe er mit dieser Herkules¬
arbeit zu Ende kam, ereilte ihn der Tod. Da gerieth abermals Alles ins
Stocken, denn der leitende Gedanke war mit ihm zu Grabe gegangen.

Das Beamtenpersonal der Intendantur recrutirte sich fast nur aus der
Armee und war so zahlreich, daß es ein kleines Heer im Heere war. Man
fand da alle militärischen Grade vertreten, vom General an bis herab zum
Corporal, selbst zum gemeinen Soldaten. Von diesen letzteren wurden die¬
jenigen mit verwendet, die sechs Monate gedient und Beweise ihrer Brauchbar¬
keit gegeben hatten, die aber, wie man bald ersehen wird, sehr zweideutiger
Art war. Das Civil war in der Intendantur nur sehr schwach und in den
untergeordneten Graden vertreten.

Die Aufstellung dieser vielrädrigen und schwerfälligen Maschine datirt
in Folge eines Erlasses des Marschalls Gauvion de Se. Cyr vom Jahre
1817. Der Intendantur war dabei nicht wenig auf die Schultern geladen
worden, denn sie war angewiesen, die Rechnungen der Führer der Truppen¬
abtheilungen zu prüfen, Zahlungsmandate zu verfügen, die Dienstzweige für
Verpflegung, Bewaffnung, Bekleidung, Fourage und Heizung zu regeln, die


Kampf geführt werden sollte. Bei der allgemeinen Corruption, die vom
cäsarischen Regime ausging, mußte unvermeidlich auch das Heer zunächst mit
betroffen werden. Aber diese inneren Schäden, die bisher möglichst sorgsam
dem Auslande gegenüber vertuscht wurden, führten nicht allein zum plötz¬
lichen Sturz aus schwindelnder Höhe, — ein viel gefährlicherer Feind für
Volk und Heer war der Größenwahn, die Selbstüberhebung und die ver¬
ächtliche Geringschätzung des Gegners. In dieser argen Verblendung übersah
man alle Mängel und Uebel, nicht nur in den niederen Sphären, sondern
auch in den höheren. So bewährte sich auch in Frankreich das alte deutsche
Sprichwort: „Stolz und Hochmuth kommt vor'in Fall!"

Noch mehr Mängeln begegnen wir in der Administration. Die Ver-
derbniß derselben war keine neue, überraschende, man fühlte sie längst im
Lande auch. In der Sitzung des gesetzgebenden Körpers, am 17. Juli 1870,
rief der Deputirte Ordinaire von der Tribüne herab dem Hause zu:
„Die in der Krim und Italien gemachten Erfahrungen haben
bewiesen, daß der größte Feind unserer Soldaten nicht die
Kugeln unserer Gegner, sondern die Fehl er de r V erwaltun g
sind, deren Reform bis jetzt nicht hat erreicht werden können."

Mit diesen wenigen Worten ist der Nagel auf den Kopf getroffen. —

Die Verwaltung war total veraltet, und in ihrer Organisation so com-
plicirt, daß eine wirkliche Controle zur Unmöglichkeit wurde. Das erkannte
auch der praktische und hellblickende Marschall Niet, er hatte dabei den
besten Willen, den Augiasstall zu räumen, aber ehe er mit dieser Herkules¬
arbeit zu Ende kam, ereilte ihn der Tod. Da gerieth abermals Alles ins
Stocken, denn der leitende Gedanke war mit ihm zu Grabe gegangen.

Das Beamtenpersonal der Intendantur recrutirte sich fast nur aus der
Armee und war so zahlreich, daß es ein kleines Heer im Heere war. Man
fand da alle militärischen Grade vertreten, vom General an bis herab zum
Corporal, selbst zum gemeinen Soldaten. Von diesen letzteren wurden die¬
jenigen mit verwendet, die sechs Monate gedient und Beweise ihrer Brauchbar¬
keit gegeben hatten, die aber, wie man bald ersehen wird, sehr zweideutiger
Art war. Das Civil war in der Intendantur nur sehr schwach und in den
untergeordneten Graden vertreten.

Die Aufstellung dieser vielrädrigen und schwerfälligen Maschine datirt
in Folge eines Erlasses des Marschalls Gauvion de Se. Cyr vom Jahre
1817. Der Intendantur war dabei nicht wenig auf die Schultern geladen
worden, denn sie war angewiesen, die Rechnungen der Führer der Truppen¬
abtheilungen zu prüfen, Zahlungsmandate zu verfügen, die Dienstzweige für
Verpflegung, Bewaffnung, Bekleidung, Fourage und Heizung zu regeln, die


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[0152] Kampf geführt werden sollte. Bei der allgemeinen Corruption, die vom cäsarischen Regime ausging, mußte unvermeidlich auch das Heer zunächst mit betroffen werden. Aber diese inneren Schäden, die bisher möglichst sorgsam dem Auslande gegenüber vertuscht wurden, führten nicht allein zum plötz¬ lichen Sturz aus schwindelnder Höhe, — ein viel gefährlicherer Feind für Volk und Heer war der Größenwahn, die Selbstüberhebung und die ver¬ ächtliche Geringschätzung des Gegners. In dieser argen Verblendung übersah man alle Mängel und Uebel, nicht nur in den niederen Sphären, sondern auch in den höheren. So bewährte sich auch in Frankreich das alte deutsche Sprichwort: „Stolz und Hochmuth kommt vor'in Fall!" Noch mehr Mängeln begegnen wir in der Administration. Die Ver- derbniß derselben war keine neue, überraschende, man fühlte sie längst im Lande auch. In der Sitzung des gesetzgebenden Körpers, am 17. Juli 1870, rief der Deputirte Ordinaire von der Tribüne herab dem Hause zu: „Die in der Krim und Italien gemachten Erfahrungen haben bewiesen, daß der größte Feind unserer Soldaten nicht die Kugeln unserer Gegner, sondern die Fehl er de r V erwaltun g sind, deren Reform bis jetzt nicht hat erreicht werden können." Mit diesen wenigen Worten ist der Nagel auf den Kopf getroffen. — Die Verwaltung war total veraltet, und in ihrer Organisation so com- plicirt, daß eine wirkliche Controle zur Unmöglichkeit wurde. Das erkannte auch der praktische und hellblickende Marschall Niet, er hatte dabei den besten Willen, den Augiasstall zu räumen, aber ehe er mit dieser Herkules¬ arbeit zu Ende kam, ereilte ihn der Tod. Da gerieth abermals Alles ins Stocken, denn der leitende Gedanke war mit ihm zu Grabe gegangen. Das Beamtenpersonal der Intendantur recrutirte sich fast nur aus der Armee und war so zahlreich, daß es ein kleines Heer im Heere war. Man fand da alle militärischen Grade vertreten, vom General an bis herab zum Corporal, selbst zum gemeinen Soldaten. Von diesen letzteren wurden die¬ jenigen mit verwendet, die sechs Monate gedient und Beweise ihrer Brauchbar¬ keit gegeben hatten, die aber, wie man bald ersehen wird, sehr zweideutiger Art war. Das Civil war in der Intendantur nur sehr schwach und in den untergeordneten Graden vertreten. Die Aufstellung dieser vielrädrigen und schwerfälligen Maschine datirt in Folge eines Erlasses des Marschalls Gauvion de Se. Cyr vom Jahre 1817. Der Intendantur war dabei nicht wenig auf die Schultern geladen worden, denn sie war angewiesen, die Rechnungen der Führer der Truppen¬ abtheilungen zu prüfen, Zahlungsmandate zu verfügen, die Dienstzweige für Verpflegung, Bewaffnung, Bekleidung, Fourage und Heizung zu regeln, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/152>, abgerufen am 26.06.2024.