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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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14. bis ins 18. Jahrhundert, verloren unzählige Stadt-Rechtsbücher, Raths-
protocolle und werthvolle Sammlungen, an denen deutscher Fleiß durch Jahr¬
hunderte gearbeitet hat! Dieser vorliegende Band, er ist die letzte neue aus
Straßburger Archtvalien geschöpfte Publication; daß er gerettet, macht ihn
zu einer traurig und freudig zugleich stimmenden Erinnerung an das Ent¬
schwundene ! -- Aber mit Nichten ist mit dem Archiv und der Bibliothek von
Straßburg zugleich die Kunde von elsässischer Geschichte, die Kunde von
elsässischem Geistesleben in Vergessenheit gesunken! -- Noch ist genug in
Schrift und Kunst geblieben, das von dem Werdegang des Elsaß Zeugniß
gibt, daß es kundigen Männern wohl gelingen mag, uns die Geschichte des
eigenthümlichen Geisteslebens, das in jenem Lande erstand, in frischer und
plastischer Bestimmtheit darzustellen. Solche Kunst der Darstellung, einen
sinnvollen Einblick in das Charakteristische der elsässischen Bildung und ihren
Zusammenhang mit der allgemeinen deutschen, finden wir in erfreulichster
Weise in der neuesten Erscheinung unserer historischen Literatur, indem Buche
der Wiener Universitätsprofessoren Ottokar Lorenz und Wilhelm Scher er:
"Geschichte des Elsasses von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart. Bilder
aus dem politischen und geistigen Leben der deutschen Westmark. In zu¬
sammenhängender Erzählung. Berlin, Duncker 1871."

Es ist allerdings kein gelehrtes, kühl objectives Werk, keine streng ein¬
herschreitende Forschung mit zahlreichen Excursen und einem ungeheueren
Ballaste von Citaten, wiewohl aus gründlichen Studien hervorgegangen,
vielfach anregend und auch dem Fachmann Neues bietend. Sondern vor
Allem ist es ein Werk für das große Publikum, aus freudiger Vaterlands¬
liebe hervorgegangen, und zu solcher erhebend. Es fesselt den Leser, und ent¬
hält viele Stellen voll dramatischer Bewegung.

Zweck und Streben des Buches ist, über die Bedeutung der elsässischen
Cultur und ihre Einwirkung auf Deutschland aufzuklären, zu zeigen, was
wir dem Elsaß verdanken. Wir sind überrascht bei diesem Anblicke! So
sehr war in unserem Geiste die Erinnerung an die Zusammengehörigkeit
dieses Landes und der übrigen deutschen verblaßt, daß unserm Gedächtniß
der eminente Antheil des Elsaß am deutschen Geistesleben im Lauf der Zeiten
verloren war. Nun wird an dem vorliegenden Werke das Vergessene wieder
belebt. Wir begrüßen wieder wie ehedem in der Entwickelung der elsässischen
Gesittung eine der bedeutendsten und ruhmvollsten Leistungen geistiger Arbeit
unseres Volkes, den durchaus deutschen Zug in aller Entwicklung jenes Lan¬
des, das in religiöser, socialer, künstlerischer, pädagogischer Hinsicht vielfach
anregend, ja bahnbrechend auf das übrige Deutschland eingewirkt hat. Vom
Ursprünge deutscher Einwanderung an hat das Elsaß alemannische Sitte be¬
wahrt bis auf unsere Tage: in dem alten Schwabentrotz, dem Eckigen und


14. bis ins 18. Jahrhundert, verloren unzählige Stadt-Rechtsbücher, Raths-
protocolle und werthvolle Sammlungen, an denen deutscher Fleiß durch Jahr¬
hunderte gearbeitet hat! Dieser vorliegende Band, er ist die letzte neue aus
Straßburger Archtvalien geschöpfte Publication; daß er gerettet, macht ihn
zu einer traurig und freudig zugleich stimmenden Erinnerung an das Ent¬
schwundene ! — Aber mit Nichten ist mit dem Archiv und der Bibliothek von
Straßburg zugleich die Kunde von elsässischer Geschichte, die Kunde von
elsässischem Geistesleben in Vergessenheit gesunken! — Noch ist genug in
Schrift und Kunst geblieben, das von dem Werdegang des Elsaß Zeugniß
gibt, daß es kundigen Männern wohl gelingen mag, uns die Geschichte des
eigenthümlichen Geisteslebens, das in jenem Lande erstand, in frischer und
plastischer Bestimmtheit darzustellen. Solche Kunst der Darstellung, einen
sinnvollen Einblick in das Charakteristische der elsässischen Bildung und ihren
Zusammenhang mit der allgemeinen deutschen, finden wir in erfreulichster
Weise in der neuesten Erscheinung unserer historischen Literatur, indem Buche
der Wiener Universitätsprofessoren Ottokar Lorenz und Wilhelm Scher er:
„Geschichte des Elsasses von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart. Bilder
aus dem politischen und geistigen Leben der deutschen Westmark. In zu¬
sammenhängender Erzählung. Berlin, Duncker 1871."

Es ist allerdings kein gelehrtes, kühl objectives Werk, keine streng ein¬
herschreitende Forschung mit zahlreichen Excursen und einem ungeheueren
Ballaste von Citaten, wiewohl aus gründlichen Studien hervorgegangen,
vielfach anregend und auch dem Fachmann Neues bietend. Sondern vor
Allem ist es ein Werk für das große Publikum, aus freudiger Vaterlands¬
liebe hervorgegangen, und zu solcher erhebend. Es fesselt den Leser, und ent¬
hält viele Stellen voll dramatischer Bewegung.

Zweck und Streben des Buches ist, über die Bedeutung der elsässischen
Cultur und ihre Einwirkung auf Deutschland aufzuklären, zu zeigen, was
wir dem Elsaß verdanken. Wir sind überrascht bei diesem Anblicke! So
sehr war in unserem Geiste die Erinnerung an die Zusammengehörigkeit
dieses Landes und der übrigen deutschen verblaßt, daß unserm Gedächtniß
der eminente Antheil des Elsaß am deutschen Geistesleben im Lauf der Zeiten
verloren war. Nun wird an dem vorliegenden Werke das Vergessene wieder
belebt. Wir begrüßen wieder wie ehedem in der Entwickelung der elsässischen
Gesittung eine der bedeutendsten und ruhmvollsten Leistungen geistiger Arbeit
unseres Volkes, den durchaus deutschen Zug in aller Entwicklung jenes Lan¬
des, das in religiöser, socialer, künstlerischer, pädagogischer Hinsicht vielfach
anregend, ja bahnbrechend auf das übrige Deutschland eingewirkt hat. Vom
Ursprünge deutscher Einwanderung an hat das Elsaß alemannische Sitte be¬
wahrt bis auf unsere Tage: in dem alten Schwabentrotz, dem Eckigen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/140>, abgerufen am 30.06.2024.