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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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bandi u. s. w. hervorgingen, machten auch in Turin tiefen Eindruck. Außer
einem Briefe Cavours erwähnt die Denkschrift des Nizza-Comite die Zeugnisse
mehrerer namhafter Zeitgenossen dafür, daß der Graf Cavour, der am
17. Januar 1860 wieder das Ministerium übernommen hatte, durch die Un¬
geschicklichkeit oder den Verrath seines diplomatischen Agenten gehindert wor¬
den sei, Nizza zur rechten Zeit vor dem drohenden Schicksale der Annexion
zu bewahren, was er entschieden versucht und beabsichtigt habe. Dies Zeug¬
niß der Denkschrift ist um so unverdächtiger, als an "zahlreichen anderen
Stellen dieselbe mit Härte und Kurzsichtigkeit über die Politik des größten
italienischen Staatsmannes urtheilt. Aber durch wessen Schuld immer diese
geheimen Wege der diplomatischen Unterhandlung verlegt worden sein mögen,
gewiß ist, daß Cavour sich zu dem harten Entschluß nur bequemt hat, um
dem italienischen Einigungswerke größere Zugeständnisse von Frankreich zu
erkaufen, als er hier preisgab, und daß Frankreich auf dieser Abtretung
schlechthin bestand. Man denke, was die französischen Gegenleistungen
anlangt, an die dauernde Einverleibung der mittelitalienischen Fürsten-
thümer, welche der Zürcher Friede noch in Frage stellte, an die in
demselben Jahre erfolgte Annexion von Neapel und Sicilien. Vielleicht
schon eine nahe Zukunft wird den Schleier dieser Geheimnisse völlig
lüften. Und von diesem Standpunkte der damaligen Machtverhältnisse, aus
der staatsmännischen Erwägung, das Wünschenswerthe dem Erreichbaren zu
opfern, ist das Verfahren des Grafen Cavour gegen Nizza untadelhaft ge¬
wesen, und muß vor dem strengsten Italiener bestehen. Auch das Nizza-
Comiti hätte vielleicht damals der italienischen Sache besser gedient, wenn
es, sich in das Unvermeidliche gefügt, als wenn es seine Mitbürger bis un¬
mittelbar vor der Abstimmung zum Widerstand gegen die Annexion, dann plötzlich
zu der schwächlichsten allerpolitischenDemonstrationen, zur Stimmenthaltung, an¬
gefeuert hätte. Aber andererseits freilich hat sich französischer Uebermuth und fran¬
zösische Brutalität gerade in der weitern Entwicklung der Annexion von Nizza so
frech enthüllt, daß auch einem kaltblütigern Stamm als demjenigen, der
in Nizza daheim war, die Scham und der Zorn das Blut in die Wangen
jagen mußte. Und dieses Verfahren des französischen Gouvernements, welches
in der widerlichen Hast nach fremdem Eigen weder das Völkerrecht noch das
Wort des fremden Königs, weder die eigene noch die fremde Ehre und Würde
achtete, veranlaßt vornehmlich diese Blätter, an jene Thatsachen zu erinnern.

Selbstverständlich begann das französische Journal "Avenir de Rice"
die Reizung der italienischen Partei, oder vielmehr der legitimen Regierung,
sobald die Gerüchte von Annexion auftauchten. Am 10. Februar 1860, aus
Anlaß einer italienischen Demonstration, war seine Sprache schon so weit ge¬
diehen, daß man ihm in jedem andern Lande mit Erfolg den Proceß wegen


bandi u. s. w. hervorgingen, machten auch in Turin tiefen Eindruck. Außer
einem Briefe Cavours erwähnt die Denkschrift des Nizza-Comite die Zeugnisse
mehrerer namhafter Zeitgenossen dafür, daß der Graf Cavour, der am
17. Januar 1860 wieder das Ministerium übernommen hatte, durch die Un¬
geschicklichkeit oder den Verrath seines diplomatischen Agenten gehindert wor¬
den sei, Nizza zur rechten Zeit vor dem drohenden Schicksale der Annexion
zu bewahren, was er entschieden versucht und beabsichtigt habe. Dies Zeug¬
niß der Denkschrift ist um so unverdächtiger, als an "zahlreichen anderen
Stellen dieselbe mit Härte und Kurzsichtigkeit über die Politik des größten
italienischen Staatsmannes urtheilt. Aber durch wessen Schuld immer diese
geheimen Wege der diplomatischen Unterhandlung verlegt worden sein mögen,
gewiß ist, daß Cavour sich zu dem harten Entschluß nur bequemt hat, um
dem italienischen Einigungswerke größere Zugeständnisse von Frankreich zu
erkaufen, als er hier preisgab, und daß Frankreich auf dieser Abtretung
schlechthin bestand. Man denke, was die französischen Gegenleistungen
anlangt, an die dauernde Einverleibung der mittelitalienischen Fürsten-
thümer, welche der Zürcher Friede noch in Frage stellte, an die in
demselben Jahre erfolgte Annexion von Neapel und Sicilien. Vielleicht
schon eine nahe Zukunft wird den Schleier dieser Geheimnisse völlig
lüften. Und von diesem Standpunkte der damaligen Machtverhältnisse, aus
der staatsmännischen Erwägung, das Wünschenswerthe dem Erreichbaren zu
opfern, ist das Verfahren des Grafen Cavour gegen Nizza untadelhaft ge¬
wesen, und muß vor dem strengsten Italiener bestehen. Auch das Nizza-
Comiti hätte vielleicht damals der italienischen Sache besser gedient, wenn
es, sich in das Unvermeidliche gefügt, als wenn es seine Mitbürger bis un¬
mittelbar vor der Abstimmung zum Widerstand gegen die Annexion, dann plötzlich
zu der schwächlichsten allerpolitischenDemonstrationen, zur Stimmenthaltung, an¬
gefeuert hätte. Aber andererseits freilich hat sich französischer Uebermuth und fran¬
zösische Brutalität gerade in der weitern Entwicklung der Annexion von Nizza so
frech enthüllt, daß auch einem kaltblütigern Stamm als demjenigen, der
in Nizza daheim war, die Scham und der Zorn das Blut in die Wangen
jagen mußte. Und dieses Verfahren des französischen Gouvernements, welches
in der widerlichen Hast nach fremdem Eigen weder das Völkerrecht noch das
Wort des fremden Königs, weder die eigene noch die fremde Ehre und Würde
achtete, veranlaßt vornehmlich diese Blätter, an jene Thatsachen zu erinnern.

Selbstverständlich begann das französische Journal „Avenir de Rice"
die Reizung der italienischen Partei, oder vielmehr der legitimen Regierung,
sobald die Gerüchte von Annexion auftauchten. Am 10. Februar 1860, aus
Anlaß einer italienischen Demonstration, war seine Sprache schon so weit ge¬
diehen, daß man ihm in jedem andern Lande mit Erfolg den Proceß wegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/134>, abgerufen am 23.07.2024.