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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wahren wir uns ausdrücklich dagegen, als ob diese Blätter sich schlechthin
mit den Strebungen des Nizza-Comite' identificiren, und an ihrem Theile
etwa die Wiedervereinigung Nizzas mit Italien als Bedingung unsres künf¬
tigen Friedens mit Frankreich erhöben. Wir werden unsern Frieden dies¬
mal -- das erste Mal in der deutschen Geschichte -- lediglich nach unserm
Staats-Jnteresse schließen, nach dem was dem deutschen Reiche frommt
oder nicht. Die Interessen Anderer werden dabei nur soweit Berücksich¬
tigung finden können, als sie mit den unsrigen identisch sind. Ob Italien
'diese Erkenntniß bis zum Friedensschluß schon in so hohem Grade zur Staats¬
raison erhoben haben wird, als vor fünf Jahren, erscheint fraglich ; mindestens
gestattet der Kreuzzug Garibaldi's wider uns Barbaren, und die Ohnmacht
der italienischen Regierung gegen dieses Treiben, einen ziemlich kräftigen
Schluß auf die Gesinnungen der radicalen Italiener und die Stellung der
Regierung zu dieser gefährlichen Minderheit ihrer Unterthanen. Man müßte
denn annehmen, daß dem General Garibaldi und seinen Helden von der
Regierung um deswillen kein Hinderniß in den Weg gelegt worden sei. weil
die letztere die erfreuliche und gegründete Aussicht hatte, auf diese Weise, ohn>
allen eigenen Aufwand an heroischen Entschlüssen, die ganze Gesellschaft beim
ersten Treffen gegen uns los zu werden. Diese Rechnung hätte dann die
italienische Regierung freilich ohne Rücksicht auf den unausrottbaren Selbst¬
erhaltungsbetrieb gemacht, welcher die Garibaldi'sche Rächerschaar beseelt.

Indessen, wie immer die italienische Politik und das Schicksal Nizzas
durch den Frieden sich gestalten möge: auf die Dauer liegt das gute Ein¬
vernehmen des deutschen und italienischen Staates im wohlverstandenen beider¬
seitigen Interesse, trotz aller Velleitäten der italienischen Radicalen. Wie wir
uns die völkerverknüpfende Straße tief durch den Schooß des Gotthard zu
einander bahnen müssen, um uns in der Nacht der Bergeshöhlung die Hand
zu reichen zu Schutz und Trutz unseres Handels und Verkehrs gegen dessen
Ausbeutung durch die östlichen und westlichen Handelsvölker, so gebietet unser
politisches Interesse uns Beiden gleich hohe Wachsamkeit gegen die künftigen
politischen Pläne Frankreichs und seiner etwaigen Bundesgenossen. Italien wird
nie vergessen, daß das italienische Elsaß und Lothringen Nizza und Savoyen
heißt. Frankreich niemals die Rolle der Schutzmacht der weltlichen Herrschaft
des Papstes aufgeben wollen --Hat doch selbst Jules Favre mitten im belagerten
Paris diese alte heillose französische Prätension für bessere Zeiten zurückgelegt.
So kann die Frage der Rückerwerbung Nizzas und Savoyens durch Italien
plötzlich praktische Gestalt gewinnen, und jederzeit ist von Interesse die Frage,
wie diese Landestheile an Frankreich gekommen sind. Die Denkschrift des
Nizza-Comite sagt darüber etwa das Folgende.

An der französischen Gesinnung der Bevölkerung Savoyens zweifelt die


wahren wir uns ausdrücklich dagegen, als ob diese Blätter sich schlechthin
mit den Strebungen des Nizza-Comite' identificiren, und an ihrem Theile
etwa die Wiedervereinigung Nizzas mit Italien als Bedingung unsres künf¬
tigen Friedens mit Frankreich erhöben. Wir werden unsern Frieden dies¬
mal — das erste Mal in der deutschen Geschichte — lediglich nach unserm
Staats-Jnteresse schließen, nach dem was dem deutschen Reiche frommt
oder nicht. Die Interessen Anderer werden dabei nur soweit Berücksich¬
tigung finden können, als sie mit den unsrigen identisch sind. Ob Italien
'diese Erkenntniß bis zum Friedensschluß schon in so hohem Grade zur Staats¬
raison erhoben haben wird, als vor fünf Jahren, erscheint fraglich ; mindestens
gestattet der Kreuzzug Garibaldi's wider uns Barbaren, und die Ohnmacht
der italienischen Regierung gegen dieses Treiben, einen ziemlich kräftigen
Schluß auf die Gesinnungen der radicalen Italiener und die Stellung der
Regierung zu dieser gefährlichen Minderheit ihrer Unterthanen. Man müßte
denn annehmen, daß dem General Garibaldi und seinen Helden von der
Regierung um deswillen kein Hinderniß in den Weg gelegt worden sei. weil
die letztere die erfreuliche und gegründete Aussicht hatte, auf diese Weise, ohn>
allen eigenen Aufwand an heroischen Entschlüssen, die ganze Gesellschaft beim
ersten Treffen gegen uns los zu werden. Diese Rechnung hätte dann die
italienische Regierung freilich ohne Rücksicht auf den unausrottbaren Selbst¬
erhaltungsbetrieb gemacht, welcher die Garibaldi'sche Rächerschaar beseelt.

Indessen, wie immer die italienische Politik und das Schicksal Nizzas
durch den Frieden sich gestalten möge: auf die Dauer liegt das gute Ein¬
vernehmen des deutschen und italienischen Staates im wohlverstandenen beider¬
seitigen Interesse, trotz aller Velleitäten der italienischen Radicalen. Wie wir
uns die völkerverknüpfende Straße tief durch den Schooß des Gotthard zu
einander bahnen müssen, um uns in der Nacht der Bergeshöhlung die Hand
zu reichen zu Schutz und Trutz unseres Handels und Verkehrs gegen dessen
Ausbeutung durch die östlichen und westlichen Handelsvölker, so gebietet unser
politisches Interesse uns Beiden gleich hohe Wachsamkeit gegen die künftigen
politischen Pläne Frankreichs und seiner etwaigen Bundesgenossen. Italien wird
nie vergessen, daß das italienische Elsaß und Lothringen Nizza und Savoyen
heißt. Frankreich niemals die Rolle der Schutzmacht der weltlichen Herrschaft
des Papstes aufgeben wollen —Hat doch selbst Jules Favre mitten im belagerten
Paris diese alte heillose französische Prätension für bessere Zeiten zurückgelegt.
So kann die Frage der Rückerwerbung Nizzas und Savoyens durch Italien
plötzlich praktische Gestalt gewinnen, und jederzeit ist von Interesse die Frage,
wie diese Landestheile an Frankreich gekommen sind. Die Denkschrift des
Nizza-Comite sagt darüber etwa das Folgende.

An der französischen Gesinnung der Bevölkerung Savoyens zweifelt die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/130>, abgerufen am 22.07.2024.