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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Lächeln zuckte über die Lippen des Mannes bei der Erwähnung von "Tau¬
senden". -- Die Schlacht von Sedan und die Capitulation von Metz hatte
sie noch nicht in Hunderttausende verwandelt.

Am künftigen Morgen stellte sich heraus, daß die armen Leute, welche
den französischen Aerzten übergeben worden waren, weder einen neuen Ver¬
band, noch Speise und Trank erhalten hatten. Nun trat Heine mit voller
Energie auf, vertrieb die Franzosen ans dem zweiten Stockwerk des rechten
Flügels. Simonin nur zwei Säle im ersten Stock überlassend, von wo er
alle deutschen Patienten abholen ließ, und wo er Simonin hinfort nur leichter
Verwundete, oder bereits amputirte Franzosen überließ.

Die Johanniter hatten viel für unser Lazareth gethan; sie waren uner-
müdlich bemüht in Herbeischaffung von Allem, was zu erringen war, sei es
aus ihrem Depot, oder durch Requisitionen von der Mairie. Was dagegen am
schwersten zu erlangen war, blieb Geld, um tausend nothwendige Haushal¬
tungsbedürfnisse zu kaufen, die nur mit baarem Geld zu erlangen waren, wie
Milch, Eier, Butter:e. Unsere Pflegerin legte großen Werth auf Eier, sie
hatte die Ertradiäten zu besorgen, und fütterte die Schwerverwundeten so reich¬
lich, als Privatmittel zuließen. Sie machte, wie ich zu beobachten oftmals
Gelegenheit hatte, alle die Qualen durch, die einer Hausfrau auferlegt find,
welche viel geben soll und wenig hat. Aus Dankbarkeit wurde sie scherzweise
"unsere Rabenmutter" genannt. Allmählich trat die Noth fühlbar heran, die
Borräthe an Wein. Weißzeug, Cigarren waren erschöpft. Unser Johanniter
tröstete mit der Aussicht auf das Eintreffen eines Zuges mit Liebesgaben
aus Stuttgart, den er herbeigerufen hatte; allein die Verkehrsstockungen ließen
für uns Alles befürchten. Da erschienen eines Morgens zwei Abgesandte aus
Würzburg'; sie brachten eine Biersendung und sollen noch andere Vorräthe
bei sich, die sie nach Kenntnißnahme von unserer Noth uns bereitwillig über¬
ließen. Keine Stunde verging fortan im Tabaklazareth, ohne daß der Würz¬
burger dankbar gedacht wurde. Mit ihren Gaben zog Wohlstand in die bis¬
her dürftige Halle ein. Doch noch mehr! Geschäftige, wohlmeinende Freunde
hatten einen Brief, der unsere Noth schilderte, in der Jude'pendance Belge
abdrucken lassen. Der Brief hatte einen großen Erfolg; nickt allein, daß er
eine Sammlung veranlaßte; er bewog eine Dame, welche denselben in Baden-
Baden las, nach Nanzig zu eilen, und ihre Mittel dem Tabakspital anzubie¬
ten. Ihren Namen darf ich nicht nennen; sie trat mit kindlicher Einfachheit
und anspruchslosester Bescheidenheit auf, brachte viele Stunden des Tages in
den Sälen zu, und war unermüdlich, wo sie helfen konnte. Die erwähnten
Stuttgarter Liebesgaben an Baron von Gall waren endlich auch eingetroffen
und wir waren geborgen.

Inzwischen drohte ein anderer Uebelstand uns schwere Unannehmlichkeiten


Lächeln zuckte über die Lippen des Mannes bei der Erwähnung von „Tau¬
senden". — Die Schlacht von Sedan und die Capitulation von Metz hatte
sie noch nicht in Hunderttausende verwandelt.

Am künftigen Morgen stellte sich heraus, daß die armen Leute, welche
den französischen Aerzten übergeben worden waren, weder einen neuen Ver¬
band, noch Speise und Trank erhalten hatten. Nun trat Heine mit voller
Energie auf, vertrieb die Franzosen ans dem zweiten Stockwerk des rechten
Flügels. Simonin nur zwei Säle im ersten Stock überlassend, von wo er
alle deutschen Patienten abholen ließ, und wo er Simonin hinfort nur leichter
Verwundete, oder bereits amputirte Franzosen überließ.

Die Johanniter hatten viel für unser Lazareth gethan; sie waren uner-
müdlich bemüht in Herbeischaffung von Allem, was zu erringen war, sei es
aus ihrem Depot, oder durch Requisitionen von der Mairie. Was dagegen am
schwersten zu erlangen war, blieb Geld, um tausend nothwendige Haushal¬
tungsbedürfnisse zu kaufen, die nur mit baarem Geld zu erlangen waren, wie
Milch, Eier, Butter:e. Unsere Pflegerin legte großen Werth auf Eier, sie
hatte die Ertradiäten zu besorgen, und fütterte die Schwerverwundeten so reich¬
lich, als Privatmittel zuließen. Sie machte, wie ich zu beobachten oftmals
Gelegenheit hatte, alle die Qualen durch, die einer Hausfrau auferlegt find,
welche viel geben soll und wenig hat. Aus Dankbarkeit wurde sie scherzweise
„unsere Rabenmutter" genannt. Allmählich trat die Noth fühlbar heran, die
Borräthe an Wein. Weißzeug, Cigarren waren erschöpft. Unser Johanniter
tröstete mit der Aussicht auf das Eintreffen eines Zuges mit Liebesgaben
aus Stuttgart, den er herbeigerufen hatte; allein die Verkehrsstockungen ließen
für uns Alles befürchten. Da erschienen eines Morgens zwei Abgesandte aus
Würzburg'; sie brachten eine Biersendung und sollen noch andere Vorräthe
bei sich, die sie nach Kenntnißnahme von unserer Noth uns bereitwillig über¬
ließen. Keine Stunde verging fortan im Tabaklazareth, ohne daß der Würz¬
burger dankbar gedacht wurde. Mit ihren Gaben zog Wohlstand in die bis¬
her dürftige Halle ein. Doch noch mehr! Geschäftige, wohlmeinende Freunde
hatten einen Brief, der unsere Noth schilderte, in der Jude'pendance Belge
abdrucken lassen. Der Brief hatte einen großen Erfolg; nickt allein, daß er
eine Sammlung veranlaßte; er bewog eine Dame, welche denselben in Baden-
Baden las, nach Nanzig zu eilen, und ihre Mittel dem Tabakspital anzubie¬
ten. Ihren Namen darf ich nicht nennen; sie trat mit kindlicher Einfachheit
und anspruchslosester Bescheidenheit auf, brachte viele Stunden des Tages in
den Sälen zu, und war unermüdlich, wo sie helfen konnte. Die erwähnten
Stuttgarter Liebesgaben an Baron von Gall waren endlich auch eingetroffen
und wir waren geborgen.

Inzwischen drohte ein anderer Uebelstand uns schwere Unannehmlichkeiten


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[0126] Lächeln zuckte über die Lippen des Mannes bei der Erwähnung von „Tau¬ senden". — Die Schlacht von Sedan und die Capitulation von Metz hatte sie noch nicht in Hunderttausende verwandelt. Am künftigen Morgen stellte sich heraus, daß die armen Leute, welche den französischen Aerzten übergeben worden waren, weder einen neuen Ver¬ band, noch Speise und Trank erhalten hatten. Nun trat Heine mit voller Energie auf, vertrieb die Franzosen ans dem zweiten Stockwerk des rechten Flügels. Simonin nur zwei Säle im ersten Stock überlassend, von wo er alle deutschen Patienten abholen ließ, und wo er Simonin hinfort nur leichter Verwundete, oder bereits amputirte Franzosen überließ. Die Johanniter hatten viel für unser Lazareth gethan; sie waren uner- müdlich bemüht in Herbeischaffung von Allem, was zu erringen war, sei es aus ihrem Depot, oder durch Requisitionen von der Mairie. Was dagegen am schwersten zu erlangen war, blieb Geld, um tausend nothwendige Haushal¬ tungsbedürfnisse zu kaufen, die nur mit baarem Geld zu erlangen waren, wie Milch, Eier, Butter:e. Unsere Pflegerin legte großen Werth auf Eier, sie hatte die Ertradiäten zu besorgen, und fütterte die Schwerverwundeten so reich¬ lich, als Privatmittel zuließen. Sie machte, wie ich zu beobachten oftmals Gelegenheit hatte, alle die Qualen durch, die einer Hausfrau auferlegt find, welche viel geben soll und wenig hat. Aus Dankbarkeit wurde sie scherzweise „unsere Rabenmutter" genannt. Allmählich trat die Noth fühlbar heran, die Borräthe an Wein. Weißzeug, Cigarren waren erschöpft. Unser Johanniter tröstete mit der Aussicht auf das Eintreffen eines Zuges mit Liebesgaben aus Stuttgart, den er herbeigerufen hatte; allein die Verkehrsstockungen ließen für uns Alles befürchten. Da erschienen eines Morgens zwei Abgesandte aus Würzburg'; sie brachten eine Biersendung und sollen noch andere Vorräthe bei sich, die sie nach Kenntnißnahme von unserer Noth uns bereitwillig über¬ ließen. Keine Stunde verging fortan im Tabaklazareth, ohne daß der Würz¬ burger dankbar gedacht wurde. Mit ihren Gaben zog Wohlstand in die bis¬ her dürftige Halle ein. Doch noch mehr! Geschäftige, wohlmeinende Freunde hatten einen Brief, der unsere Noth schilderte, in der Jude'pendance Belge abdrucken lassen. Der Brief hatte einen großen Erfolg; nickt allein, daß er eine Sammlung veranlaßte; er bewog eine Dame, welche denselben in Baden- Baden las, nach Nanzig zu eilen, und ihre Mittel dem Tabakspital anzubie¬ ten. Ihren Namen darf ich nicht nennen; sie trat mit kindlicher Einfachheit und anspruchslosester Bescheidenheit auf, brachte viele Stunden des Tages in den Sälen zu, und war unermüdlich, wo sie helfen konnte. Die erwähnten Stuttgarter Liebesgaben an Baron von Gall waren endlich auch eingetroffen und wir waren geborgen. Inzwischen drohte ein anderer Uebelstand uns schwere Unannehmlichkeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/126>, abgerufen am 01.07.2024.