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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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eine vereinigen. Wohl hat Deutschland bis jetzt noch höhere Zölle als wir
und wir würden eigentlich einen Rückschritt thun; aber die Vortheile, die uns
das größere Arbeitsfeld bringt, wiegen bedeutend schwerer, als die Höhe
an Eingangszöllen, die wir im Zollverein wahrscheinlich zahlen müßten.

Bei dem so bedeutend erweiterten Arbeitsfeld kann sich unsere Energie
wieder heben, aber auch der Einfluß, den deutscher Unternehmungsgeist auf
uns ausüben wird, muß uns sehr zuträglich sein. Mit einem Anschluß an
den Zollverein müßte selbstredend unser coloniales Monopolshstem aufhören;
unter der Concurrenz müßte der Handel erstarken, unter fremder Hilfe, frem¬
der Initiative könnte auf unserem Boden so Manches zur Hebung unseres
Wohlstandes gethan werden, was zugleich im Interesse unserer Nachbarn liegt.

Werden wir volkswirthschaftlich gehoben, und dadurch unsere Seene^kraft
erhöht, dann können wir bei einem rationellen Steuersystem unsere Ausgaben
selbst bestretten und mit einiger Bereitwilligkeit auch für eine gute Landesver¬
theidigung sorgen. Wir könnten dann einen Defensivvertrag mit Deutschland
schließen, was augenblicklich eine Ungereimtheit wäre; denn unter den gegen¬
wärtigen Umständen würde ein solcher Vertrag unserm Bundesgenossen nur
eine Schwäche bereiten.

Unser Anschluß an Deutschland, der mehr und mehr eine Nothwendig¬
keit wird, muß langsam und freiwillig sein, und zwar unter der Bedingung,
daß uns die größtmögliche Selbständigkeit gelassen wird. Zwang würde das
Ziel immer weiter hinaufrücken. Wir gehören wirthschaftlich und geistig zu
Deutschland, aber unser früheres nationales Volksleben gibt uns dagegen
Recht auf eine Sonderstellung und Unabhängigkeit. Geht indessen unser
Dasein in ein bloßes Begetiren über, -- und wir sind auf gutem Wege dazu
-- dann verlieren wir allen Grund eigenen Bestehens.

Ist unsere Schilderung einseitig oder übertrieben? Man lese unsere Zei¬
tungen, Monatsschriften und Broschüren; überall findet man Klagen über
die gegenwärtigen Zustände, entmuthigte Stimmung, Ermahnungen an das
Volk und bittere Vorwürfe; und wiederum der Gegensatz: hochtrabende
Phrasen von eigner Vollkommenheit, Selbstüberhebung, lügenhafte Vorstellun¬
gen und Geringschätzung Anderer. Man sieht, die Tradition unsere Vor¬
fahren kämpft gegen Ueberzeugung und Wirklichkeit.

Möge diese kurze Skizze diejenigen in Deutschland, die vielleicht noch
von Annexion der "reichen Niederlande und ihrer Colonien" träumen, zur
Ueberzeugung bringen, daß der Besitz unseres Landes seine großen Schatten¬
seiten hat.




eine vereinigen. Wohl hat Deutschland bis jetzt noch höhere Zölle als wir
und wir würden eigentlich einen Rückschritt thun; aber die Vortheile, die uns
das größere Arbeitsfeld bringt, wiegen bedeutend schwerer, als die Höhe
an Eingangszöllen, die wir im Zollverein wahrscheinlich zahlen müßten.

Bei dem so bedeutend erweiterten Arbeitsfeld kann sich unsere Energie
wieder heben, aber auch der Einfluß, den deutscher Unternehmungsgeist auf
uns ausüben wird, muß uns sehr zuträglich sein. Mit einem Anschluß an
den Zollverein müßte selbstredend unser coloniales Monopolshstem aufhören;
unter der Concurrenz müßte der Handel erstarken, unter fremder Hilfe, frem¬
der Initiative könnte auf unserem Boden so Manches zur Hebung unseres
Wohlstandes gethan werden, was zugleich im Interesse unserer Nachbarn liegt.

Werden wir volkswirthschaftlich gehoben, und dadurch unsere Seene^kraft
erhöht, dann können wir bei einem rationellen Steuersystem unsere Ausgaben
selbst bestretten und mit einiger Bereitwilligkeit auch für eine gute Landesver¬
theidigung sorgen. Wir könnten dann einen Defensivvertrag mit Deutschland
schließen, was augenblicklich eine Ungereimtheit wäre; denn unter den gegen¬
wärtigen Umständen würde ein solcher Vertrag unserm Bundesgenossen nur
eine Schwäche bereiten.

Unser Anschluß an Deutschland, der mehr und mehr eine Nothwendig¬
keit wird, muß langsam und freiwillig sein, und zwar unter der Bedingung,
daß uns die größtmögliche Selbständigkeit gelassen wird. Zwang würde das
Ziel immer weiter hinaufrücken. Wir gehören wirthschaftlich und geistig zu
Deutschland, aber unser früheres nationales Volksleben gibt uns dagegen
Recht auf eine Sonderstellung und Unabhängigkeit. Geht indessen unser
Dasein in ein bloßes Begetiren über, — und wir sind auf gutem Wege dazu
— dann verlieren wir allen Grund eigenen Bestehens.

Ist unsere Schilderung einseitig oder übertrieben? Man lese unsere Zei¬
tungen, Monatsschriften und Broschüren; überall findet man Klagen über
die gegenwärtigen Zustände, entmuthigte Stimmung, Ermahnungen an das
Volk und bittere Vorwürfe; und wiederum der Gegensatz: hochtrabende
Phrasen von eigner Vollkommenheit, Selbstüberhebung, lügenhafte Vorstellun¬
gen und Geringschätzung Anderer. Man sieht, die Tradition unsere Vor¬
fahren kämpft gegen Ueberzeugung und Wirklichkeit.

Möge diese kurze Skizze diejenigen in Deutschland, die vielleicht noch
von Annexion der „reichen Niederlande und ihrer Colonien" träumen, zur
Ueberzeugung bringen, daß der Besitz unseres Landes seine großen Schatten¬
seiten hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/124>, abgerufen am 01.07.2024.