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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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in Gefahr zu bringen, und betheuerte laut seine Gesinnungslosigkeit. So wie
aber die Siege der deutschen Waffen und die Enthüllungen über die Ent¬
würfe Benedetti's kamen, schöpfte man Muth. Mit der Erkenntniß des
physischen und moralischen Uebergewichts der Deutschen kam auch das
Bewußtsein der Stammverwandtschaft zurück. Nur unser Hof scheint sehr
stark zu dem der Tuilerien hingeneigt zu haben, aber die Strömungen in den
höchsten Regionen haben glücklicherweise sehr wenig Einfluß auf den Gang
unserer Geschäfte.

Man sprach offen seine Freude über die deutschen Siege aus, und die
Hoffnung, daß alles Uebergewicht Frankreichs gebrochen würde. Dennoch
blieben französische Sympathien auch im Volke bestehen. Das Organ der
conservativen Partei, das Tageblatt vom Haag und die ultramontanen
Blätter können ihre Abneigung gegen Deutschland nicht verhehlen. Aber
auch nach der Katastrophe von Sedan ist eine Reaction gegen deutsche Zu¬
neigung zu spüren. Man hat sich hier in das Vorurtheil hineingelebt, daß
Kriege nur durch Regierungen geführt werden. Man glaubt lieber Ver¬
sicherungen eines Favre, daß die französische Nation den Krieg nicht gewollt
hat, als sich durch die Geschichte unseres Jahrhunderts belehren zu lassen.
Deutschland führt deshalb seit der Gefangennahme Napoleon's Krieg gegen
das unschuldige Frankreich. Nach Sedan hätte der Frieden geschlossen wer¬
den müssen; auf welche Weise? darüber ist man sich natürlich nicht klar.
Es ist der nur zu natürliche Wunsch nach Frieden, der die Holländer unge¬
recht gegen die Deutschen macht. Dieses Verlangen und der Mangel an
Erkenntniß der Natur des gegenwärtigen Krieges geben sich in der Consti^
tuirung eines "Friedensbundes" kund, der mit allerhand Hausmittelchen die
Menschheit von dem schrecklichen Uebel des Krieges erlösen soll.

Solche unrichtige Vorstellungen sind einem größern, wenig gebildeten Pub-
licum zu verzeihen, nicht aber einem Geschichtsforscher wie Herr Green van
Prinsterer. Man würde vielleicht zu weit gehen, ihm absichtliche Fälschung
der Geschichte -- wogegen er selbst so sehr eifert -- vorzuwerfen, aber man
kann sich des Gedankens an eine solche nicht erwehren, wenn man ihn aus
Citaten von Thiers, Guizot u. a. beweisen hört, daß die Franzosen ein fried¬
fertiges Volk sind. Herr Green scheint die ministerielle Thätigkeit Thiers'
in den 40er Jahren, seine und Favre's Reden im Jahre 66. vergessen, er¬
scheint in einem Worte sein historisches Wissen verlernt zu haben.

Aber Herr Green ist zu viel Parteimann um ein vorurtheilsfreier Historiker
zu sein. Der Führer der Antirevolutionären sieht in Napoleon sowohl als
in dem Grafen Bismarck Revolutionäre nach Stahl'schen Begriffen. Das
Nationalitätsprincip ist ihm ein Greuel; der Krieg gegen Dänemark, die
Annexionen Hannovers und des Elsaß sind ihm Thaten der Revolution.


in Gefahr zu bringen, und betheuerte laut seine Gesinnungslosigkeit. So wie
aber die Siege der deutschen Waffen und die Enthüllungen über die Ent¬
würfe Benedetti's kamen, schöpfte man Muth. Mit der Erkenntniß des
physischen und moralischen Uebergewichts der Deutschen kam auch das
Bewußtsein der Stammverwandtschaft zurück. Nur unser Hof scheint sehr
stark zu dem der Tuilerien hingeneigt zu haben, aber die Strömungen in den
höchsten Regionen haben glücklicherweise sehr wenig Einfluß auf den Gang
unserer Geschäfte.

Man sprach offen seine Freude über die deutschen Siege aus, und die
Hoffnung, daß alles Uebergewicht Frankreichs gebrochen würde. Dennoch
blieben französische Sympathien auch im Volke bestehen. Das Organ der
conservativen Partei, das Tageblatt vom Haag und die ultramontanen
Blätter können ihre Abneigung gegen Deutschland nicht verhehlen. Aber
auch nach der Katastrophe von Sedan ist eine Reaction gegen deutsche Zu¬
neigung zu spüren. Man hat sich hier in das Vorurtheil hineingelebt, daß
Kriege nur durch Regierungen geführt werden. Man glaubt lieber Ver¬
sicherungen eines Favre, daß die französische Nation den Krieg nicht gewollt
hat, als sich durch die Geschichte unseres Jahrhunderts belehren zu lassen.
Deutschland führt deshalb seit der Gefangennahme Napoleon's Krieg gegen
das unschuldige Frankreich. Nach Sedan hätte der Frieden geschlossen wer¬
den müssen; auf welche Weise? darüber ist man sich natürlich nicht klar.
Es ist der nur zu natürliche Wunsch nach Frieden, der die Holländer unge¬
recht gegen die Deutschen macht. Dieses Verlangen und der Mangel an
Erkenntniß der Natur des gegenwärtigen Krieges geben sich in der Consti^
tuirung eines „Friedensbundes" kund, der mit allerhand Hausmittelchen die
Menschheit von dem schrecklichen Uebel des Krieges erlösen soll.

Solche unrichtige Vorstellungen sind einem größern, wenig gebildeten Pub-
licum zu verzeihen, nicht aber einem Geschichtsforscher wie Herr Green van
Prinsterer. Man würde vielleicht zu weit gehen, ihm absichtliche Fälschung
der Geschichte — wogegen er selbst so sehr eifert — vorzuwerfen, aber man
kann sich des Gedankens an eine solche nicht erwehren, wenn man ihn aus
Citaten von Thiers, Guizot u. a. beweisen hört, daß die Franzosen ein fried¬
fertiges Volk sind. Herr Green scheint die ministerielle Thätigkeit Thiers'
in den 40er Jahren, seine und Favre's Reden im Jahre 66. vergessen, er¬
scheint in einem Worte sein historisches Wissen verlernt zu haben.

Aber Herr Green ist zu viel Parteimann um ein vorurtheilsfreier Historiker
zu sein. Der Führer der Antirevolutionären sieht in Napoleon sowohl als
in dem Grafen Bismarck Revolutionäre nach Stahl'schen Begriffen. Das
Nationalitätsprincip ist ihm ein Greuel; der Krieg gegen Dänemark, die
Annexionen Hannovers und des Elsaß sind ihm Thaten der Revolution.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/119>, abgerufen am 22.07.2024.