Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen im Jahr 1870 zu den größten aller Zeiten und Völker zählen und den
Frieden, den das Neue Jahr herausführt, zu einem der hervorragendsten Mark¬
steine aller bekannten Geschichte rechnen. Unser eigener Blick aber schaut
freier und^-unbefangener in die Vergangenheit, in die Zukunft an der Wende
zweier/so bedeutsamer Jahre.

^/Mitten in glücklichster Friedensarbeit stand das Deutsche Volk zu Beginn
des nun scheidenden Jahres. Drei Jahre lang hatte der verbündete Norden
nach außen und innen sich seiner einheitlichen staatsmännischen Leitung, der
rüstigsten und bedeutsamsten Reformen auf allen Gebieten der modernen Gesetz¬
gebung erfreut. Alles, was die Macht und die Sicherheit des neuen Deutsch¬
lands begründete: Heer und Flotte, diplomatische Vertretung und die Verbün¬
dung von Nord und Süd zu Schutz und Trutz, Gedeih und Verderb, war in
diesen drei Jahren neugestaltet worden. Das Frühjahr 1870, die letzte Session
-des ersten verfassungsmäßigen Norddeutschen Reichstags -- wie man ver¬
meinte -- hatte das norddeutsche Gesetzgebungswerk der ganzen Wahlperiode
in würdigster Weise abgeschlossen. Die deutsche Rechtseinheit hatte in dem
aus dem Widerstreit der Parteien und überkommenen Vorurtheilen mit Mühe
geretteten Strafgesetzbuch das werthvollste Stück aller deutschen Codificationen
gewonnen. Die deutsche Wirthschaft, und namentlich die ökonomische Stellung
der Gemeinden, hatte in dem Gesetze über den Unterstützungswohnsitz eine
ebenso wichtige Bereicherung erhalten, als deutsche Geistesarbeit und künst¬
lerische Schöpferkraft durch das Gesetz über das literarische Eigenthum sich
befriedet und geschützt sah. Von dem nämlichen Erfolge waren noch in dem¬
selben Frühjahr die langjährigen vergeblichen Versuche einer Zolltarifreform
gekrönt worden. Gegen eine unbedeutende und jedenfalls dem Konsumenten
unfühlbare Erhöhung des Kaffeezolls hatten die segensreichen freihändlerischen
Gedanken des modernen Verkehrs, die seit mehr als einem Menschenalter
Preußen im Zollverein und dem Ausland gegenüber siegreich und unaufhalt¬
sam vertreten hatte, in dem Tarif des Zollvereins klare und allgemeine Gel¬
tung erhalten. Damit hatte auch das deutsche Zollparlament seine beste Arbeit
gethan. Den rothen und schwarzen Feinden der deutschen Staatseinheit be¬
gann bange zu werden vor den greifbaren Werken des nationalen Gedankens.
Denn schon eine ganze Reihe norddeutscher Gesetze hatten die Staaten südlich
des Main fast unverändert sich angeeignet. Und in dem persönlichen Verkehr
der Abgeordneten des Südens mit denen des Nordens lag eine frische und
ewig neue Stärkung zu der schweren Arbeit, welche den nationalen Männern
des Südens auf dem harten Boden ihrer Heimath bevorstand. Kein Com-
petenzeinwand gegen die Befugnisse des Zollparlaments konnte diese starken
Wurzeln der Kraft der süddeutschen Nationalpartei abschneiden. Diese Partei
zählte in Baden im Volk und in den Kammern schon die ganz überwiegende Mehr-


sehen im Jahr 1870 zu den größten aller Zeiten und Völker zählen und den
Frieden, den das Neue Jahr herausführt, zu einem der hervorragendsten Mark¬
steine aller bekannten Geschichte rechnen. Unser eigener Blick aber schaut
freier und^-unbefangener in die Vergangenheit, in die Zukunft an der Wende
zweier/so bedeutsamer Jahre.

^/Mitten in glücklichster Friedensarbeit stand das Deutsche Volk zu Beginn
des nun scheidenden Jahres. Drei Jahre lang hatte der verbündete Norden
nach außen und innen sich seiner einheitlichen staatsmännischen Leitung, der
rüstigsten und bedeutsamsten Reformen auf allen Gebieten der modernen Gesetz¬
gebung erfreut. Alles, was die Macht und die Sicherheit des neuen Deutsch¬
lands begründete: Heer und Flotte, diplomatische Vertretung und die Verbün¬
dung von Nord und Süd zu Schutz und Trutz, Gedeih und Verderb, war in
diesen drei Jahren neugestaltet worden. Das Frühjahr 1870, die letzte Session
-des ersten verfassungsmäßigen Norddeutschen Reichstags — wie man ver¬
meinte — hatte das norddeutsche Gesetzgebungswerk der ganzen Wahlperiode
in würdigster Weise abgeschlossen. Die deutsche Rechtseinheit hatte in dem
aus dem Widerstreit der Parteien und überkommenen Vorurtheilen mit Mühe
geretteten Strafgesetzbuch das werthvollste Stück aller deutschen Codificationen
gewonnen. Die deutsche Wirthschaft, und namentlich die ökonomische Stellung
der Gemeinden, hatte in dem Gesetze über den Unterstützungswohnsitz eine
ebenso wichtige Bereicherung erhalten, als deutsche Geistesarbeit und künst¬
lerische Schöpferkraft durch das Gesetz über das literarische Eigenthum sich
befriedet und geschützt sah. Von dem nämlichen Erfolge waren noch in dem¬
selben Frühjahr die langjährigen vergeblichen Versuche einer Zolltarifreform
gekrönt worden. Gegen eine unbedeutende und jedenfalls dem Konsumenten
unfühlbare Erhöhung des Kaffeezolls hatten die segensreichen freihändlerischen
Gedanken des modernen Verkehrs, die seit mehr als einem Menschenalter
Preußen im Zollverein und dem Ausland gegenüber siegreich und unaufhalt¬
sam vertreten hatte, in dem Tarif des Zollvereins klare und allgemeine Gel¬
tung erhalten. Damit hatte auch das deutsche Zollparlament seine beste Arbeit
gethan. Den rothen und schwarzen Feinden der deutschen Staatseinheit be¬
gann bange zu werden vor den greifbaren Werken des nationalen Gedankens.
Denn schon eine ganze Reihe norddeutscher Gesetze hatten die Staaten südlich
des Main fast unverändert sich angeeignet. Und in dem persönlichen Verkehr
der Abgeordneten des Südens mit denen des Nordens lag eine frische und
ewig neue Stärkung zu der schweren Arbeit, welche den nationalen Männern
des Südens auf dem harten Boden ihrer Heimath bevorstand. Kein Com-
petenzeinwand gegen die Befugnisse des Zollparlaments konnte diese starken
Wurzeln der Kraft der süddeutschen Nationalpartei abschneiden. Diese Partei
zählte in Baden im Volk und in den Kammern schon die ganz überwiegende Mehr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125254"/>
          <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> sehen im Jahr 1870 zu den größten aller Zeiten und Völker zählen und den<lb/>
Frieden, den das Neue Jahr herausführt, zu einem der hervorragendsten Mark¬<lb/>
steine aller bekannten Geschichte rechnen. Unser eigener Blick aber schaut<lb/>
freier und^-unbefangener in die Vergangenheit, in die Zukunft an der Wende<lb/>
zweier/so bedeutsamer Jahre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> ^/Mitten in glücklichster Friedensarbeit stand das Deutsche Volk zu Beginn<lb/>
des nun scheidenden Jahres. Drei Jahre lang hatte der verbündete Norden<lb/>
nach außen und innen sich seiner einheitlichen staatsmännischen Leitung, der<lb/>
rüstigsten und bedeutsamsten Reformen auf allen Gebieten der modernen Gesetz¬<lb/>
gebung erfreut. Alles, was die Macht und die Sicherheit des neuen Deutsch¬<lb/>
lands begründete: Heer und Flotte, diplomatische Vertretung und die Verbün¬<lb/>
dung von Nord und Süd zu Schutz und Trutz, Gedeih und Verderb, war in<lb/>
diesen drei Jahren neugestaltet worden. Das Frühjahr 1870, die letzte Session<lb/>
-des ersten verfassungsmäßigen Norddeutschen Reichstags &#x2014; wie man ver¬<lb/>
meinte &#x2014; hatte das norddeutsche Gesetzgebungswerk der ganzen Wahlperiode<lb/>
in würdigster Weise abgeschlossen. Die deutsche Rechtseinheit hatte in dem<lb/>
aus dem Widerstreit der Parteien und überkommenen Vorurtheilen mit Mühe<lb/>
geretteten Strafgesetzbuch das werthvollste Stück aller deutschen Codificationen<lb/>
gewonnen. Die deutsche Wirthschaft, und namentlich die ökonomische Stellung<lb/>
der Gemeinden, hatte in dem Gesetze über den Unterstützungswohnsitz eine<lb/>
ebenso wichtige Bereicherung erhalten, als deutsche Geistesarbeit und künst¬<lb/>
lerische Schöpferkraft durch das Gesetz über das literarische Eigenthum sich<lb/>
befriedet und geschützt sah. Von dem nämlichen Erfolge waren noch in dem¬<lb/>
selben Frühjahr die langjährigen vergeblichen Versuche einer Zolltarifreform<lb/>
gekrönt worden. Gegen eine unbedeutende und jedenfalls dem Konsumenten<lb/>
unfühlbare Erhöhung des Kaffeezolls hatten die segensreichen freihändlerischen<lb/>
Gedanken des modernen Verkehrs, die seit mehr als einem Menschenalter<lb/>
Preußen im Zollverein und dem Ausland gegenüber siegreich und unaufhalt¬<lb/>
sam vertreten hatte, in dem Tarif des Zollvereins klare und allgemeine Gel¬<lb/>
tung erhalten. Damit hatte auch das deutsche Zollparlament seine beste Arbeit<lb/>
gethan. Den rothen und schwarzen Feinden der deutschen Staatseinheit be¬<lb/>
gann bange zu werden vor den greifbaren Werken des nationalen Gedankens.<lb/>
Denn schon eine ganze Reihe norddeutscher Gesetze hatten die Staaten südlich<lb/>
des Main fast unverändert sich angeeignet. Und in dem persönlichen Verkehr<lb/>
der Abgeordneten des Südens mit denen des Nordens lag eine frische und<lb/>
ewig neue Stärkung zu der schweren Arbeit, welche den nationalen Männern<lb/>
des Südens auf dem harten Boden ihrer Heimath bevorstand. Kein Com-<lb/>
petenzeinwand gegen die Befugnisse des Zollparlaments konnte diese starken<lb/>
Wurzeln der Kraft der süddeutschen Nationalpartei abschneiden. Diese Partei<lb/>
zählte in Baden im Volk und in den Kammern schon die ganz überwiegende Mehr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] sehen im Jahr 1870 zu den größten aller Zeiten und Völker zählen und den Frieden, den das Neue Jahr herausführt, zu einem der hervorragendsten Mark¬ steine aller bekannten Geschichte rechnen. Unser eigener Blick aber schaut freier und^-unbefangener in die Vergangenheit, in die Zukunft an der Wende zweier/so bedeutsamer Jahre. ^/Mitten in glücklichster Friedensarbeit stand das Deutsche Volk zu Beginn des nun scheidenden Jahres. Drei Jahre lang hatte der verbündete Norden nach außen und innen sich seiner einheitlichen staatsmännischen Leitung, der rüstigsten und bedeutsamsten Reformen auf allen Gebieten der modernen Gesetz¬ gebung erfreut. Alles, was die Macht und die Sicherheit des neuen Deutsch¬ lands begründete: Heer und Flotte, diplomatische Vertretung und die Verbün¬ dung von Nord und Süd zu Schutz und Trutz, Gedeih und Verderb, war in diesen drei Jahren neugestaltet worden. Das Frühjahr 1870, die letzte Session -des ersten verfassungsmäßigen Norddeutschen Reichstags — wie man ver¬ meinte — hatte das norddeutsche Gesetzgebungswerk der ganzen Wahlperiode in würdigster Weise abgeschlossen. Die deutsche Rechtseinheit hatte in dem aus dem Widerstreit der Parteien und überkommenen Vorurtheilen mit Mühe geretteten Strafgesetzbuch das werthvollste Stück aller deutschen Codificationen gewonnen. Die deutsche Wirthschaft, und namentlich die ökonomische Stellung der Gemeinden, hatte in dem Gesetze über den Unterstützungswohnsitz eine ebenso wichtige Bereicherung erhalten, als deutsche Geistesarbeit und künst¬ lerische Schöpferkraft durch das Gesetz über das literarische Eigenthum sich befriedet und geschützt sah. Von dem nämlichen Erfolge waren noch in dem¬ selben Frühjahr die langjährigen vergeblichen Versuche einer Zolltarifreform gekrönt worden. Gegen eine unbedeutende und jedenfalls dem Konsumenten unfühlbare Erhöhung des Kaffeezolls hatten die segensreichen freihändlerischen Gedanken des modernen Verkehrs, die seit mehr als einem Menschenalter Preußen im Zollverein und dem Ausland gegenüber siegreich und unaufhalt¬ sam vertreten hatte, in dem Tarif des Zollvereins klare und allgemeine Gel¬ tung erhalten. Damit hatte auch das deutsche Zollparlament seine beste Arbeit gethan. Den rothen und schwarzen Feinden der deutschen Staatseinheit be¬ gann bange zu werden vor den greifbaren Werken des nationalen Gedankens. Denn schon eine ganze Reihe norddeutscher Gesetze hatten die Staaten südlich des Main fast unverändert sich angeeignet. Und in dem persönlichen Verkehr der Abgeordneten des Südens mit denen des Nordens lag eine frische und ewig neue Stärkung zu der schweren Arbeit, welche den nationalen Männern des Südens auf dem harten Boden ihrer Heimath bevorstand. Kein Com- petenzeinwand gegen die Befugnisse des Zollparlaments konnte diese starken Wurzeln der Kraft der süddeutschen Nationalpartei abschneiden. Diese Partei zählte in Baden im Volk und in den Kammern schon die ganz überwiegende Mehr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/10>, abgerufen am 22.07.2024.