Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Rechtlich hatte England im Krimmkriege nicht nur eben so viel Recht, sich
über Preußens Haltung zu beklagen, als wir jetzt über die seinige, sondern
weit mehr. Die Sache stand nämlich damals so, daß Preußen und der Zoll¬
verein erklärten, ihre Waffenausfuhr nach Rußland des Krieges wegen nicht
beschränken zu können, und hierüber beschwerte sich England auch gar nicht,
erkannte vielmehr an, daß jedes Land in dieser Beziehung thun könne, was
ihm gut scheine. Aber Preußen verbot die Waffen d urchsuhr durch sein
Gebiet nach Nußland und ließ es gleichwohl zu, daß dies Verbot fortwährend
übertreten oder umgangen ward; hierüber allein beklagte sich England und
mit Recht, denn jeder Kriegführende hat das Recht, sich zu beschweren
wenn ein Neutraler sein eigenes Gesetz zu Gunsten des anderen Krieg¬
führenden übertreten läßt.

Die ganze Argumentation der Bernstorff'schen Note ist hinfällig, während
sie die oben ausgeführten unwiderleglicher Momente gegen Englands Ver¬
fahren so gut wie unberücksichtigt läßt. Es ist daher Lord Grenville sehr
leicht geworden, den Botschafter in der höflichsten Form zu widerlegen und
die gesammte englische Presse hat die Theorie der densvolent usutralit? nicht
etwa erbittert angegriffen, sondern als ungereimt verspottet. Das ist für
das deutsche Selbstgefühl doppelt empfindlich in einem Augenblicke, wo wir
vor der Welt so groß dastehen; die Bernstorff'sche Note bildet einen peinlichen
Gegensatz zu den neueren Bismarck'schen Circularen. Während hier alles Nerv
und Schneide ist, so daß selbst die Deutschland mißgünstige Presse eingestehen
muß, der Bundeskanzler habe sich auf einen fast unangreifbaren Standpunkt
gestellt, finden wir dort jene Unklarheit wieder, die an das Regiment erinnert,
das uns die identischen Noten einbrachte.

Wir hoffen indeß zuversichtlich, daß der Eindruck dieses wenig geschick¬
ten Documents durch die Ereignisse verwischt werden und das Gefühl,
welchen Werth die deutsche Allianz für England haben müsse, immer mehr
zum Durchbruch kommen wird. Auch ist nicht unerwähnt zu lassen, daß die
Negierung unter der Hand das möglichste gethan, die Waffenaussuhr dadurch
zu hindern, daß sie selbst die Fabriken durch große Bestellungen vollauf in
Anspruch nahm und die Eisenbahnen veranlaßte, bekannt zu machen, daß sie
keine Waffentransporte übernehmen wollten. Als ein wesentlicher Schritt zur An¬
näherung beider Länder könnten sich die völkerrechtlichen Conferenzen erweisen, zu
denen sich Lord Grenville am Schluß seiner Antwort bereit zeigt, um manche
streitige Fragen durch internationales Abkommen zu beseitigen.




Rechtlich hatte England im Krimmkriege nicht nur eben so viel Recht, sich
über Preußens Haltung zu beklagen, als wir jetzt über die seinige, sondern
weit mehr. Die Sache stand nämlich damals so, daß Preußen und der Zoll¬
verein erklärten, ihre Waffenausfuhr nach Rußland des Krieges wegen nicht
beschränken zu können, und hierüber beschwerte sich England auch gar nicht,
erkannte vielmehr an, daß jedes Land in dieser Beziehung thun könne, was
ihm gut scheine. Aber Preußen verbot die Waffen d urchsuhr durch sein
Gebiet nach Nußland und ließ es gleichwohl zu, daß dies Verbot fortwährend
übertreten oder umgangen ward; hierüber allein beklagte sich England und
mit Recht, denn jeder Kriegführende hat das Recht, sich zu beschweren
wenn ein Neutraler sein eigenes Gesetz zu Gunsten des anderen Krieg¬
führenden übertreten läßt.

Die ganze Argumentation der Bernstorff'schen Note ist hinfällig, während
sie die oben ausgeführten unwiderleglicher Momente gegen Englands Ver¬
fahren so gut wie unberücksichtigt läßt. Es ist daher Lord Grenville sehr
leicht geworden, den Botschafter in der höflichsten Form zu widerlegen und
die gesammte englische Presse hat die Theorie der densvolent usutralit? nicht
etwa erbittert angegriffen, sondern als ungereimt verspottet. Das ist für
das deutsche Selbstgefühl doppelt empfindlich in einem Augenblicke, wo wir
vor der Welt so groß dastehen; die Bernstorff'sche Note bildet einen peinlichen
Gegensatz zu den neueren Bismarck'schen Circularen. Während hier alles Nerv
und Schneide ist, so daß selbst die Deutschland mißgünstige Presse eingestehen
muß, der Bundeskanzler habe sich auf einen fast unangreifbaren Standpunkt
gestellt, finden wir dort jene Unklarheit wieder, die an das Regiment erinnert,
das uns die identischen Noten einbrachte.

Wir hoffen indeß zuversichtlich, daß der Eindruck dieses wenig geschick¬
ten Documents durch die Ereignisse verwischt werden und das Gefühl,
welchen Werth die deutsche Allianz für England haben müsse, immer mehr
zum Durchbruch kommen wird. Auch ist nicht unerwähnt zu lassen, daß die
Negierung unter der Hand das möglichste gethan, die Waffenaussuhr dadurch
zu hindern, daß sie selbst die Fabriken durch große Bestellungen vollauf in
Anspruch nahm und die Eisenbahnen veranlaßte, bekannt zu machen, daß sie
keine Waffentransporte übernehmen wollten. Als ein wesentlicher Schritt zur An¬
näherung beider Länder könnten sich die völkerrechtlichen Conferenzen erweisen, zu
denen sich Lord Grenville am Schluß seiner Antwort bereit zeigt, um manche
streitige Fragen durch internationales Abkommen zu beseitigen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124775"/>
          <p xml:id="ID_187" prev="#ID_186"> Rechtlich hatte England im Krimmkriege nicht nur eben so viel Recht, sich<lb/>
über Preußens Haltung zu beklagen, als wir jetzt über die seinige, sondern<lb/>
weit mehr. Die Sache stand nämlich damals so, daß Preußen und der Zoll¬<lb/>
verein erklärten, ihre Waffenausfuhr nach Rußland des Krieges wegen nicht<lb/>
beschränken zu können, und hierüber beschwerte sich England auch gar nicht,<lb/>
erkannte vielmehr an, daß jedes Land in dieser Beziehung thun könne, was<lb/>
ihm gut scheine. Aber Preußen verbot die Waffen d urchsuhr durch sein<lb/>
Gebiet nach Nußland und ließ es gleichwohl zu, daß dies Verbot fortwährend<lb/>
übertreten oder umgangen ward; hierüber allein beklagte sich England und<lb/>
mit Recht, denn jeder Kriegführende hat das Recht, sich zu beschweren<lb/>
wenn ein Neutraler sein eigenes Gesetz zu Gunsten des anderen Krieg¬<lb/>
führenden übertreten läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_188"> Die ganze Argumentation der Bernstorff'schen Note ist hinfällig, während<lb/>
sie die oben ausgeführten unwiderleglicher Momente gegen Englands Ver¬<lb/>
fahren so gut wie unberücksichtigt läßt. Es ist daher Lord Grenville sehr<lb/>
leicht geworden, den Botschafter in der höflichsten Form zu widerlegen und<lb/>
die gesammte englische Presse hat die Theorie der densvolent usutralit? nicht<lb/>
etwa erbittert angegriffen, sondern als ungereimt verspottet. Das ist für<lb/>
das deutsche Selbstgefühl doppelt empfindlich in einem Augenblicke, wo wir<lb/>
vor der Welt so groß dastehen; die Bernstorff'sche Note bildet einen peinlichen<lb/>
Gegensatz zu den neueren Bismarck'schen Circularen. Während hier alles Nerv<lb/>
und Schneide ist, so daß selbst die Deutschland mißgünstige Presse eingestehen<lb/>
muß, der Bundeskanzler habe sich auf einen fast unangreifbaren Standpunkt<lb/>
gestellt, finden wir dort jene Unklarheit wieder, die an das Regiment erinnert,<lb/>
das uns die identischen Noten einbrachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_189"> Wir hoffen indeß zuversichtlich, daß der Eindruck dieses wenig geschick¬<lb/>
ten Documents durch die Ereignisse verwischt werden und das Gefühl,<lb/>
welchen Werth die deutsche Allianz für England haben müsse, immer mehr<lb/>
zum Durchbruch kommen wird. Auch ist nicht unerwähnt zu lassen, daß die<lb/>
Negierung unter der Hand das möglichste gethan, die Waffenaussuhr dadurch<lb/>
zu hindern, daß sie selbst die Fabriken durch große Bestellungen vollauf in<lb/>
Anspruch nahm und die Eisenbahnen veranlaßte, bekannt zu machen, daß sie<lb/>
keine Waffentransporte übernehmen wollten. Als ein wesentlicher Schritt zur An¬<lb/>
näherung beider Länder könnten sich die völkerrechtlichen Conferenzen erweisen, zu<lb/>
denen sich Lord Grenville am Schluß seiner Antwort bereit zeigt, um manche<lb/>
streitige Fragen durch internationales Abkommen zu beseitigen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] Rechtlich hatte England im Krimmkriege nicht nur eben so viel Recht, sich über Preußens Haltung zu beklagen, als wir jetzt über die seinige, sondern weit mehr. Die Sache stand nämlich damals so, daß Preußen und der Zoll¬ verein erklärten, ihre Waffenausfuhr nach Rußland des Krieges wegen nicht beschränken zu können, und hierüber beschwerte sich England auch gar nicht, erkannte vielmehr an, daß jedes Land in dieser Beziehung thun könne, was ihm gut scheine. Aber Preußen verbot die Waffen d urchsuhr durch sein Gebiet nach Nußland und ließ es gleichwohl zu, daß dies Verbot fortwährend übertreten oder umgangen ward; hierüber allein beklagte sich England und mit Recht, denn jeder Kriegführende hat das Recht, sich zu beschweren wenn ein Neutraler sein eigenes Gesetz zu Gunsten des anderen Krieg¬ führenden übertreten läßt. Die ganze Argumentation der Bernstorff'schen Note ist hinfällig, während sie die oben ausgeführten unwiderleglicher Momente gegen Englands Ver¬ fahren so gut wie unberücksichtigt läßt. Es ist daher Lord Grenville sehr leicht geworden, den Botschafter in der höflichsten Form zu widerlegen und die gesammte englische Presse hat die Theorie der densvolent usutralit? nicht etwa erbittert angegriffen, sondern als ungereimt verspottet. Das ist für das deutsche Selbstgefühl doppelt empfindlich in einem Augenblicke, wo wir vor der Welt so groß dastehen; die Bernstorff'sche Note bildet einen peinlichen Gegensatz zu den neueren Bismarck'schen Circularen. Während hier alles Nerv und Schneide ist, so daß selbst die Deutschland mißgünstige Presse eingestehen muß, der Bundeskanzler habe sich auf einen fast unangreifbaren Standpunkt gestellt, finden wir dort jene Unklarheit wieder, die an das Regiment erinnert, das uns die identischen Noten einbrachte. Wir hoffen indeß zuversichtlich, daß der Eindruck dieses wenig geschick¬ ten Documents durch die Ereignisse verwischt werden und das Gefühl, welchen Werth die deutsche Allianz für England haben müsse, immer mehr zum Durchbruch kommen wird. Auch ist nicht unerwähnt zu lassen, daß die Negierung unter der Hand das möglichste gethan, die Waffenaussuhr dadurch zu hindern, daß sie selbst die Fabriken durch große Bestellungen vollauf in Anspruch nahm und die Eisenbahnen veranlaßte, bekannt zu machen, daß sie keine Waffentransporte übernehmen wollten. Als ein wesentlicher Schritt zur An¬ näherung beider Länder könnten sich die völkerrechtlichen Conferenzen erweisen, zu denen sich Lord Grenville am Schluß seiner Antwort bereit zeigt, um manche streitige Fragen durch internationales Abkommen zu beseitigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/69>, abgerufen am 22.12.2024.