Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.seit zugewandt haben, hat jüngst wieder einen zwiefachen Zuwachs erhalten. Die seit zugewandt haben, hat jüngst wieder einen zwiefachen Zuwachs erhalten. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125231"/> <p xml:id="ID_1627" prev="#ID_1626" next="#ID_1628"> seit zugewandt haben, hat jüngst wieder einen zwiefachen Zuwachs erhalten. Die<lb/> oben an erster Stelle genannte „Scizze" — so schreibt der Verfasser — von<lb/> or. G. Lenz, bei der „alle Rechte vorbehalten" sind, ist am 22. November<lb/> ausgegeben und rechtfertigt (S. 23) ihr Erscheinen in der zwölften Stunde durch<lb/> den Anspruch, neue Gesichtspunkte beizubringen, wenigstens in Bezug auf den Um¬<lb/> fang des uns anzuschließenden Gebiets, wie auf die Art seiner Einverleibung in<lb/> unsern Reichsvcrband. In ersterer Hinsicht ist der Gesichtspunkt des Verfassers jetzt<lb/> allerdings wieder neu, denn wir hätten nicht erwartet, daß heut noch jemand im<lb/> Ernste die „Angliederung" von ganz Lothringen und beiläufig auch Mümpelgard<lb/> außer dem gssammten Elsaß empfehlen würde. Daß ein Hauptcapitel der politischen<lb/> Kunst darin bestehe, auch an künftig etwa auftauchende Schwierigkeiten zu denken,<lb/> ficht den sanguinischen Verfasser keinen Augenblick an. Was die zweite Frage an¬<lb/> geht, so vermögen wir unter den Gründen, mit denen er die wohl längst beschlossene<lb/> Reichsunmittelbarkeit vertheidigt, keinen eigentlich neuen zu entdecken. Allein eine<lb/> Ueberraschung anderer Art hat uns an mehreren Stellen des Büchleins angenehm<lb/> berührt. Der Verfasser ist mit Citaten aus mancherlei Zunge und Sprache nicht<lb/> sparsam umgegangen, auch die deutschen stattet er als solche in der Regel mit<lb/> Gänsefüßchen aus — in der Regel, aber nicht immer. Daß er auch ein aufmerksamer<lb/> Leser, der Grenzboten sei, hat er nicht angemerkt. Außer einem flüchtigen Anklang<lb/> (S. 15.) an unsern zweiten „Berliner Brief" (Ur. 32 p. 238). hat er unsern<lb/> anspruchslosen Artikel über die deutschen Westgrenzen (Ur. 37. p. 424) einer, wie<lb/> uns scheint, unverdient genauen Beachtung gewürdigt. Von S. 28 bis S. 40 ist<lb/> an verschiedenen Stellen die natürliche Schilderung der Rheinlande, die Wür¬<lb/> digung der täsarischen Rheingrenze, die Skizzirung der germanischen Einwan¬<lb/> derungen mit unseren nur schonend veränderten, aber leider oft aus dem Zusam¬<lb/> menhange gerissenen Worten wiedergegeben worden. Wenn das gegen unser einen<lb/> vielleicht nicht anders als billig ist, so müßte doch einem Manne wie<lb/> Leopold von Buch gegenüber pietätsvoller verfahren werden. Wir hatten einen<lb/> Passus aus dessen berühmter akademischer Abhandlung über den Jura in Deutsch¬<lb/> land ohne nähere Angabe citirt, der Verfasser wiederholt den Passus, läßt aber<lb/> willkürlich drei Worte aus der Mitte weg und hebt dadurch allerdings eine Schwie¬<lb/> rigkeit der etwas dunklen Stelle. Buch hätte sich das bei Lebzeiten, eigensinnig wie<lb/> er war, nicht ruhig gefallen lassen. Die Sache ist um so bedeutsamer, da eben auf<lb/> Buch's schönen Vergleich zwischen dem Juragebiet und einer Festung, auf die geo¬<lb/> logische Zusammengehörigkeit Lothringen's mit den Nachbarlandschaften der Verfasser<lb/> seine ganze Beweisführung gründet, daß jene Provinz nun auch politisch mit Haut<lb/> und Haaren wieder an Deutschland kommen müßte: eine Folgerung, die wir ihm<lb/> übrigens nicht vorgethan hatten. Um kurz zu sein: was kann ein Journalist, der<lb/> ja nur schreibt, um lebendig zu wirken, sich besseres wünschen, als daß den Leuten<lb/> das Herz so voll wird von seinen Worten, daß ihnen noch nach Monaten nicht der<lb/> Mund, sondern sogar die Feder unbewußt davon übergeht. Nur schade, daß der<lb/> Verfasser durch den Vorbehalt aller Rechte für sein Schriftchen eine weitere indirecte<lb/> Fortpflanzung verhindert hat! — Ein weit erfreulicheres Bild bietet Dr. Adolf<lb/> Wohlwill's „Geschichte des Elsasses in kurzer Uebersicht" dar, deren Reinertrag<lb/> für die Verwundeten und für die Hinterbliebenen der gefallenen deutschen Krieger<lb/> bestimmt ist. Was bisher in Tagesbroschüren über die elsässische Geschichte ans<lb/> Licht gekommen, drehte sich fast immer nur um das Haben, den Erwerb, Besitz und<lb/> Verlust der Landschaft oder ihrer einzelnen Theile; vom Sein, von den inneren<lb/> Zuständen des Landes und Volks in den verschiedenen Perioden war wenig die<lb/> Rede. Diese Lücke füllt das vorliegende Büchlein für den Bedarf der nächsten Zeit<lb/> vortrefflich aus. Da erfährt man, in wie innigen geistigen Beziehungen die Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
seit zugewandt haben, hat jüngst wieder einen zwiefachen Zuwachs erhalten. Die
oben an erster Stelle genannte „Scizze" — so schreibt der Verfasser — von
or. G. Lenz, bei der „alle Rechte vorbehalten" sind, ist am 22. November
ausgegeben und rechtfertigt (S. 23) ihr Erscheinen in der zwölften Stunde durch
den Anspruch, neue Gesichtspunkte beizubringen, wenigstens in Bezug auf den Um¬
fang des uns anzuschließenden Gebiets, wie auf die Art seiner Einverleibung in
unsern Reichsvcrband. In ersterer Hinsicht ist der Gesichtspunkt des Verfassers jetzt
allerdings wieder neu, denn wir hätten nicht erwartet, daß heut noch jemand im
Ernste die „Angliederung" von ganz Lothringen und beiläufig auch Mümpelgard
außer dem gssammten Elsaß empfehlen würde. Daß ein Hauptcapitel der politischen
Kunst darin bestehe, auch an künftig etwa auftauchende Schwierigkeiten zu denken,
ficht den sanguinischen Verfasser keinen Augenblick an. Was die zweite Frage an¬
geht, so vermögen wir unter den Gründen, mit denen er die wohl längst beschlossene
Reichsunmittelbarkeit vertheidigt, keinen eigentlich neuen zu entdecken. Allein eine
Ueberraschung anderer Art hat uns an mehreren Stellen des Büchleins angenehm
berührt. Der Verfasser ist mit Citaten aus mancherlei Zunge und Sprache nicht
sparsam umgegangen, auch die deutschen stattet er als solche in der Regel mit
Gänsefüßchen aus — in der Regel, aber nicht immer. Daß er auch ein aufmerksamer
Leser, der Grenzboten sei, hat er nicht angemerkt. Außer einem flüchtigen Anklang
(S. 15.) an unsern zweiten „Berliner Brief" (Ur. 32 p. 238). hat er unsern
anspruchslosen Artikel über die deutschen Westgrenzen (Ur. 37. p. 424) einer, wie
uns scheint, unverdient genauen Beachtung gewürdigt. Von S. 28 bis S. 40 ist
an verschiedenen Stellen die natürliche Schilderung der Rheinlande, die Wür¬
digung der täsarischen Rheingrenze, die Skizzirung der germanischen Einwan¬
derungen mit unseren nur schonend veränderten, aber leider oft aus dem Zusam¬
menhange gerissenen Worten wiedergegeben worden. Wenn das gegen unser einen
vielleicht nicht anders als billig ist, so müßte doch einem Manne wie
Leopold von Buch gegenüber pietätsvoller verfahren werden. Wir hatten einen
Passus aus dessen berühmter akademischer Abhandlung über den Jura in Deutsch¬
land ohne nähere Angabe citirt, der Verfasser wiederholt den Passus, läßt aber
willkürlich drei Worte aus der Mitte weg und hebt dadurch allerdings eine Schwie¬
rigkeit der etwas dunklen Stelle. Buch hätte sich das bei Lebzeiten, eigensinnig wie
er war, nicht ruhig gefallen lassen. Die Sache ist um so bedeutsamer, da eben auf
Buch's schönen Vergleich zwischen dem Juragebiet und einer Festung, auf die geo¬
logische Zusammengehörigkeit Lothringen's mit den Nachbarlandschaften der Verfasser
seine ganze Beweisführung gründet, daß jene Provinz nun auch politisch mit Haut
und Haaren wieder an Deutschland kommen müßte: eine Folgerung, die wir ihm
übrigens nicht vorgethan hatten. Um kurz zu sein: was kann ein Journalist, der
ja nur schreibt, um lebendig zu wirken, sich besseres wünschen, als daß den Leuten
das Herz so voll wird von seinen Worten, daß ihnen noch nach Monaten nicht der
Mund, sondern sogar die Feder unbewußt davon übergeht. Nur schade, daß der
Verfasser durch den Vorbehalt aller Rechte für sein Schriftchen eine weitere indirecte
Fortpflanzung verhindert hat! — Ein weit erfreulicheres Bild bietet Dr. Adolf
Wohlwill's „Geschichte des Elsasses in kurzer Uebersicht" dar, deren Reinertrag
für die Verwundeten und für die Hinterbliebenen der gefallenen deutschen Krieger
bestimmt ist. Was bisher in Tagesbroschüren über die elsässische Geschichte ans
Licht gekommen, drehte sich fast immer nur um das Haben, den Erwerb, Besitz und
Verlust der Landschaft oder ihrer einzelnen Theile; vom Sein, von den inneren
Zuständen des Landes und Volks in den verschiedenen Perioden war wenig die
Rede. Diese Lücke füllt das vorliegende Büchlein für den Bedarf der nächsten Zeit
vortrefflich aus. Da erfährt man, in wie innigen geistigen Beziehungen die Be-
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