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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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näherte mich ihm voll Gutwilligkeit und vielleicht, nach meiner Art etwas
zu schnell; er zog sich aber ganz in seine Schaale hinein; und so haben wirs
dann dabey bewenden lassen. Sagen Sie dies Lavatern mit meinem besten
Gruß und sagen Sie ihm auch, daß ich mich nicht über Herrn Kaufmann
beklage. Göthe war gestern Morgens bey mir und erklärte mir Alles. Die
Schuld warum die Enthusiasten nicht mit mir und ich nicht mit ihnen leben
können, liegt weder an ihnen noch mir, sondern an den Göttern, die uns
so gemacht haben.

Ich habe das Unglück unter die Lauer zu gehören, die von den War¬
men und Kalten ausgespielt werden. Leute, die lange mit mir gelebt
haben, finden, daß ich mit allen meinen Launen und Ungleichheiten ein
guter Mensch bin. Aber die andern sehen das nicht und können nicht aus
mir klug werden, sagt man. Was ist also zu thun, als wie (Durandarte)
sagt Geduld zu haben und die Karten zu mischen. Ich verlange keine Ant¬
wort auf dieses Stück Beichte, lieber Kayser; es ist bloß für Sie und La-
vatern. Machen Sie damit, was Sie können, und leben Sie glücklich!


Wteland.
18.
Miller an Kayser.

Ulm d. 5. Februar 1776.


Liebster Kayser!

Ich hab alle meine Papiere durchsucht und die Anekdoten nicht finden
können, ob ich gewiß weiß, daß sie sonst nirgend anders seyn können. Du
stellst Dich an, als ob das Wohl der Welt dran gelegen wäre. Ich solls
fehlten ohne Entschuldigungen! Meynst Du denn, ich wolle sie nur nicht
hergeben? Was liegt mir an dem flüchtig hingeworfnen Einfall? Sobald
mirs in die Hände fällt, sollst Du's haben; laß mich aber jetzt ungeschoren.

Kaufmann hat alle meine Erwartungen so hochgespannt, auch diese
waren übertroffen. Er kam Mittwoch Morgens hier an und Schilde sogleich
nach mir; um 10 Uhr ging ich zu ihm, war bis Abends 10 Uhr um ihn
und den Tag darauf, als er um 1 Uhr wegfuhr, begleitet ich ihn eine Sta¬
tion weit. Hätt ich nicht eine Predigt, die ich nicht abgeben konnte und an¬
dere Geschäfte vor mir gehabt, so hätte mich nichts abhalten können, seinem
Zudringen nachzugeben und ihn nach Augsburg zu begleiten. Ich genoß
ihn aber doch in der kurzen Zeit so, daß mir nicht ein Augenblick ungenutzt
bey ihm verflog. Bey drei Stunden war er allein bey mir auf meinem
Zimmer.....*). Ich habe noch keinen Menschen gefunden, den ich gleich



") Die hier 4 vernichteten Zeilen ergänze ich: sodann gingen wir zu meiner S., machten
den Schattenriß und blieben 2 Stunden bey ihr. Beym ersten Anblick faßte er ihre Reinheit,
Unschuld und das Suchen ihrer Seele in der Meinigen:

näherte mich ihm voll Gutwilligkeit und vielleicht, nach meiner Art etwas
zu schnell; er zog sich aber ganz in seine Schaale hinein; und so haben wirs
dann dabey bewenden lassen. Sagen Sie dies Lavatern mit meinem besten
Gruß und sagen Sie ihm auch, daß ich mich nicht über Herrn Kaufmann
beklage. Göthe war gestern Morgens bey mir und erklärte mir Alles. Die
Schuld warum die Enthusiasten nicht mit mir und ich nicht mit ihnen leben
können, liegt weder an ihnen noch mir, sondern an den Göttern, die uns
so gemacht haben.

Ich habe das Unglück unter die Lauer zu gehören, die von den War¬
men und Kalten ausgespielt werden. Leute, die lange mit mir gelebt
haben, finden, daß ich mit allen meinen Launen und Ungleichheiten ein
guter Mensch bin. Aber die andern sehen das nicht und können nicht aus
mir klug werden, sagt man. Was ist also zu thun, als wie (Durandarte)
sagt Geduld zu haben und die Karten zu mischen. Ich verlange keine Ant¬
wort auf dieses Stück Beichte, lieber Kayser; es ist bloß für Sie und La-
vatern. Machen Sie damit, was Sie können, und leben Sie glücklich!


Wteland.
18.
Miller an Kayser.

Ulm d. 5. Februar 1776.


Liebster Kayser!

Ich hab alle meine Papiere durchsucht und die Anekdoten nicht finden
können, ob ich gewiß weiß, daß sie sonst nirgend anders seyn können. Du
stellst Dich an, als ob das Wohl der Welt dran gelegen wäre. Ich solls
fehlten ohne Entschuldigungen! Meynst Du denn, ich wolle sie nur nicht
hergeben? Was liegt mir an dem flüchtig hingeworfnen Einfall? Sobald
mirs in die Hände fällt, sollst Du's haben; laß mich aber jetzt ungeschoren.

Kaufmann hat alle meine Erwartungen so hochgespannt, auch diese
waren übertroffen. Er kam Mittwoch Morgens hier an und Schilde sogleich
nach mir; um 10 Uhr ging ich zu ihm, war bis Abends 10 Uhr um ihn
und den Tag darauf, als er um 1 Uhr wegfuhr, begleitet ich ihn eine Sta¬
tion weit. Hätt ich nicht eine Predigt, die ich nicht abgeben konnte und an¬
dere Geschäfte vor mir gehabt, so hätte mich nichts abhalten können, seinem
Zudringen nachzugeben und ihn nach Augsburg zu begleiten. Ich genoß
ihn aber doch in der kurzen Zeit so, daß mir nicht ein Augenblick ungenutzt
bey ihm verflog. Bey drei Stunden war er allein bey mir auf meinem
Zimmer.....*). Ich habe noch keinen Menschen gefunden, den ich gleich



") Die hier 4 vernichteten Zeilen ergänze ich: sodann gingen wir zu meiner S., machten
den Schattenriß und blieben 2 Stunden bey ihr. Beym ersten Anblick faßte er ihre Reinheit,
Unschuld und das Suchen ihrer Seele in der Meinigen:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/510>, abgerufen am 22.12.2024.