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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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kurs") eingerückt, mein lieber Kayser. Ich habe mit Verwunderung daraus
gesehen (oder zu sehen geglaubt), daß Sie den Orpdeo ot Ruriäies Ihres
Heiligen noch nicht kennen. Nach meinem Gefühl ist nichts größeres, liebe¬
volleres, seelenschmelzenderes als der Gesang me tarv genug, Luriäios
in diesem Singspiel. Was Sie mir in Ihrem letzten zur Rechtfertigung
ihrer Gleichgültigkeit gegen meinen Heiligen, Anton Schweizer sagen,
befriedigt mich genugsam; wiewohl Sie, mein er Ueberzeugung nach, Schwei-
zern keine Gerechtigkeit erweisen. Und auch so viel andern herrlichen Genien
keine. Aber da Sie in dem Falle eines Herzlich verliebten sind, der nichts
dazu kann, daß ihm alle andern Mädchen und Frauen gegen die Einzige, die
ihn bezaubert hält, gemein, ungeschmakt und keiner Betrachtung würdig vor¬
kommen, so wär es unbillig und ungereimt oben drein mit Ihnen darüber
rechten zu wollen.

Ihr Freund Klinger hatt mir sehr angelegen, ich sollte Sie zu bewegen
suchen, daß Sie irgend etwas Ihres Genius würdiges unternähmen -- irgend
ein dramatisches Werk oder ein großes Oratorium. Ich sagte ihm: erstlich,
hätte ich in keinerley Betracht einiges Recht zu vermuthen, daß ich Sie zu
etwas überreden könnte und dann glaubte ich auch, daß es wenig Dichter
gebe, deren Werk Sie zu componiren Lust haben würden. Indessen hab
ich doch, um Klingern zu befriedigen, dieses seines Wunsches erwähnen zu
wollen.

Ihr freundliches Anerbieten, mir einige von Ihnen componirter Lieder
für den Merkur zu schicken, ist mir um so willkommner. da ich schon lange
mit dem Gedanken umgehe, den Merkur durch Lieder mit Melodien für die
weibliche Hälfte der Leser interessanter zu machen. Und warum nicht auch
für die Männliche? Wehe dem Manne, der den Gesang nicht liebt! Ich
nehme also dies Ihr Anerbieten dankbarlich an, doch unter dem Vorbehalt,
daß das erste dieser Lieder erst im Jenner 1777**) erscheine. Sie schicken mir
was und wieviel Ihnen beliebt und machen Sich dadurch zu nichts
verbindlich.

Herr Kaufmann ist seit 8 Tagen hier und wird, wie ich höre noch diese
Woche bleiben. Er kam den zweyten Tag nach seiner Ankunft nachmittags
mit Klingern in meinen Garten und blieb ungefähr eine halbe Stunde.
Den folgenden Morgen fand ich ihn bei Göthe. Der Mann hatte unge-
achtet seiner um sich gezogenen Nebelkappe, was anziehendes für mich. Ich





-) Seite 233.
") Es erschienen keine Melodien im Merkur.
Christoph Kaufmann. Vergl. über den Aufenthalt Kaufmann's Goedeke'S Grundriß
S. 739; die Lausitzer Monatsschrift 179ö. 2. Th. S. 2S und Düntzer's Aufsatz in Raumer'"
hist. Taschenbuch 18ö9. S. 107 ff.

kurs") eingerückt, mein lieber Kayser. Ich habe mit Verwunderung daraus
gesehen (oder zu sehen geglaubt), daß Sie den Orpdeo ot Ruriäies Ihres
Heiligen noch nicht kennen. Nach meinem Gefühl ist nichts größeres, liebe¬
volleres, seelenschmelzenderes als der Gesang me tarv genug, Luriäios
in diesem Singspiel. Was Sie mir in Ihrem letzten zur Rechtfertigung
ihrer Gleichgültigkeit gegen meinen Heiligen, Anton Schweizer sagen,
befriedigt mich genugsam; wiewohl Sie, mein er Ueberzeugung nach, Schwei-
zern keine Gerechtigkeit erweisen. Und auch so viel andern herrlichen Genien
keine. Aber da Sie in dem Falle eines Herzlich verliebten sind, der nichts
dazu kann, daß ihm alle andern Mädchen und Frauen gegen die Einzige, die
ihn bezaubert hält, gemein, ungeschmakt und keiner Betrachtung würdig vor¬
kommen, so wär es unbillig und ungereimt oben drein mit Ihnen darüber
rechten zu wollen.

Ihr Freund Klinger hatt mir sehr angelegen, ich sollte Sie zu bewegen
suchen, daß Sie irgend etwas Ihres Genius würdiges unternähmen — irgend
ein dramatisches Werk oder ein großes Oratorium. Ich sagte ihm: erstlich,
hätte ich in keinerley Betracht einiges Recht zu vermuthen, daß ich Sie zu
etwas überreden könnte und dann glaubte ich auch, daß es wenig Dichter
gebe, deren Werk Sie zu componiren Lust haben würden. Indessen hab
ich doch, um Klingern zu befriedigen, dieses seines Wunsches erwähnen zu
wollen.

Ihr freundliches Anerbieten, mir einige von Ihnen componirter Lieder
für den Merkur zu schicken, ist mir um so willkommner. da ich schon lange
mit dem Gedanken umgehe, den Merkur durch Lieder mit Melodien für die
weibliche Hälfte der Leser interessanter zu machen. Und warum nicht auch
für die Männliche? Wehe dem Manne, der den Gesang nicht liebt! Ich
nehme also dies Ihr Anerbieten dankbarlich an, doch unter dem Vorbehalt,
daß das erste dieser Lieder erst im Jenner 1777**) erscheine. Sie schicken mir
was und wieviel Ihnen beliebt und machen Sich dadurch zu nichts
verbindlich.

Herr Kaufmann ist seit 8 Tagen hier und wird, wie ich höre noch diese
Woche bleiben. Er kam den zweyten Tag nach seiner Ankunft nachmittags
mit Klingern in meinen Garten und blieb ungefähr eine halbe Stunde.
Den folgenden Morgen fand ich ihn bei Göthe. Der Mann hatte unge-
achtet seiner um sich gezogenen Nebelkappe, was anziehendes für mich. Ich





-) Seite 233.
") Es erschienen keine Melodien im Merkur.
Christoph Kaufmann. Vergl. über den Aufenthalt Kaufmann's Goedeke'S Grundriß
S. 739; die Lausitzer Monatsschrift 179ö. 2. Th. S. 2S und Düntzer's Aufsatz in Raumer'«
hist. Taschenbuch 18ö9. S. 107 ff.
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[0509] kurs") eingerückt, mein lieber Kayser. Ich habe mit Verwunderung daraus gesehen (oder zu sehen geglaubt), daß Sie den Orpdeo ot Ruriäies Ihres Heiligen noch nicht kennen. Nach meinem Gefühl ist nichts größeres, liebe¬ volleres, seelenschmelzenderes als der Gesang me tarv genug, Luriäios in diesem Singspiel. Was Sie mir in Ihrem letzten zur Rechtfertigung ihrer Gleichgültigkeit gegen meinen Heiligen, Anton Schweizer sagen, befriedigt mich genugsam; wiewohl Sie, mein er Ueberzeugung nach, Schwei- zern keine Gerechtigkeit erweisen. Und auch so viel andern herrlichen Genien keine. Aber da Sie in dem Falle eines Herzlich verliebten sind, der nichts dazu kann, daß ihm alle andern Mädchen und Frauen gegen die Einzige, die ihn bezaubert hält, gemein, ungeschmakt und keiner Betrachtung würdig vor¬ kommen, so wär es unbillig und ungereimt oben drein mit Ihnen darüber rechten zu wollen. Ihr Freund Klinger hatt mir sehr angelegen, ich sollte Sie zu bewegen suchen, daß Sie irgend etwas Ihres Genius würdiges unternähmen — irgend ein dramatisches Werk oder ein großes Oratorium. Ich sagte ihm: erstlich, hätte ich in keinerley Betracht einiges Recht zu vermuthen, daß ich Sie zu etwas überreden könnte und dann glaubte ich auch, daß es wenig Dichter gebe, deren Werk Sie zu componiren Lust haben würden. Indessen hab ich doch, um Klingern zu befriedigen, dieses seines Wunsches erwähnen zu wollen. Ihr freundliches Anerbieten, mir einige von Ihnen componirter Lieder für den Merkur zu schicken, ist mir um so willkommner. da ich schon lange mit dem Gedanken umgehe, den Merkur durch Lieder mit Melodien für die weibliche Hälfte der Leser interessanter zu machen. Und warum nicht auch für die Männliche? Wehe dem Manne, der den Gesang nicht liebt! Ich nehme also dies Ihr Anerbieten dankbarlich an, doch unter dem Vorbehalt, daß das erste dieser Lieder erst im Jenner 1777**) erscheine. Sie schicken mir was und wieviel Ihnen beliebt und machen Sich dadurch zu nichts verbindlich. Herr Kaufmann ist seit 8 Tagen hier und wird, wie ich höre noch diese Woche bleiben. Er kam den zweyten Tag nach seiner Ankunft nachmittags mit Klingern in meinen Garten und blieb ungefähr eine halbe Stunde. Den folgenden Morgen fand ich ihn bei Göthe. Der Mann hatte unge- achtet seiner um sich gezogenen Nebelkappe, was anziehendes für mich. Ich -) Seite 233. ") Es erschienen keine Melodien im Merkur. Christoph Kaufmann. Vergl. über den Aufenthalt Kaufmann's Goedeke'S Grundriß S. 739; die Lausitzer Monatsschrift 179ö. 2. Th. S. 2S und Düntzer's Aufsatz in Raumer'« hist. Taschenbuch 18ö9. S. 107 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/509>, abgerufen am 22.12.2024.