Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

alteriren. Dahin rechnen wir vor Allem die Bestimmung, daß das Gesetz-
gebungsrecht des Bundes, so wie dessen Aufsichtsrecht über Heimaths- und
Niederlassungsverhältnisse für Bayern eessiren soll. Was heißt denn dieser Satz?
Nichts anderes, als daß wir übrigen Deutschen in Bayern, dem privilegir-
testen Staate unseres Reiches, Ausländer bleiben sollen wie bisher --
Ausländer im technischen und juristischen Sinne. Denn das ist der Kern
der Sache: nicht die Beibehaltung der soi-äisant liberaleren bayrischen So¬
cialgesetzgebung. Ob wir ganze oder halbe Ausländer bleiben, wird von der
wohlwollenden Praxis der bayrischen Regierung, beziehungsweise der bayri¬
schen Beamten abhängen. Aber auch der Möglichkeit einer die Freizügigkeit
möglichst beschränkenden Auslegung seitens der bayrischen Behörden sind wir
übrigen Deutschen schutzlos preisgegeben. Denn es gibt ja in Bayern auch
kein Aufsichtsrecht des Reiches über diese Materien. Man verzeihe uns die
Frage: hat man in Bayern wirklich so greuliche Angst vor dem Heuschrecken-
schwärme deutscher Einwanderer, welcher sich bei Herstellung ganzer und
voller Freizügigkeit aus die gesegneten Gefilde Bayerns niederlassen würde?

Doch fragen wir nicht weiter, begnügen wir uns zu constatiren: ein
Bundesstaat ist das Reich nicht, auf dessen Gebiet es In- und Ausländer
gibt. Aber wie das deutsche Reich kein wahrer Bundesstaat im Innern ist,
so hat es auch nach Außen hin nicht das Charakteristische des wahren Bun¬
desstaats -- die einheitliche diplomatische Vertretung seiner Interessen. Man
erlaube uns zur Erhärtung dieser Behauptung die Titel VII. und VIII. des
Schlußprotocolls aus dem diplomatischen ins gewöhnliche Deutsch zu über¬
setzen. Der Wortlaut des Titels VII. gibt zunächst dem bayrischen Ge¬
sandten, dessen Competenz in speciell bayrischen Angelegenheiten ängstlich ge¬
wahrt ist (Tit. VIII. des Schlußprotocolls). eine eventuelle Vollmacht für
deutsche Angelegenheiten im Verhinderungsfalle des Reichsgesandten. Fer-
ner aber --- und das ist die Hauptsache -- kann der Reichsgesandte
in deutschen Angelegenheiten nur das Vollwort sprechen unter Assistenz
des bayrischen Gesandten. Denn nachdem der bayrische Gesandte an¬
gewiesen ist, in allen Fällen, in welchen dies zur Geltendmachung
allgemein deutscher Interessen erforderlich oder von Nutzen sein wird,
dem Reichsgesandten seine Beihilfe zu leisten, so wird das Ausland
dann, wenn diese Beihilfe einmal nicht erfolgen sollte, schließen müssen,
Bayern sei mit dem betreffenden Antrage des Reichsgesandten nicht einver¬
standen. -- Wir wollen als gute Deutsche bis auf Weiteres hoffen, daß ein
solcher Fall in Zukunft überhaupt nicht vorkommen wird. Aber die be¬
scheidene Frage wird wohl gestattet sein, ob die künftig zweitheilige Vertre-
tung unserer Interessen einen so großen Fortschritt involvire, daß die Ueber,
nähme eines Theils des bayrischen Gesandtschaftsbudgets auf das Reichs-


Vrenzboten IV. 1870. 63

alteriren. Dahin rechnen wir vor Allem die Bestimmung, daß das Gesetz-
gebungsrecht des Bundes, so wie dessen Aufsichtsrecht über Heimaths- und
Niederlassungsverhältnisse für Bayern eessiren soll. Was heißt denn dieser Satz?
Nichts anderes, als daß wir übrigen Deutschen in Bayern, dem privilegir-
testen Staate unseres Reiches, Ausländer bleiben sollen wie bisher —
Ausländer im technischen und juristischen Sinne. Denn das ist der Kern
der Sache: nicht die Beibehaltung der soi-äisant liberaleren bayrischen So¬
cialgesetzgebung. Ob wir ganze oder halbe Ausländer bleiben, wird von der
wohlwollenden Praxis der bayrischen Regierung, beziehungsweise der bayri¬
schen Beamten abhängen. Aber auch der Möglichkeit einer die Freizügigkeit
möglichst beschränkenden Auslegung seitens der bayrischen Behörden sind wir
übrigen Deutschen schutzlos preisgegeben. Denn es gibt ja in Bayern auch
kein Aufsichtsrecht des Reiches über diese Materien. Man verzeihe uns die
Frage: hat man in Bayern wirklich so greuliche Angst vor dem Heuschrecken-
schwärme deutscher Einwanderer, welcher sich bei Herstellung ganzer und
voller Freizügigkeit aus die gesegneten Gefilde Bayerns niederlassen würde?

Doch fragen wir nicht weiter, begnügen wir uns zu constatiren: ein
Bundesstaat ist das Reich nicht, auf dessen Gebiet es In- und Ausländer
gibt. Aber wie das deutsche Reich kein wahrer Bundesstaat im Innern ist,
so hat es auch nach Außen hin nicht das Charakteristische des wahren Bun¬
desstaats — die einheitliche diplomatische Vertretung seiner Interessen. Man
erlaube uns zur Erhärtung dieser Behauptung die Titel VII. und VIII. des
Schlußprotocolls aus dem diplomatischen ins gewöhnliche Deutsch zu über¬
setzen. Der Wortlaut des Titels VII. gibt zunächst dem bayrischen Ge¬
sandten, dessen Competenz in speciell bayrischen Angelegenheiten ängstlich ge¬
wahrt ist (Tit. VIII. des Schlußprotocolls). eine eventuelle Vollmacht für
deutsche Angelegenheiten im Verhinderungsfalle des Reichsgesandten. Fer-
ner aber -— und das ist die Hauptsache — kann der Reichsgesandte
in deutschen Angelegenheiten nur das Vollwort sprechen unter Assistenz
des bayrischen Gesandten. Denn nachdem der bayrische Gesandte an¬
gewiesen ist, in allen Fällen, in welchen dies zur Geltendmachung
allgemein deutscher Interessen erforderlich oder von Nutzen sein wird,
dem Reichsgesandten seine Beihilfe zu leisten, so wird das Ausland
dann, wenn diese Beihilfe einmal nicht erfolgen sollte, schließen müssen,
Bayern sei mit dem betreffenden Antrage des Reichsgesandten nicht einver¬
standen. — Wir wollen als gute Deutsche bis auf Weiteres hoffen, daß ein
solcher Fall in Zukunft überhaupt nicht vorkommen wird. Aber die be¬
scheidene Frage wird wohl gestattet sein, ob die künftig zweitheilige Vertre-
tung unserer Interessen einen so großen Fortschritt involvire, daß die Ueber,
nähme eines Theils des bayrischen Gesandtschaftsbudgets auf das Reichs-


Vrenzboten IV. 1870. 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0505" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125211"/>
          <p xml:id="ID_1540" prev="#ID_1539"> alteriren. Dahin rechnen wir vor Allem die Bestimmung, daß das Gesetz-<lb/>
gebungsrecht des Bundes, so wie dessen Aufsichtsrecht über Heimaths- und<lb/>
Niederlassungsverhältnisse für Bayern eessiren soll. Was heißt denn dieser Satz?<lb/>
Nichts anderes, als daß wir übrigen Deutschen in Bayern, dem privilegir-<lb/>
testen Staate unseres Reiches, Ausländer bleiben sollen wie bisher &#x2014;<lb/>
Ausländer im technischen und juristischen Sinne. Denn das ist der Kern<lb/>
der Sache: nicht die Beibehaltung der soi-äisant liberaleren bayrischen So¬<lb/>
cialgesetzgebung. Ob wir ganze oder halbe Ausländer bleiben, wird von der<lb/>
wohlwollenden Praxis der bayrischen Regierung, beziehungsweise der bayri¬<lb/>
schen Beamten abhängen. Aber auch der Möglichkeit einer die Freizügigkeit<lb/>
möglichst beschränkenden Auslegung seitens der bayrischen Behörden sind wir<lb/>
übrigen Deutschen schutzlos preisgegeben. Denn es gibt ja in Bayern auch<lb/>
kein Aufsichtsrecht des Reiches über diese Materien. Man verzeihe uns die<lb/>
Frage: hat man in Bayern wirklich so greuliche Angst vor dem Heuschrecken-<lb/>
schwärme deutscher Einwanderer, welcher sich bei Herstellung ganzer und<lb/>
voller Freizügigkeit aus die gesegneten Gefilde Bayerns niederlassen würde?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1541" next="#ID_1542"> Doch fragen wir nicht weiter, begnügen wir uns zu constatiren: ein<lb/>
Bundesstaat ist das Reich nicht, auf dessen Gebiet es In- und Ausländer<lb/>
gibt. Aber wie das deutsche Reich kein wahrer Bundesstaat im Innern ist,<lb/>
so hat es auch nach Außen hin nicht das Charakteristische des wahren Bun¬<lb/>
desstaats &#x2014; die einheitliche diplomatische Vertretung seiner Interessen. Man<lb/>
erlaube uns zur Erhärtung dieser Behauptung die Titel VII. und VIII. des<lb/>
Schlußprotocolls aus dem diplomatischen ins gewöhnliche Deutsch zu über¬<lb/>
setzen. Der Wortlaut des Titels VII. gibt zunächst dem bayrischen Ge¬<lb/>
sandten, dessen Competenz in speciell bayrischen Angelegenheiten ängstlich ge¬<lb/>
wahrt ist (Tit. VIII. des Schlußprotocolls). eine eventuelle Vollmacht für<lb/>
deutsche Angelegenheiten im Verhinderungsfalle des Reichsgesandten. Fer-<lb/>
ner aber -&#x2014; und das ist die Hauptsache &#x2014; kann der Reichsgesandte<lb/>
in deutschen Angelegenheiten nur das Vollwort sprechen unter Assistenz<lb/>
des bayrischen Gesandten. Denn nachdem der bayrische Gesandte an¬<lb/>
gewiesen ist, in allen Fällen, in welchen dies zur Geltendmachung<lb/>
allgemein deutscher Interessen erforderlich oder von Nutzen sein wird,<lb/>
dem Reichsgesandten seine Beihilfe zu leisten, so wird das Ausland<lb/>
dann, wenn diese Beihilfe einmal nicht erfolgen sollte, schließen müssen,<lb/>
Bayern sei mit dem betreffenden Antrage des Reichsgesandten nicht einver¬<lb/>
standen. &#x2014; Wir wollen als gute Deutsche bis auf Weiteres hoffen, daß ein<lb/>
solcher Fall in Zukunft überhaupt nicht vorkommen wird. Aber die be¬<lb/>
scheidene Frage wird wohl gestattet sein, ob die künftig zweitheilige Vertre-<lb/>
tung unserer Interessen einen so großen Fortschritt involvire, daß die Ueber,<lb/>
nähme eines Theils des bayrischen Gesandtschaftsbudgets auf das Reichs-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Vrenzboten IV. 1870. 63</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0505] alteriren. Dahin rechnen wir vor Allem die Bestimmung, daß das Gesetz- gebungsrecht des Bundes, so wie dessen Aufsichtsrecht über Heimaths- und Niederlassungsverhältnisse für Bayern eessiren soll. Was heißt denn dieser Satz? Nichts anderes, als daß wir übrigen Deutschen in Bayern, dem privilegir- testen Staate unseres Reiches, Ausländer bleiben sollen wie bisher — Ausländer im technischen und juristischen Sinne. Denn das ist der Kern der Sache: nicht die Beibehaltung der soi-äisant liberaleren bayrischen So¬ cialgesetzgebung. Ob wir ganze oder halbe Ausländer bleiben, wird von der wohlwollenden Praxis der bayrischen Regierung, beziehungsweise der bayri¬ schen Beamten abhängen. Aber auch der Möglichkeit einer die Freizügigkeit möglichst beschränkenden Auslegung seitens der bayrischen Behörden sind wir übrigen Deutschen schutzlos preisgegeben. Denn es gibt ja in Bayern auch kein Aufsichtsrecht des Reiches über diese Materien. Man verzeihe uns die Frage: hat man in Bayern wirklich so greuliche Angst vor dem Heuschrecken- schwärme deutscher Einwanderer, welcher sich bei Herstellung ganzer und voller Freizügigkeit aus die gesegneten Gefilde Bayerns niederlassen würde? Doch fragen wir nicht weiter, begnügen wir uns zu constatiren: ein Bundesstaat ist das Reich nicht, auf dessen Gebiet es In- und Ausländer gibt. Aber wie das deutsche Reich kein wahrer Bundesstaat im Innern ist, so hat es auch nach Außen hin nicht das Charakteristische des wahren Bun¬ desstaats — die einheitliche diplomatische Vertretung seiner Interessen. Man erlaube uns zur Erhärtung dieser Behauptung die Titel VII. und VIII. des Schlußprotocolls aus dem diplomatischen ins gewöhnliche Deutsch zu über¬ setzen. Der Wortlaut des Titels VII. gibt zunächst dem bayrischen Ge¬ sandten, dessen Competenz in speciell bayrischen Angelegenheiten ängstlich ge¬ wahrt ist (Tit. VIII. des Schlußprotocolls). eine eventuelle Vollmacht für deutsche Angelegenheiten im Verhinderungsfalle des Reichsgesandten. Fer- ner aber -— und das ist die Hauptsache — kann der Reichsgesandte in deutschen Angelegenheiten nur das Vollwort sprechen unter Assistenz des bayrischen Gesandten. Denn nachdem der bayrische Gesandte an¬ gewiesen ist, in allen Fällen, in welchen dies zur Geltendmachung allgemein deutscher Interessen erforderlich oder von Nutzen sein wird, dem Reichsgesandten seine Beihilfe zu leisten, so wird das Ausland dann, wenn diese Beihilfe einmal nicht erfolgen sollte, schließen müssen, Bayern sei mit dem betreffenden Antrage des Reichsgesandten nicht einver¬ standen. — Wir wollen als gute Deutsche bis auf Weiteres hoffen, daß ein solcher Fall in Zukunft überhaupt nicht vorkommen wird. Aber die be¬ scheidene Frage wird wohl gestattet sein, ob die künftig zweitheilige Vertre- tung unserer Interessen einen so großen Fortschritt involvire, daß die Ueber, nähme eines Theils des bayrischen Gesandtschaftsbudgets auf das Reichs- Vrenzboten IV. 1870. 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/505
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/505>, abgerufen am 22.12.2024.