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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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mußten die umliegenden Dörfer liefern, viele unnütze Kostgänger, namentlich
Geistliche und Mönche, zwang man die Stadt zu verlassen. Am 19. Oetober
erschien endlich die längst erwartete erste Abtheilung der kaiserlichen Armee
unter dem Herzoge von Alba im Angesichte von Metz, aber vierzehn Tage
vergingen bis zum Eintreffen weiterer Verstärkungen in Unthätigkeit, und
auch fürderhin zeigte sich die Besatzung, obgleich sie nur etwa 10,000 Mann
betrug, viel eifriger, Ausfälle zu machen, als Alba mit Laufgräben voranzu¬
gehen. Dem Kaiser, der durch Podagra lange zurückgehalten wurde, gelang
es inzwischen an dem wilden und räuberischen Markgrafen Albert von
Kulmbach, der mit 20,000 Mann bei Diedenhofen eine zweideutige Haltung
einnahm, einen willkommenen Bundesgenossen zu gewinnen. Am 20. No¬
vember traf endlich Karl V. bei dem Belagerungsheere vor dem Thore Se.
Thibault ein: an der Spitze einer gewaltigen Macht von über 60,000
Mann, Deutschen, Spaniern und Italienern stand jetzt der Kaiser als Feind
vor derselben Stadt, die ihn vor kurzem erst dreimal nacheinander mit fest¬
licher Freude in ihren Mauern empfangen hatte. Wenig aber entsprachen
die Erfolge den großen Rüstungen und dem berühmten Namen Alba's.
Als man am 28. November endlich Bresche geschossen hatte, erhob sich hinter
der eingestürzten Mauer drohend ein zweiter Wall; zu einem Sturme kam
es nicht, weil den Truppen die Kampflust fehlte, die Minen wurden durch
Gegenminen vereitelt. Obgleich einige Thürme übel zugerichtet waren, Mu¬
nition und Lebensmittel anfingen knapp zu werden, so arbeiteten die Be¬
lagerten, selbst Frauen und Mädchen, rastlos an der Herstellung und Ver¬
stärkung ihrer Werke und von Verdun aus fügte der Marschall von Vieille-
ville in kleinen Scharmützeln den kaiserlichen Truppen manchen Nachtheil zu.
Die ungewöhnliche Kälte, gegen welche man nur ungenügenden Schutz hatte,
ansteckende Krankheiten und Mutlosigkeit bewogen Karl endlich gegen sein
kaiserliches Wort am 26. December die Belagerung nach 65 Tagen aufzu¬
heben. Fast die Hälfte seines Heeres war ohne Nutzen hingeopfert, zahl¬
reiche Kranke und Verwundete blieben hilflos und in kläglichem Zustande
liegen. Die Flucht von Innsbruck und der Abzug von Metz verdunkelten
in den Augen der Zeitgenossen alle früheren Großthaten des Kaisers. Es
war die bittere Frucht des Schmalkaldischen Krieges.

Erst jetzt, als Guise mit seinen Edelleuten in einer Dankprocession durch die
Straßen zog, die Bürger hinterdrein, war Metz - völlig für Deutschland verloren:
die Franzosen, die sich wie Katzen eingeschlichen, hatten es wie Löwen vertheidigt.
Dem ebenso verschlagenen und wachsamen als kräftig durchgreifenden Marschall
von Vteilleville fiel die Aufgabe zu, als Gouverneur den neuen, noch schwan¬
kenden Zustand der Dinge zu befestigen. Er erwarb sich das Verdienst, den
zügellosen Soldaten einen Zaum anzulegen und strenge Gerechtigkeit gegen


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mußten die umliegenden Dörfer liefern, viele unnütze Kostgänger, namentlich
Geistliche und Mönche, zwang man die Stadt zu verlassen. Am 19. Oetober
erschien endlich die längst erwartete erste Abtheilung der kaiserlichen Armee
unter dem Herzoge von Alba im Angesichte von Metz, aber vierzehn Tage
vergingen bis zum Eintreffen weiterer Verstärkungen in Unthätigkeit, und
auch fürderhin zeigte sich die Besatzung, obgleich sie nur etwa 10,000 Mann
betrug, viel eifriger, Ausfälle zu machen, als Alba mit Laufgräben voranzu¬
gehen. Dem Kaiser, der durch Podagra lange zurückgehalten wurde, gelang
es inzwischen an dem wilden und räuberischen Markgrafen Albert von
Kulmbach, der mit 20,000 Mann bei Diedenhofen eine zweideutige Haltung
einnahm, einen willkommenen Bundesgenossen zu gewinnen. Am 20. No¬
vember traf endlich Karl V. bei dem Belagerungsheere vor dem Thore Se.
Thibault ein: an der Spitze einer gewaltigen Macht von über 60,000
Mann, Deutschen, Spaniern und Italienern stand jetzt der Kaiser als Feind
vor derselben Stadt, die ihn vor kurzem erst dreimal nacheinander mit fest¬
licher Freude in ihren Mauern empfangen hatte. Wenig aber entsprachen
die Erfolge den großen Rüstungen und dem berühmten Namen Alba's.
Als man am 28. November endlich Bresche geschossen hatte, erhob sich hinter
der eingestürzten Mauer drohend ein zweiter Wall; zu einem Sturme kam
es nicht, weil den Truppen die Kampflust fehlte, die Minen wurden durch
Gegenminen vereitelt. Obgleich einige Thürme übel zugerichtet waren, Mu¬
nition und Lebensmittel anfingen knapp zu werden, so arbeiteten die Be¬
lagerten, selbst Frauen und Mädchen, rastlos an der Herstellung und Ver¬
stärkung ihrer Werke und von Verdun aus fügte der Marschall von Vieille-
ville in kleinen Scharmützeln den kaiserlichen Truppen manchen Nachtheil zu.
Die ungewöhnliche Kälte, gegen welche man nur ungenügenden Schutz hatte,
ansteckende Krankheiten und Mutlosigkeit bewogen Karl endlich gegen sein
kaiserliches Wort am 26. December die Belagerung nach 65 Tagen aufzu¬
heben. Fast die Hälfte seines Heeres war ohne Nutzen hingeopfert, zahl¬
reiche Kranke und Verwundete blieben hilflos und in kläglichem Zustande
liegen. Die Flucht von Innsbruck und der Abzug von Metz verdunkelten
in den Augen der Zeitgenossen alle früheren Großthaten des Kaisers. Es
war die bittere Frucht des Schmalkaldischen Krieges.

Erst jetzt, als Guise mit seinen Edelleuten in einer Dankprocession durch die
Straßen zog, die Bürger hinterdrein, war Metz - völlig für Deutschland verloren:
die Franzosen, die sich wie Katzen eingeschlichen, hatten es wie Löwen vertheidigt.
Dem ebenso verschlagenen und wachsamen als kräftig durchgreifenden Marschall
von Vteilleville fiel die Aufgabe zu, als Gouverneur den neuen, noch schwan¬
kenden Zustand der Dinge zu befestigen. Er erwarb sich das Verdienst, den
zügellosen Soldaten einen Zaum anzulegen und strenge Gerechtigkeit gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/499>, abgerufen am 23.12.2024.