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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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die technische Vollendung der Leistungen eine der ansehnlichsten Krystallglas-
fabriken des Continentes. Sie beschäftigt etwa 1800 Arbeiter, von denen
die meisten in der Gesellschaft gehörigen Häusern wohnen und für deren
Wohl durch allerhand zweckmäßige Anstalten -- Spar-, Alterpensions-, Waisen¬
kassen u, s. w. -- in vorzüglicher Weise gesorgt ist. Der Rohertrag des
Geschäftes wird auf durchschnittlich 4 Millionen Franken geschätzt. Die Be.
Sucher der letzten Pariser Weltausstellung werden sich der Krystall-Herrlich-
feiten wohl erinnern, welche Baccarat gesandt hatte. Viele, die in Paris
Bescheid wissen, werden aber auch das großartige ständige Magazin kennen,
in welchem die Fabrik ihre zahlreichen Producte vor den Augen der Groß-
istadt ausbreitet. Es ist das vielleicht eines der glänzendsten und sehens¬
werthesten Magazine der an glänzenden Läden doch überreichen Stadt.

Um die große Masse ihrer Fabrikate zu vertreiben, hat die Fabrik mit
etwa sechstausend Agenten oder Geschäftshäusern in der neuen und alten
Welt ständigen Verkehr.

Die Fabrik verbraucht keine Kohlen, weder zur Glasbereitung noch zur
Dampserzeugung. Sie bedarf eines großen mechanischen Kraftaufwandes;
denn in der Schleiferei drehen sich fort und fort 700 Räder. Aber die
Murthe bietet reichliche Wasserkraft; ein eigens angelegter, aus der Murthe
gespeister Canal treibt zwei Turbinen von je dreißig Pserdekräften. Die
Murthe löst auch das Räthsel, wie die Fabrik in einer heutzutage nicht mehr
allzuwaldreichen Gegend ohne Kohlen auskommen kann. Denn auf ihrem
Rücken werden, beinahe kostenlos, zweimal im Jahre die großen Massen
Holz aus den Staatsforsten in den Vogesen herbeigeflößt, deren das Eta¬
blissement bedarf. Ob es ein technisches Vorurtheil, ob es wirthschaftliche
Berechnung ist, was Herrn Godard bei der Holzfeuerung beharren läßt --
ich weiß es nicht. Genug, daß die "Cristallerie de Baccarat" wirthschaftlich
wohl gedeiht und in technischer Beziehung hohen Rufes sich erfreut.

Ob die Grabhügel von Raon l'Etape, diese stummen Zeugen eines blu¬
tigen Tages, und mit ihnen auch Baccarat, dieser alte Hochsitz frischer und
lebendiger Jndustriethätigkeit, der Erbe einer der schönsten Zierden jenes
Pare d'Horreur -- Lothringens -- in deutsche Hand zurückkommen wird? --
Graf Moltke wird bereits jetzt darüber im Reinen sein. Sollte die strategi¬
sche Nothwendigkeit, dieser endgiltig entscheidende Richter in dem Grenzstreit,
uns in den Besitz der Murthe setzen, so wären wir zugleich die Hüter eines
großen gewerblichen Unternehmens, welches bisher Seinesgleichen nicht hatte
im deutschen Lande.


A. Emminghaus.


die technische Vollendung der Leistungen eine der ansehnlichsten Krystallglas-
fabriken des Continentes. Sie beschäftigt etwa 1800 Arbeiter, von denen
die meisten in der Gesellschaft gehörigen Häusern wohnen und für deren
Wohl durch allerhand zweckmäßige Anstalten — Spar-, Alterpensions-, Waisen¬
kassen u, s. w. — in vorzüglicher Weise gesorgt ist. Der Rohertrag des
Geschäftes wird auf durchschnittlich 4 Millionen Franken geschätzt. Die Be.
Sucher der letzten Pariser Weltausstellung werden sich der Krystall-Herrlich-
feiten wohl erinnern, welche Baccarat gesandt hatte. Viele, die in Paris
Bescheid wissen, werden aber auch das großartige ständige Magazin kennen,
in welchem die Fabrik ihre zahlreichen Producte vor den Augen der Groß-
istadt ausbreitet. Es ist das vielleicht eines der glänzendsten und sehens¬
werthesten Magazine der an glänzenden Läden doch überreichen Stadt.

Um die große Masse ihrer Fabrikate zu vertreiben, hat die Fabrik mit
etwa sechstausend Agenten oder Geschäftshäusern in der neuen und alten
Welt ständigen Verkehr.

Die Fabrik verbraucht keine Kohlen, weder zur Glasbereitung noch zur
Dampserzeugung. Sie bedarf eines großen mechanischen Kraftaufwandes;
denn in der Schleiferei drehen sich fort und fort 700 Räder. Aber die
Murthe bietet reichliche Wasserkraft; ein eigens angelegter, aus der Murthe
gespeister Canal treibt zwei Turbinen von je dreißig Pserdekräften. Die
Murthe löst auch das Räthsel, wie die Fabrik in einer heutzutage nicht mehr
allzuwaldreichen Gegend ohne Kohlen auskommen kann. Denn auf ihrem
Rücken werden, beinahe kostenlos, zweimal im Jahre die großen Massen
Holz aus den Staatsforsten in den Vogesen herbeigeflößt, deren das Eta¬
blissement bedarf. Ob es ein technisches Vorurtheil, ob es wirthschaftliche
Berechnung ist, was Herrn Godard bei der Holzfeuerung beharren läßt —
ich weiß es nicht. Genug, daß die „Cristallerie de Baccarat" wirthschaftlich
wohl gedeiht und in technischer Beziehung hohen Rufes sich erfreut.

Ob die Grabhügel von Raon l'Etape, diese stummen Zeugen eines blu¬
tigen Tages, und mit ihnen auch Baccarat, dieser alte Hochsitz frischer und
lebendiger Jndustriethätigkeit, der Erbe einer der schönsten Zierden jenes
Pare d'Horreur — Lothringens — in deutsche Hand zurückkommen wird? —
Graf Moltke wird bereits jetzt darüber im Reinen sein. Sollte die strategi¬
sche Nothwendigkeit, dieser endgiltig entscheidende Richter in dem Grenzstreit,
uns in den Besitz der Murthe setzen, so wären wir zugleich die Hüter eines
großen gewerblichen Unternehmens, welches bisher Seinesgleichen nicht hatte
im deutschen Lande.


A. Emminghaus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/461>, abgerufen am 22.12.2024.