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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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"So hatte sie denn auch" -- schließt Lepage diese seine Mittheilungen
-- "seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine so hohe Stufe der Ent¬
wicklung erreicht, daß sie wohl verdiente, unter den Eigenthümlichkeiten des
Herzogtums Lothringen, dieses ""taro ä'Honuöur"", dessen zahlreiche Wun¬
der ein Zeitgenosse uns geschildert hat, aufgezählt zu werden."

Von welcher Zeit der Untergang jener zahlreichen kleinen Etablissements,
welche noch im vorigen Jahrhundert in Lothringen bestände n haben müssen
datirt, ist mir unbekannt. Die heutige lothringische Glasindustrie ist nicht
mehr deeentralisirt wie die mittelalterliche, sie hat eine einzige große und
mächtige Residenz, eben zu Baccarat an der Murthe -- nahe bei den Grä¬
bern unserer Tapferen, welche am 6. October in heißem, blutigem Kampf ihr
Leben dem Vaterland opferten.

Die große Fabrik zu^Baccarat, welche früher die Glashütte von Sainte-
Anne hieß, wurde von Herrn von Montmorency-Laval, Bischof von Metz,
gegründet. Das Patent vom 1. Juni 1765 verlieh dem Gründer das Recht,
die ausgedehnten Waldungen der Herrschaft Baccarat auszubeuten. Anton
Renault, Parlamentsanwalt, königlicher Rath, Forst- und Domcnnen-Ver-
rechner zu Nanzig, ein künstlerisch hochbegabter Mann, war Miteigenthümer
und erster Director des Etablissements von 1765 bis zu seinem i. I. 1806
erfolgten Tode. Im Jahr 1775 erbat sich Renault vom Bischof von Toul
die Erlaubniß zur Erbauung einer Capelle zu Baccarat. Denn das Eta¬
blissement beschäftige eine sehr große Zahl von Arbeitern, und die Art des
Geschäftes gestatte denselben nicht, selbst nicht an Sonn- und Festtagen, sich
von Baccarat zu entfernen, um die Pfarrkirche von Deneuvre zu besuchen.
Der Bischof ertheilte diese Erlaubniß und errichtete selbst ein Vicariat der Pfarrre
Deneuvre zu Baccarat.

Beim Beginn der Revolution erlangte das Etablissement die Rechte einer
besonderen Gemeinde.

Im Jahre 1816 verlegte ein Belgier, Herr d'Artigues, welcher seine
Glaswaaren -- er war der Besitzer der Krystallglas-Fabrik zu Vonöche --
in Frankreich zu vertreiben durch das hier herrschende Prohibitiv-System ver¬
hindert war, sein Geschäft nach Baccarat; i. I. 1822 wurde das Etablisse¬
ment von einer Gesellschaft, deren Gerant Herr Godard-Desmarest, Vater,
war, angekauft. 1839 folgte Herr Godard-Desmarest, Sohn, seinem Vater
in der Stellung als Chef der Fabrik nach. Nachdem in den folgenden
Jahren die Leitung des Geschäfts öfter gewechselt hatte, übernahm i. I. 1858
Herr Godard-Desmarest, Sohn, die Verwaltung zum zweiten Male, und in
dessen Händen ruht die letztere noch heutzutage.

Die "Cristallerie de Baccarat" ist heute, ebenso hinsichtlich der wirds'-
schaftlichen Organisation wie des Umfanges des Betriebes und in Bezug aus


„So hatte sie denn auch" — schließt Lepage diese seine Mittheilungen
— „seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine so hohe Stufe der Ent¬
wicklung erreicht, daß sie wohl verdiente, unter den Eigenthümlichkeiten des
Herzogtums Lothringen, dieses „„taro ä'Honuöur"", dessen zahlreiche Wun¬
der ein Zeitgenosse uns geschildert hat, aufgezählt zu werden."

Von welcher Zeit der Untergang jener zahlreichen kleinen Etablissements,
welche noch im vorigen Jahrhundert in Lothringen bestände n haben müssen
datirt, ist mir unbekannt. Die heutige lothringische Glasindustrie ist nicht
mehr deeentralisirt wie die mittelalterliche, sie hat eine einzige große und
mächtige Residenz, eben zu Baccarat an der Murthe — nahe bei den Grä¬
bern unserer Tapferen, welche am 6. October in heißem, blutigem Kampf ihr
Leben dem Vaterland opferten.

Die große Fabrik zu^Baccarat, welche früher die Glashütte von Sainte-
Anne hieß, wurde von Herrn von Montmorency-Laval, Bischof von Metz,
gegründet. Das Patent vom 1. Juni 1765 verlieh dem Gründer das Recht,
die ausgedehnten Waldungen der Herrschaft Baccarat auszubeuten. Anton
Renault, Parlamentsanwalt, königlicher Rath, Forst- und Domcnnen-Ver-
rechner zu Nanzig, ein künstlerisch hochbegabter Mann, war Miteigenthümer
und erster Director des Etablissements von 1765 bis zu seinem i. I. 1806
erfolgten Tode. Im Jahr 1775 erbat sich Renault vom Bischof von Toul
die Erlaubniß zur Erbauung einer Capelle zu Baccarat. Denn das Eta¬
blissement beschäftige eine sehr große Zahl von Arbeitern, und die Art des
Geschäftes gestatte denselben nicht, selbst nicht an Sonn- und Festtagen, sich
von Baccarat zu entfernen, um die Pfarrkirche von Deneuvre zu besuchen.
Der Bischof ertheilte diese Erlaubniß und errichtete selbst ein Vicariat der Pfarrre
Deneuvre zu Baccarat.

Beim Beginn der Revolution erlangte das Etablissement die Rechte einer
besonderen Gemeinde.

Im Jahre 1816 verlegte ein Belgier, Herr d'Artigues, welcher seine
Glaswaaren — er war der Besitzer der Krystallglas-Fabrik zu Vonöche —
in Frankreich zu vertreiben durch das hier herrschende Prohibitiv-System ver¬
hindert war, sein Geschäft nach Baccarat; i. I. 1822 wurde das Etablisse¬
ment von einer Gesellschaft, deren Gerant Herr Godard-Desmarest, Vater,
war, angekauft. 1839 folgte Herr Godard-Desmarest, Sohn, seinem Vater
in der Stellung als Chef der Fabrik nach. Nachdem in den folgenden
Jahren die Leitung des Geschäfts öfter gewechselt hatte, übernahm i. I. 1858
Herr Godard-Desmarest, Sohn, die Verwaltung zum zweiten Male, und in
dessen Händen ruht die letztere noch heutzutage.

Die „Cristallerie de Baccarat" ist heute, ebenso hinsichtlich der wirds'-
schaftlichen Organisation wie des Umfanges des Betriebes und in Bezug aus


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[0460] „So hatte sie denn auch" — schließt Lepage diese seine Mittheilungen — „seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine so hohe Stufe der Ent¬ wicklung erreicht, daß sie wohl verdiente, unter den Eigenthümlichkeiten des Herzogtums Lothringen, dieses „„taro ä'Honuöur"", dessen zahlreiche Wun¬ der ein Zeitgenosse uns geschildert hat, aufgezählt zu werden." Von welcher Zeit der Untergang jener zahlreichen kleinen Etablissements, welche noch im vorigen Jahrhundert in Lothringen bestände n haben müssen datirt, ist mir unbekannt. Die heutige lothringische Glasindustrie ist nicht mehr deeentralisirt wie die mittelalterliche, sie hat eine einzige große und mächtige Residenz, eben zu Baccarat an der Murthe — nahe bei den Grä¬ bern unserer Tapferen, welche am 6. October in heißem, blutigem Kampf ihr Leben dem Vaterland opferten. Die große Fabrik zu^Baccarat, welche früher die Glashütte von Sainte- Anne hieß, wurde von Herrn von Montmorency-Laval, Bischof von Metz, gegründet. Das Patent vom 1. Juni 1765 verlieh dem Gründer das Recht, die ausgedehnten Waldungen der Herrschaft Baccarat auszubeuten. Anton Renault, Parlamentsanwalt, königlicher Rath, Forst- und Domcnnen-Ver- rechner zu Nanzig, ein künstlerisch hochbegabter Mann, war Miteigenthümer und erster Director des Etablissements von 1765 bis zu seinem i. I. 1806 erfolgten Tode. Im Jahr 1775 erbat sich Renault vom Bischof von Toul die Erlaubniß zur Erbauung einer Capelle zu Baccarat. Denn das Eta¬ blissement beschäftige eine sehr große Zahl von Arbeitern, und die Art des Geschäftes gestatte denselben nicht, selbst nicht an Sonn- und Festtagen, sich von Baccarat zu entfernen, um die Pfarrkirche von Deneuvre zu besuchen. Der Bischof ertheilte diese Erlaubniß und errichtete selbst ein Vicariat der Pfarrre Deneuvre zu Baccarat. Beim Beginn der Revolution erlangte das Etablissement die Rechte einer besonderen Gemeinde. Im Jahre 1816 verlegte ein Belgier, Herr d'Artigues, welcher seine Glaswaaren — er war der Besitzer der Krystallglas-Fabrik zu Vonöche — in Frankreich zu vertreiben durch das hier herrschende Prohibitiv-System ver¬ hindert war, sein Geschäft nach Baccarat; i. I. 1822 wurde das Etablisse¬ ment von einer Gesellschaft, deren Gerant Herr Godard-Desmarest, Vater, war, angekauft. 1839 folgte Herr Godard-Desmarest, Sohn, seinem Vater in der Stellung als Chef der Fabrik nach. Nachdem in den folgenden Jahren die Leitung des Geschäfts öfter gewechselt hatte, übernahm i. I. 1858 Herr Godard-Desmarest, Sohn, die Verwaltung zum zweiten Male, und in dessen Händen ruht die letztere noch heutzutage. Die „Cristallerie de Baccarat" ist heute, ebenso hinsichtlich der wirds'- schaftlichen Organisation wie des Umfanges des Betriebes und in Bezug aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/460>, abgerufen am 22.12.2024.