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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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an Lavater fehlten. Nun schreibt er mir, daß Lavater schon eins habe. Ein
Lied hab ich seit der Zeit nicht gemacht. Mein Genie hab ich geforscht, ver-
muthlich bin ich auf der Spur. Etwas großes hab ich schon angefangen.
Wenns fertig ist, bekommst Du's, Aber beobachte beyder gantzen Sache
die größte Verschwiegenheit, sie ist schlechterdings nötig und keiner, der nicht
mein vertrauter Freund ist, darf was davon wissen. Nicht einmal meine
andern Freunde wissen jetzt davon.

Mit Schubart geh ich um, aber nicht sehr viel. Er hat viel herrliches
in sich, kennt sich selber aber viel zu wenig und weiß noch nicht, wo er
hinaus soll. Bey ihm wär's einmal Zeit! Aber Weib und Kind bringen
einen auf manche Wege, die er sonst nicht betreten hätte.

D. Weiß*) Lieder thun auf mich viel Würkung. Meine Ideen hat er
bey meinen Liedern fast immer ausgedrückt. Im Umgang scheint er mehr
Gemeines als besonders an sich zu haben. Zartes, leises Gefühl scheint seine
Hauptkraft zu seyn. So will ich denn Lavater und Pfenninger nur lieben.
Bey'r Bewunderung ist einem nicht so wohl, wie bey der Liebe, aber wenn
sich einer mitten aus dem Kreis der Vertraulichkeit, in der ich mit ihm zu
stehen glaube, hinaufschwingt, daß ich nachblicken muß, dann fühl ich neben
dem Gefühl der Nacheiferung und des Nachstrebens doch noch immer Bewunde¬
rung. Grüß sie herzlich von mir.

Herder ist auch sehr mein Mann, ob ich gleich oft, wenn er spricht, mehr
ahnde als sehe und empfinde. Man sieht doch, daß er auf der Bahn der
Warheit geht, wenn ihn auch das Auge schon verliert und man hat doch
Hofnung, daß man auch einmal mit ihm ins innre Heiligthum eintritt. Ich
bin ein Geistlicher und wünsche einst der Vater einer ländlichen Familie zu
werden. Das Landvolk lieb ich über alles, theils weils noch gut und theils,
weils bey uns am meisten hülfsbedürftig ist. Auf unsern Dörfern sind die
meisten Hirten Miethlinge oder Leute, die weder ihre Heerde noch das, ihr
allein heilsame Futter kennen. Eine Stadtgemeinde ist mir zu groß und
noch habe ich das Auge nicht, sie ganz zu umfassen. Dein Volkslied hab ich
bei Wagner gesehen, Habs aber selber nicht, schikt mir's.

Ossians Uebersetzer in der Iris") kenn ich nicht; schick mir seinen Namen
und seinen Schattenriß. Wer den Ossian recht liebt und fühlt, muß gut seyn.
Meine Lieder magst Du gern mit meinem Namen drucken lassen, vielleicht
schickst Du mir noch neue. Nenn mir sie doch: Ich habe sie vergessen und
kann vielleicht noch dran ändern. Vor allem aber schick mir das physiogno-
mische Lied! Ich will gern brav seyn und schreiben; und lieb hab ich Dich
von gantzem Herzen. Das NoM "Zu den Ur. ^Vivlavä ist mir noch nicht




') D. Weis, der viele Lieder Millers componirte.
"
) Jacobis Iris 177V. NcdersejM- Lenz.

an Lavater fehlten. Nun schreibt er mir, daß Lavater schon eins habe. Ein
Lied hab ich seit der Zeit nicht gemacht. Mein Genie hab ich geforscht, ver-
muthlich bin ich auf der Spur. Etwas großes hab ich schon angefangen.
Wenns fertig ist, bekommst Du's, Aber beobachte beyder gantzen Sache
die größte Verschwiegenheit, sie ist schlechterdings nötig und keiner, der nicht
mein vertrauter Freund ist, darf was davon wissen. Nicht einmal meine
andern Freunde wissen jetzt davon.

Mit Schubart geh ich um, aber nicht sehr viel. Er hat viel herrliches
in sich, kennt sich selber aber viel zu wenig und weiß noch nicht, wo er
hinaus soll. Bey ihm wär's einmal Zeit! Aber Weib und Kind bringen
einen auf manche Wege, die er sonst nicht betreten hätte.

D. Weiß*) Lieder thun auf mich viel Würkung. Meine Ideen hat er
bey meinen Liedern fast immer ausgedrückt. Im Umgang scheint er mehr
Gemeines als besonders an sich zu haben. Zartes, leises Gefühl scheint seine
Hauptkraft zu seyn. So will ich denn Lavater und Pfenninger nur lieben.
Bey'r Bewunderung ist einem nicht so wohl, wie bey der Liebe, aber wenn
sich einer mitten aus dem Kreis der Vertraulichkeit, in der ich mit ihm zu
stehen glaube, hinaufschwingt, daß ich nachblicken muß, dann fühl ich neben
dem Gefühl der Nacheiferung und des Nachstrebens doch noch immer Bewunde¬
rung. Grüß sie herzlich von mir.

Herder ist auch sehr mein Mann, ob ich gleich oft, wenn er spricht, mehr
ahnde als sehe und empfinde. Man sieht doch, daß er auf der Bahn der
Warheit geht, wenn ihn auch das Auge schon verliert und man hat doch
Hofnung, daß man auch einmal mit ihm ins innre Heiligthum eintritt. Ich
bin ein Geistlicher und wünsche einst der Vater einer ländlichen Familie zu
werden. Das Landvolk lieb ich über alles, theils weils noch gut und theils,
weils bey uns am meisten hülfsbedürftig ist. Auf unsern Dörfern sind die
meisten Hirten Miethlinge oder Leute, die weder ihre Heerde noch das, ihr
allein heilsame Futter kennen. Eine Stadtgemeinde ist mir zu groß und
noch habe ich das Auge nicht, sie ganz zu umfassen. Dein Volkslied hab ich
bei Wagner gesehen, Habs aber selber nicht, schikt mir's.

Ossians Uebersetzer in der Iris") kenn ich nicht; schick mir seinen Namen
und seinen Schattenriß. Wer den Ossian recht liebt und fühlt, muß gut seyn.
Meine Lieder magst Du gern mit meinem Namen drucken lassen, vielleicht
schickst Du mir noch neue. Nenn mir sie doch: Ich habe sie vergessen und
kann vielleicht noch dran ändern. Vor allem aber schick mir das physiogno-
mische Lied! Ich will gern brav seyn und schreiben; und lieb hab ich Dich
von gantzem Herzen. Das NoM «Zu den Ur. ^Vivlavä ist mir noch nicht




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[0440] an Lavater fehlten. Nun schreibt er mir, daß Lavater schon eins habe. Ein Lied hab ich seit der Zeit nicht gemacht. Mein Genie hab ich geforscht, ver- muthlich bin ich auf der Spur. Etwas großes hab ich schon angefangen. Wenns fertig ist, bekommst Du's, Aber beobachte beyder gantzen Sache die größte Verschwiegenheit, sie ist schlechterdings nötig und keiner, der nicht mein vertrauter Freund ist, darf was davon wissen. Nicht einmal meine andern Freunde wissen jetzt davon. Mit Schubart geh ich um, aber nicht sehr viel. Er hat viel herrliches in sich, kennt sich selber aber viel zu wenig und weiß noch nicht, wo er hinaus soll. Bey ihm wär's einmal Zeit! Aber Weib und Kind bringen einen auf manche Wege, die er sonst nicht betreten hätte. D. Weiß*) Lieder thun auf mich viel Würkung. Meine Ideen hat er bey meinen Liedern fast immer ausgedrückt. Im Umgang scheint er mehr Gemeines als besonders an sich zu haben. Zartes, leises Gefühl scheint seine Hauptkraft zu seyn. So will ich denn Lavater und Pfenninger nur lieben. Bey'r Bewunderung ist einem nicht so wohl, wie bey der Liebe, aber wenn sich einer mitten aus dem Kreis der Vertraulichkeit, in der ich mit ihm zu stehen glaube, hinaufschwingt, daß ich nachblicken muß, dann fühl ich neben dem Gefühl der Nacheiferung und des Nachstrebens doch noch immer Bewunde¬ rung. Grüß sie herzlich von mir. Herder ist auch sehr mein Mann, ob ich gleich oft, wenn er spricht, mehr ahnde als sehe und empfinde. Man sieht doch, daß er auf der Bahn der Warheit geht, wenn ihn auch das Auge schon verliert und man hat doch Hofnung, daß man auch einmal mit ihm ins innre Heiligthum eintritt. Ich bin ein Geistlicher und wünsche einst der Vater einer ländlichen Familie zu werden. Das Landvolk lieb ich über alles, theils weils noch gut und theils, weils bey uns am meisten hülfsbedürftig ist. Auf unsern Dörfern sind die meisten Hirten Miethlinge oder Leute, die weder ihre Heerde noch das, ihr allein heilsame Futter kennen. Eine Stadtgemeinde ist mir zu groß und noch habe ich das Auge nicht, sie ganz zu umfassen. Dein Volkslied hab ich bei Wagner gesehen, Habs aber selber nicht, schikt mir's. Ossians Uebersetzer in der Iris") kenn ich nicht; schick mir seinen Namen und seinen Schattenriß. Wer den Ossian recht liebt und fühlt, muß gut seyn. Meine Lieder magst Du gern mit meinem Namen drucken lassen, vielleicht schickst Du mir noch neue. Nenn mir sie doch: Ich habe sie vergessen und kann vielleicht noch dran ändern. Vor allem aber schick mir das physiogno- mische Lied! Ich will gern brav seyn und schreiben; und lieb hab ich Dich von gantzem Herzen. Das NoM «Zu den Ur. ^Vivlavä ist mir noch nicht ') D. Weis, der viele Lieder Millers componirte. " ) Jacobis Iris 177V. NcdersejM- Lenz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/440>, abgerufen am 22.12.2024.