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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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aber mit Recht sehr hart. Ueber den König selbst urtheilt der Verfasser, wie
immer, sehr mild, sowohl bei Gelegenheit der Schlacht von Kunersdorf und
der Uebergabe von Dresden, wie der Affaire bei Maxen. Es ist unnöthig,
die bekannten Streitfragen hier von Neuem zu discutiren, jedenfalls mußten
sie dort scharf präcisirt werden. Wie ungerecht erscheint der König gegen
Schmettau und Finck! Nicht zum ersten Mal hatte der König dem Grafen
Schmettau die Vertheidigung Dresdens anvertraut; er war ein tapfe¬
rer Offizier und entschlossen, sich auch damals zu wehren. An der
Uebergabe der Stadt war der trostlose Brief des Königs Schuld und die
Bedingungen, welche Schmettau erhielt, namentlich die Mitnahme der Kassen
mit 6.600.000 Thlr. waren keine kleinen Zugeständnisse. Zu spät bekam er
Kunde von dem nahenden Entsatz und auch dieser wäre garnicht hinreichend
gewesen; welcher Art Schmettau's Truppen waren, erhellt daraus, dahin den
ersten Stunden nach der Ccipitulation zu zwei Fünftel der Mannschaft deser-
tirten. Und wenn Finck sich den Schwierigkeiten eines tollkühnen Wagnisses
nicht gewachsen zeigte, er verdiente, da er in richtiger Schätzung seiner Kräfte
anfänglich ablehnte, wohl ein anderes Gedächtniß als das, welches Friedrich
ihm in seinen Werken setzt: denselben Officier, den der König noch zur Zeit
des Unglücks von Kunersdorf für einen der tüchtigsten hielt -- und mit
Recht -- erklärt er plötzlich für einen ehrlosen Feigling. Und doch deutet
Schöning an, daß selbst das Kriegsgericht unter Ziethen's und des nicht sehr
fähigen Wedel! Vorsitz, nur der Pression von oben nachgebend, ihn unschul¬
dig verurtheilte. Gerechtfertigt wird Friedrich's Verfahren durch nichts:
die üble Lage, in welche dieser Unfall gerade ihn brachte, und die daraus
entspringende Verbitterung kann es erklären. Der Schlag von Maxen war
in seinen Folgen verhängnißvoll: Frankreich faßte neuen Muth und entsagte
allen Friedensverhandlungen, Rußland richtete sich stolz empor und ließ die
den englischen Vermittlern übergebenen Antwortschreiben zurückfordern. Von
besonderer Wichtigkeit ist endlich noch die ausführliche Behandlung des Schu-
waloff'schen Vertrages im März 1760. Hier erging es den Oestreichern ähn¬
lich, wie einst den Franzosen jenen gegenüber: statt die Führung zu über¬
nehmen, wurden die Oestreicher dominirt, namentlich wegen der geringen Be¬
fähigung ihres Gesandten Esterhazy.

Der Verfasser könnte mit uns darüber rechten, daß wir an dem mili¬
tärischen Theil, der für ihn doch der weniger wichtigere war, Ausstellungen
machen, dagegen den Werth des an politischem Material Gebotenen ver¬
schweigen. Wir haben aber für unsere Pflicht gehalten, nur das zu erörtern,
worüber eine Controle für Jeden möglich ist, mit einer dürren Aufzählung
der Tractate :c. würden wir dem Verfasser keinen Dienst leisten und eine ge¬
drängte Uebersicht ist wegen der Complicirtheit derartiger Gegenstände nicht


aber mit Recht sehr hart. Ueber den König selbst urtheilt der Verfasser, wie
immer, sehr mild, sowohl bei Gelegenheit der Schlacht von Kunersdorf und
der Uebergabe von Dresden, wie der Affaire bei Maxen. Es ist unnöthig,
die bekannten Streitfragen hier von Neuem zu discutiren, jedenfalls mußten
sie dort scharf präcisirt werden. Wie ungerecht erscheint der König gegen
Schmettau und Finck! Nicht zum ersten Mal hatte der König dem Grafen
Schmettau die Vertheidigung Dresdens anvertraut; er war ein tapfe¬
rer Offizier und entschlossen, sich auch damals zu wehren. An der
Uebergabe der Stadt war der trostlose Brief des Königs Schuld und die
Bedingungen, welche Schmettau erhielt, namentlich die Mitnahme der Kassen
mit 6.600.000 Thlr. waren keine kleinen Zugeständnisse. Zu spät bekam er
Kunde von dem nahenden Entsatz und auch dieser wäre garnicht hinreichend
gewesen; welcher Art Schmettau's Truppen waren, erhellt daraus, dahin den
ersten Stunden nach der Ccipitulation zu zwei Fünftel der Mannschaft deser-
tirten. Und wenn Finck sich den Schwierigkeiten eines tollkühnen Wagnisses
nicht gewachsen zeigte, er verdiente, da er in richtiger Schätzung seiner Kräfte
anfänglich ablehnte, wohl ein anderes Gedächtniß als das, welches Friedrich
ihm in seinen Werken setzt: denselben Officier, den der König noch zur Zeit
des Unglücks von Kunersdorf für einen der tüchtigsten hielt — und mit
Recht — erklärt er plötzlich für einen ehrlosen Feigling. Und doch deutet
Schöning an, daß selbst das Kriegsgericht unter Ziethen's und des nicht sehr
fähigen Wedel! Vorsitz, nur der Pression von oben nachgebend, ihn unschul¬
dig verurtheilte. Gerechtfertigt wird Friedrich's Verfahren durch nichts:
die üble Lage, in welche dieser Unfall gerade ihn brachte, und die daraus
entspringende Verbitterung kann es erklären. Der Schlag von Maxen war
in seinen Folgen verhängnißvoll: Frankreich faßte neuen Muth und entsagte
allen Friedensverhandlungen, Rußland richtete sich stolz empor und ließ die
den englischen Vermittlern übergebenen Antwortschreiben zurückfordern. Von
besonderer Wichtigkeit ist endlich noch die ausführliche Behandlung des Schu-
waloff'schen Vertrages im März 1760. Hier erging es den Oestreichern ähn¬
lich, wie einst den Franzosen jenen gegenüber: statt die Führung zu über¬
nehmen, wurden die Oestreicher dominirt, namentlich wegen der geringen Be¬
fähigung ihres Gesandten Esterhazy.

Der Verfasser könnte mit uns darüber rechten, daß wir an dem mili¬
tärischen Theil, der für ihn doch der weniger wichtigere war, Ausstellungen
machen, dagegen den Werth des an politischem Material Gebotenen ver¬
schweigen. Wir haben aber für unsere Pflicht gehalten, nur das zu erörtern,
worüber eine Controle für Jeden möglich ist, mit einer dürren Aufzählung
der Tractate :c. würden wir dem Verfasser keinen Dienst leisten und eine ge¬
drängte Uebersicht ist wegen der Complicirtheit derartiger Gegenstände nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/422>, abgerufen am 22.12.2024.