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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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weil davon unser Urtheil über die historische Treue des königlichen Schrift-
stellers abhängt. Wir halten es für unsre Pflicht, auch aus andere dunkle
Punkte in Friedrichs Darstellung aufmerksam zu machen; denn wo seine
Generäle durch seine eigenen Fehler unterlagen, scheint er durchaus nicht
bereit, den größten Theil der Schuld aus sich zu nehmen, wohl aber, einen
eben noch gerühmten General als untüchtig zu verurtheilen.

Bedeutender, als die Beschreibung der Kolliner Schlacht, ist der Bericht
über die Vorgänge bei Hastenbeck: man sieht deutlich, daß es dort nur an
einem Feldherrn, wie Friedrich oder Ferdinand von Braunschweig, mangelte,
um einen vollkomneren Sieg zu erringen. Aber freilich, in Folge der schwan¬
kenden Haltung des Königs Georg sah es auch mit der englischen Heerfüh¬
rung traurig aus; was für jämmerliche Führer waren es, denen die Ehre
Englands anvertraut war! und was für ein Volk, das sich eine Zevener
Convention gefallen ließ. Und wie richtig charakterisirt Holdernesse die
ganze engherzige Politik des England von damals und jetzt, wenn er am
17. Juli 1737 an Mitchell schreibt: "wir müssen Kaufleute sein, auch wenn
wir Krieger sind."

Bei so unzureichender Hilfe von Seiten der Verbündeten lag die einzige
wirkliche Unterstützung, die dem Könige zu Theil wurde, in der Uneinigkeit
seiner Gegner und in diese läßt uns gerade die Schäfer'sche Art, den Krieg
zu beschreiben, einen genauen Blick thun: alle Unternehmungen, selbst nach
den Erfolgen von Kollin und Hochkirch werden durch die Eifersucht zwischen
Oestreich und Frankreich gelähmt; es war eben eine widersinnige Allianz;
zwei Mächte, die sich Jahrhunderte lang systematisch bekämpft hatten, konnten
nicht auf einmal Vereinigungspunkte ihrer Politik und gleichartige Interessen
ausfindig machen -- geschweige denn wirklich haben. Und nun gar in der
langen schweren Zeit, welche dem Siege von Roßbach vorausging, welche Fülle
der widerstreitendsten Bestrebungen zwischen Russen und Oestreichern, Franzosen
und Oestreichern, Franzosen und Russen, Reichsarmee und Franzosen!

Eine durchgehende Besserung der politischen Lage trat für Friedrich erst
ein, als Pitt in das englische Ministerium trat: deshalb und vielleicht auch
weil Schäfer mit vielen englischen Materialien gearbeitet hat, widmet er jener
Politik eine eingehendere Darstellung. Und mit Recht. Aber seiner Ansicht
über Pitt selbst und der unbedingten Anerkennung seiner Politik können wir
nicht so rückhaltlos beistimmen. Daß Pitt's Politik eine rein nationale war,
mag zugegeben werden: ob er aber stets das zweckmäßigste wählte, was ge¬
leistet werden konnte, dürfte gerechtem Zweifel unterliegen. Wollte er den
König von Preußen wirksam unterstützen, warum schickte er nicht eine kleine
Flotte nach der Ostsee, wie Friedrich wünschte? Was half es diesem be¬
stimmt ausgesprochenen Wunsche gegenüber, daß Pitt Subsidien über Sub-


weil davon unser Urtheil über die historische Treue des königlichen Schrift-
stellers abhängt. Wir halten es für unsre Pflicht, auch aus andere dunkle
Punkte in Friedrichs Darstellung aufmerksam zu machen; denn wo seine
Generäle durch seine eigenen Fehler unterlagen, scheint er durchaus nicht
bereit, den größten Theil der Schuld aus sich zu nehmen, wohl aber, einen
eben noch gerühmten General als untüchtig zu verurtheilen.

Bedeutender, als die Beschreibung der Kolliner Schlacht, ist der Bericht
über die Vorgänge bei Hastenbeck: man sieht deutlich, daß es dort nur an
einem Feldherrn, wie Friedrich oder Ferdinand von Braunschweig, mangelte,
um einen vollkomneren Sieg zu erringen. Aber freilich, in Folge der schwan¬
kenden Haltung des Königs Georg sah es auch mit der englischen Heerfüh¬
rung traurig aus; was für jämmerliche Führer waren es, denen die Ehre
Englands anvertraut war! und was für ein Volk, das sich eine Zevener
Convention gefallen ließ. Und wie richtig charakterisirt Holdernesse die
ganze engherzige Politik des England von damals und jetzt, wenn er am
17. Juli 1737 an Mitchell schreibt: „wir müssen Kaufleute sein, auch wenn
wir Krieger sind."

Bei so unzureichender Hilfe von Seiten der Verbündeten lag die einzige
wirkliche Unterstützung, die dem Könige zu Theil wurde, in der Uneinigkeit
seiner Gegner und in diese läßt uns gerade die Schäfer'sche Art, den Krieg
zu beschreiben, einen genauen Blick thun: alle Unternehmungen, selbst nach
den Erfolgen von Kollin und Hochkirch werden durch die Eifersucht zwischen
Oestreich und Frankreich gelähmt; es war eben eine widersinnige Allianz;
zwei Mächte, die sich Jahrhunderte lang systematisch bekämpft hatten, konnten
nicht auf einmal Vereinigungspunkte ihrer Politik und gleichartige Interessen
ausfindig machen — geschweige denn wirklich haben. Und nun gar in der
langen schweren Zeit, welche dem Siege von Roßbach vorausging, welche Fülle
der widerstreitendsten Bestrebungen zwischen Russen und Oestreichern, Franzosen
und Oestreichern, Franzosen und Russen, Reichsarmee und Franzosen!

Eine durchgehende Besserung der politischen Lage trat für Friedrich erst
ein, als Pitt in das englische Ministerium trat: deshalb und vielleicht auch
weil Schäfer mit vielen englischen Materialien gearbeitet hat, widmet er jener
Politik eine eingehendere Darstellung. Und mit Recht. Aber seiner Ansicht
über Pitt selbst und der unbedingten Anerkennung seiner Politik können wir
nicht so rückhaltlos beistimmen. Daß Pitt's Politik eine rein nationale war,
mag zugegeben werden: ob er aber stets das zweckmäßigste wählte, was ge¬
leistet werden konnte, dürfte gerechtem Zweifel unterliegen. Wollte er den
König von Preußen wirksam unterstützen, warum schickte er nicht eine kleine
Flotte nach der Ostsee, wie Friedrich wünschte? Was half es diesem be¬
stimmt ausgesprochenen Wunsche gegenüber, daß Pitt Subsidien über Sub-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/415>, abgerufen am 23.12.2024.