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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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stehenden Interessen anzubahnen, aber nicht so lang, daß die baldige Inan¬
griffnahme der Vorarbeiten nicht räthlich, ja nöthig erscheint. Und hier wäre
dem Voluntarism noch einmal Gelegenheit gegeben, einzutreten, um zu voll¬
enden, was durch ihn begonnen wurde, um sein Werk in das feste Gefüge
des Staats einfügen zu helfen. Was hindert die Männer, welche die Bezirks¬
armenvereine geschaffen und geleitet, zur Erörterung dieser neuen Frage zu¬
sammenzutreten, wie man im Jahre 1837 in Dresden zur Verhandlung über
die Gründung von Bezirksarmenhäusern zusammentrat? Mit voller Sach¬
kenntniß ausgerüstet, den von ihnen ins Leben gerufenen und am Leben er¬
haltenen Einrichtungen eine natürliche Theilnahme widmend, werden sie ge¬
neigt und gewillt sein, auf Mittel und Wege zur Ueberführung in die
neuen Verhältnisse zu sinnen. Ohne ihren guten Willen, ohne ihre thatkräftige,
bereite Mitwirkung ist die Neugestaltung überall nicht durchzuführen. Mit
einem Machtspruch der Gesetzgebung ist hier nichts ausgerichtet und nichts
auszurichten. Um Verhältnisse, wie die der Bezirksarmenvereine zu lösen und
neuzuordnen, will es Verhandlungen, Verständigungen, Vereinbarungen, an
denen die Staatsregierung selbstredend theilnehmen muß. Es steht nichts
entgegen, daß sie Männer ihres Vertrauens, bewährte Fachleute zu jener
Berathung abordnet, daß sie sich bei den weiteren Arbeiten vertreten läßt, die
muthmaßlich von einem besonders gewählten Ausschuß auszuführen sind, um
genaueren Einblick in den Stand der Dinge zu erhalten und endgültige
Schritte vorzubereiten. Diese Art gesetzgeberischer Vorarbeit läuft einiger¬
maßen den hergebrachten Anschauungen zuwider, sie wird aber, wenn die
Verhandlungen sonst der rechte Geist beseelt, die im Bereich des Armen¬
wesens besonders schwierige Gesetzvereinbarung gewiß wesentlich erleichtern
und fördern. Jedenfalls muß eine Frage, welche die Verhältnisse des Staats
und der Gemeinden in dem Grade berührt, durch öffentliche Erörterung
zur Entscheidung gebracht, sie muß gleichsam aus der Gesammtheit heraus
gelöst werden.

Mit dem Gesetz über den Unterstützungswohnsitz greift der Bund tief
in die innere Verwaltung ein. Während die für die nächsten Jahre bevor¬
stehende neue Gerichtsverfassung mit der ihr unterliegenden Trennung von
Rechtspflege und Verwaltung die Neugestaltung des Verwaltungsorganismus
bedingt -- eine Aussicht, auf die der Herr Minister des Innern bei Ver¬
handlung der Streit'schen Anträge hinwies --, heischt das Gesetz vom 6. Juni
1870 unerwartet dessen die Neugestaltung einer Verwaltungseinrichtung, die
im Zusammenhang mit dem Verwaltungsorganismus stehen, die sich in
das künftige Verwaltungssystem einreihen lassen muß. Die Bildung der
Landarmenverbände schließt eine Entscheidung über den neuen Verwaltungs¬
organismus in sich, wenn diese Entscheidung auch nicht endgiltiger Natur


stehenden Interessen anzubahnen, aber nicht so lang, daß die baldige Inan¬
griffnahme der Vorarbeiten nicht räthlich, ja nöthig erscheint. Und hier wäre
dem Voluntarism noch einmal Gelegenheit gegeben, einzutreten, um zu voll¬
enden, was durch ihn begonnen wurde, um sein Werk in das feste Gefüge
des Staats einfügen zu helfen. Was hindert die Männer, welche die Bezirks¬
armenvereine geschaffen und geleitet, zur Erörterung dieser neuen Frage zu¬
sammenzutreten, wie man im Jahre 1837 in Dresden zur Verhandlung über
die Gründung von Bezirksarmenhäusern zusammentrat? Mit voller Sach¬
kenntniß ausgerüstet, den von ihnen ins Leben gerufenen und am Leben er¬
haltenen Einrichtungen eine natürliche Theilnahme widmend, werden sie ge¬
neigt und gewillt sein, auf Mittel und Wege zur Ueberführung in die
neuen Verhältnisse zu sinnen. Ohne ihren guten Willen, ohne ihre thatkräftige,
bereite Mitwirkung ist die Neugestaltung überall nicht durchzuführen. Mit
einem Machtspruch der Gesetzgebung ist hier nichts ausgerichtet und nichts
auszurichten. Um Verhältnisse, wie die der Bezirksarmenvereine zu lösen und
neuzuordnen, will es Verhandlungen, Verständigungen, Vereinbarungen, an
denen die Staatsregierung selbstredend theilnehmen muß. Es steht nichts
entgegen, daß sie Männer ihres Vertrauens, bewährte Fachleute zu jener
Berathung abordnet, daß sie sich bei den weiteren Arbeiten vertreten läßt, die
muthmaßlich von einem besonders gewählten Ausschuß auszuführen sind, um
genaueren Einblick in den Stand der Dinge zu erhalten und endgültige
Schritte vorzubereiten. Diese Art gesetzgeberischer Vorarbeit läuft einiger¬
maßen den hergebrachten Anschauungen zuwider, sie wird aber, wenn die
Verhandlungen sonst der rechte Geist beseelt, die im Bereich des Armen¬
wesens besonders schwierige Gesetzvereinbarung gewiß wesentlich erleichtern
und fördern. Jedenfalls muß eine Frage, welche die Verhältnisse des Staats
und der Gemeinden in dem Grade berührt, durch öffentliche Erörterung
zur Entscheidung gebracht, sie muß gleichsam aus der Gesammtheit heraus
gelöst werden.

Mit dem Gesetz über den Unterstützungswohnsitz greift der Bund tief
in die innere Verwaltung ein. Während die für die nächsten Jahre bevor¬
stehende neue Gerichtsverfassung mit der ihr unterliegenden Trennung von
Rechtspflege und Verwaltung die Neugestaltung des Verwaltungsorganismus
bedingt — eine Aussicht, auf die der Herr Minister des Innern bei Ver¬
handlung der Streit'schen Anträge hinwies —, heischt das Gesetz vom 6. Juni
1870 unerwartet dessen die Neugestaltung einer Verwaltungseinrichtung, die
im Zusammenhang mit dem Verwaltungsorganismus stehen, die sich in
das künftige Verwaltungssystem einreihen lassen muß. Die Bildung der
Landarmenverbände schließt eine Entscheidung über den neuen Verwaltungs¬
organismus in sich, wenn diese Entscheidung auch nicht endgiltiger Natur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/399>, abgerufen am 22.12.2024.