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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gesehen hat, kann sich eine Vorstellung von dem Jubel machen, der im
Publicum ausbrach; die Scene mußte natürlich wiederholt werden. Und sie,
die so jauchzten und: "living. <Hi>,xitÄl<z!" brüllten, waren Florentiner,
die wenige Minuten zuvor die Erscheinung ihrer Dante und Macchiavelli,
Pier Cappone und Michelangelo beklatscht hatten. Mir nun war's dieser
Tage, wenn ich die Depeschen aus Italien las, als hätt' ich das alles genau
schon einmal gelesen, als saß' ich noch immer im Politeama Mttorio Erna-
nuele in lauer Sommernacht unter freiem Himmel, mein Auge an der Far¬
benpracht jener unschuldig heiteren Bilder ergötzend. Das Programm des
Theaterzettels wird ja nun erfüllt; mit welchen Gefühlen aber wird dies
Volk bald nach Hause gehen von der Bretterbude, an die es seinen letzten
Groschen und. was schlimmer ist, den Nest seiner geistigen Tagesfrische ge¬
wandt hat? Schlafengehen und träumen von römischer Herrlichkeit, soll
das, darf das der Ausgang sein des großen Tagewerks der italienischen
Einheit?

Wir haben unverhohlen unsere Freude über den Sturz der weltlichen
Herrschaft des Papstes geäußert, wir müssen ebenso offen und entschieden er¬
klären, daß wir die Erhebung Roms zur Hauptstadt des Königreichs für
einen schweren politischen Fehler halten, nicht aus jener kindischen und zu¬
gleich frevelhaften Angst des enthusiastischen Touristen, daß nun die Ro¬
mantik der messertragenden Banditen und der sieberschwangeren Einöden
verschwinden werde. Das wäre noch so ein Römerwerk, wenn man den
Anbau in die Campagna und die Staatsfurcht in die Berge der Aequer zu¬
rückführte! Aber leider hat man solche Umwälzungen vorerst am wenigsten
von dem heutigen Italien zu befahren. Vielmehr gerade als Feinde aller
Romantik sind wir Gegner des Königthums auf dem Capitol. Man müßte
lachen, wenn etwa heute noch einer unserer Landsleute Frankfurt für die
beste Hauptstadt des einigen Deutschlands erklärte, allein ich weiß nicht, ob
die Schwärmerei für den Kaisersaal im Römer ganz so lächerlich wäre, als
die für den capitolinischen Palast. Die Frankfurter Erinnerungen reichen
doch noch in einer Art von Leben bis in die jüngst glücklich begrabene Ver¬
gangenheit herein. Die Befreiung des heiligen Grabes der alten Roma da¬
gegen kann man durchaus nur mit dem Phantasma der Kreuzzüge ver¬
gleichen. Es ist bezeichnend, daß gerade im Zeitalter des heiligen Bernhard
sich das sogenannte römische Volk in der phrasenhaftesten aller Revolutionen,
der von 1143, zur Wiederherstellung des Senats und ähnlicher Tertianer¬
ideen erhob. Von gleichem Werthe war die Politik des Tribunen Rienzi,
mit dessen Reden die Proclamationen Garibaldi's eine gewisse Familienähn¬
lichkeit verrathen.

Rom ist keine politische Stadt und ist es seit anderthalb Jahrtausenden


gesehen hat, kann sich eine Vorstellung von dem Jubel machen, der im
Publicum ausbrach; die Scene mußte natürlich wiederholt werden. Und sie,
die so jauchzten und: „living. <Hi>,xitÄl<z!" brüllten, waren Florentiner,
die wenige Minuten zuvor die Erscheinung ihrer Dante und Macchiavelli,
Pier Cappone und Michelangelo beklatscht hatten. Mir nun war's dieser
Tage, wenn ich die Depeschen aus Italien las, als hätt' ich das alles genau
schon einmal gelesen, als saß' ich noch immer im Politeama Mttorio Erna-
nuele in lauer Sommernacht unter freiem Himmel, mein Auge an der Far¬
benpracht jener unschuldig heiteren Bilder ergötzend. Das Programm des
Theaterzettels wird ja nun erfüllt; mit welchen Gefühlen aber wird dies
Volk bald nach Hause gehen von der Bretterbude, an die es seinen letzten
Groschen und. was schlimmer ist, den Nest seiner geistigen Tagesfrische ge¬
wandt hat? Schlafengehen und träumen von römischer Herrlichkeit, soll
das, darf das der Ausgang sein des großen Tagewerks der italienischen
Einheit?

Wir haben unverhohlen unsere Freude über den Sturz der weltlichen
Herrschaft des Papstes geäußert, wir müssen ebenso offen und entschieden er¬
klären, daß wir die Erhebung Roms zur Hauptstadt des Königreichs für
einen schweren politischen Fehler halten, nicht aus jener kindischen und zu¬
gleich frevelhaften Angst des enthusiastischen Touristen, daß nun die Ro¬
mantik der messertragenden Banditen und der sieberschwangeren Einöden
verschwinden werde. Das wäre noch so ein Römerwerk, wenn man den
Anbau in die Campagna und die Staatsfurcht in die Berge der Aequer zu¬
rückführte! Aber leider hat man solche Umwälzungen vorerst am wenigsten
von dem heutigen Italien zu befahren. Vielmehr gerade als Feinde aller
Romantik sind wir Gegner des Königthums auf dem Capitol. Man müßte
lachen, wenn etwa heute noch einer unserer Landsleute Frankfurt für die
beste Hauptstadt des einigen Deutschlands erklärte, allein ich weiß nicht, ob
die Schwärmerei für den Kaisersaal im Römer ganz so lächerlich wäre, als
die für den capitolinischen Palast. Die Frankfurter Erinnerungen reichen
doch noch in einer Art von Leben bis in die jüngst glücklich begrabene Ver¬
gangenheit herein. Die Befreiung des heiligen Grabes der alten Roma da¬
gegen kann man durchaus nur mit dem Phantasma der Kreuzzüge ver¬
gleichen. Es ist bezeichnend, daß gerade im Zeitalter des heiligen Bernhard
sich das sogenannte römische Volk in der phrasenhaftesten aller Revolutionen,
der von 1143, zur Wiederherstellung des Senats und ähnlicher Tertianer¬
ideen erhob. Von gleichem Werthe war die Politik des Tribunen Rienzi,
mit dessen Reden die Proclamationen Garibaldi's eine gewisse Familienähn¬
lichkeit verrathen.

Rom ist keine politische Stadt und ist es seit anderthalb Jahrtausenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/38>, abgerufen am 22.12.2024.