Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.rung an Thorwaldsen kann der gegenwärtigen Richtung der Sculptur zu Groß und einzig ist Thorwaldsen's Stellung in der Geschichte der Plastik. rung an Thorwaldsen kann der gegenwärtigen Richtung der Sculptur zu Groß und einzig ist Thorwaldsen's Stellung in der Geschichte der Plastik. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125076"/> <p xml:id="ID_1108" prev="#ID_1107"> rung an Thorwaldsen kann der gegenwärtigen Richtung der Sculptur zu<lb/> heilsamer Orientirung dienen, sie vor Verirrungen schützen. Denn seine<lb/> Werke sind gleichsam ein anschaulicher Kanon der Plastik, sie verwirklichen<lb/> die Gesetze dieser Kunstgattung mit einer Strenge, die zuweilen selbst den<lb/> Charakter der Härte und Herbigkeit annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1109" next="#ID_1110"> Groß und einzig ist Thorwaldsen's Stellung in der Geschichte der Plastik.<lb/> Um die ganze Bedeutung seines Verdienstes zu ermessen, muß man sich den<lb/> Zustand der Sculptur in der seinem Auftreten vorangehenden Epoche ver¬<lb/> gegenwärtigen. Der Name Bernint's bezeichnet das Verhängniß jener ma߬<lb/> losen Anarchie, die am Beginn des 17. Jahrhunderts über dieses Kunst¬<lb/> gebiet hereinbrach. Der Malerei, die damals wie früher zur Zeit der classi¬<lb/> schen Renaissance die herrschende und tonangebende Kunst war, hatte sich<lb/> seit der Restauration des Katholicismus eine empfindsam gereizte, leiden¬<lb/> schaftlich effectvolle Stimmung bemächtigt. Ihren aufregenden Wirkungen<lb/> strebte Bernini um jeden Preis Concurrenz zu machen, er spannte die Sculp¬<lb/> tur zu Leistungen an, die ihrer Natur auf das vollständigste widersprechen<lb/> und den Genius der Plastik gleichsam gemißhandelt auf der Tortur zeigen.<lb/> Jene Stimmung, die in der Malerei einzelne Erscheinungen von eigenthüm¬<lb/> lichem Reiz und selbst von hohem künstlerischen Werth hervorzurufen ver¬<lb/> mochte, führte nothwendig, indem sie mit roher Absichtlichkeit dem wider¬<lb/> strebenden Wesen der Plastik aufgedrängt wurde, zu einem Manierismus der<lb/> verwerflichsten Art; es zeigte sich, wie dies grobe Vergehn an den Gesetzen<lb/> der Kunst zugleich ein ethisches Gebrechen war, der Mangel an ursprüng¬<lb/> licher Wahrheit der Empfindung. In den ungestüm aufgeregten Gruppen<lb/> der Berninischen Schule, aus denen alles plastische Gleichgewicht verschwun¬<lb/> den ist, in den verwegenen Körperwendungen, in den aufgebauschten, wild<lb/> flatternden Gewändern, mit denen die bekannten Sculpturen dieser Richtung<lb/> renommiren, erscheint der rein äußerliche Effect als das höchste Ziel der<lb/> Kunst. In den Ausdruck der religiösen Ekstase mischt sich ein niedrig sinn¬<lb/> liches Raffinement, das Gefällige wird zum Lüsternen und Gezierten, das<lb/> Heroische zu pathetischer Prahlerei. Ein foreirter Naturalismus der Dar¬<lb/> stellung, wie er der Plastik, die mehr als jede andere Kunst auf ideale Bil¬<lb/> dungen angewiesen ist, am meisten widersteht, läßt diese falsche Grazie und<lb/> hohle Großartigkeit nur um so widriger erscheinen. Die Formen werden<lb/> ins Schwammige und Weichliche verzärtelt oder als verkörperte Kraftphrasen<lb/> in bombastischer Musculaturen aufgeschwellt. Weit entfernt von einem der¬<lb/> ben und schlichten Realismus suchte diese Sculptur vielmehr, nach Winckel-<lb/> mann's Worten, „die aus der niedrigsten Natur entnommenen Formen gleich¬<lb/> sam durch Uebertreiben zu veredeln; ihre Figuren sind wie der zu plötzlichem<lb/> Glück gekommene Pöbel." Das Maß des Ungeheuerlichen, der künstlerische</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
rung an Thorwaldsen kann der gegenwärtigen Richtung der Sculptur zu
heilsamer Orientirung dienen, sie vor Verirrungen schützen. Denn seine
Werke sind gleichsam ein anschaulicher Kanon der Plastik, sie verwirklichen
die Gesetze dieser Kunstgattung mit einer Strenge, die zuweilen selbst den
Charakter der Härte und Herbigkeit annimmt.
Groß und einzig ist Thorwaldsen's Stellung in der Geschichte der Plastik.
Um die ganze Bedeutung seines Verdienstes zu ermessen, muß man sich den
Zustand der Sculptur in der seinem Auftreten vorangehenden Epoche ver¬
gegenwärtigen. Der Name Bernint's bezeichnet das Verhängniß jener ma߬
losen Anarchie, die am Beginn des 17. Jahrhunderts über dieses Kunst¬
gebiet hereinbrach. Der Malerei, die damals wie früher zur Zeit der classi¬
schen Renaissance die herrschende und tonangebende Kunst war, hatte sich
seit der Restauration des Katholicismus eine empfindsam gereizte, leiden¬
schaftlich effectvolle Stimmung bemächtigt. Ihren aufregenden Wirkungen
strebte Bernini um jeden Preis Concurrenz zu machen, er spannte die Sculp¬
tur zu Leistungen an, die ihrer Natur auf das vollständigste widersprechen
und den Genius der Plastik gleichsam gemißhandelt auf der Tortur zeigen.
Jene Stimmung, die in der Malerei einzelne Erscheinungen von eigenthüm¬
lichem Reiz und selbst von hohem künstlerischen Werth hervorzurufen ver¬
mochte, führte nothwendig, indem sie mit roher Absichtlichkeit dem wider¬
strebenden Wesen der Plastik aufgedrängt wurde, zu einem Manierismus der
verwerflichsten Art; es zeigte sich, wie dies grobe Vergehn an den Gesetzen
der Kunst zugleich ein ethisches Gebrechen war, der Mangel an ursprüng¬
licher Wahrheit der Empfindung. In den ungestüm aufgeregten Gruppen
der Berninischen Schule, aus denen alles plastische Gleichgewicht verschwun¬
den ist, in den verwegenen Körperwendungen, in den aufgebauschten, wild
flatternden Gewändern, mit denen die bekannten Sculpturen dieser Richtung
renommiren, erscheint der rein äußerliche Effect als das höchste Ziel der
Kunst. In den Ausdruck der religiösen Ekstase mischt sich ein niedrig sinn¬
liches Raffinement, das Gefällige wird zum Lüsternen und Gezierten, das
Heroische zu pathetischer Prahlerei. Ein foreirter Naturalismus der Dar¬
stellung, wie er der Plastik, die mehr als jede andere Kunst auf ideale Bil¬
dungen angewiesen ist, am meisten widersteht, läßt diese falsche Grazie und
hohle Großartigkeit nur um so widriger erscheinen. Die Formen werden
ins Schwammige und Weichliche verzärtelt oder als verkörperte Kraftphrasen
in bombastischer Musculaturen aufgeschwellt. Weit entfernt von einem der¬
ben und schlichten Realismus suchte diese Sculptur vielmehr, nach Winckel-
mann's Worten, „die aus der niedrigsten Natur entnommenen Formen gleich¬
sam durch Uebertreiben zu veredeln; ihre Figuren sind wie der zu plötzlichem
Glück gekommene Pöbel." Das Maß des Ungeheuerlichen, der künstlerische
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