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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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der neuen Verträge wird von dem Obercommando der deutschen Heere grade jetzt
wahrscheinlich nicht ganz so bedauert, wie von der nationalen Partei. Und
zwar aus einem praktischen Grunde. Preußen ist zur Zeit, nach den Verlusten
dieses Krieges, gar nicht im Stande, einen wesentlichen Theil der Talente
seines Officiercorps an Bayern und Württemberg abzugeben. Hat doch schon,
wie verlautet, die bevorstehende Uebernahme der badischen und hessischen Di¬
vision wohlbegründete militärische Erwägungen veranlußt. Erst nach einer
Reihe von Jahren wird die junge Solbatenkraft, welche dieser Krieg bildet,
in höheren Stellen die Erfahrung und Ausbildung erhalten haben, welche
wieder einen Ueberschuß von organtsirenden Talenten gibt. Unsere guten
Compagniesührer und Stabsoffiziere müssen zuerst sür unser Heer ergänzt werden.

Der Krieg zog sich durch die letzte Woche in Gefechten hin, welche zum
Theil den Charakter des kleinen Krieges weisen, in welchem nicht Feldherrn¬
kunst und die Tapferkeit disciplinirter Massen, sondern kluge Einfälle, List,
Gewandtheit der Einzelnen und der Zufall helfen und schaden. Die Massen¬
erhebung Frankreichs, welche Gambetta forderte, ist nicht erfolgt, einzelne
eifrige Orte oder Landschaften kommen zu spät und unkräftig, um an den
großen Resultaten des Krieges noch ändern zu können. Seit die Vereinigung der
drei Corps des Prinzen Friedrich Karl mit der Armee des Großherzogs von Meck¬
lenburg erfolgt ist, drängt das deutsche Heer in langer Linie die Loirearmee und
ihren Anhang von Paris ab, die Hauptstadt leidet an der Auszehrung und ihre
Ergebung wird in unserem Hauptquartier als nahe bevorstehend betrachtet.
Es ist merkwürdig, daß die Pariser nichts so sehr entmuthigt hat, als das
Gefecht bei Üe Bourget am 30. October. Aus allen Zeitungen, Briefen,
Aussagen Einzelner ist das zu entnehmen. Sie hatten einen Tag Zeit
gehabt, in dem Orte, der ohnedies unter dem Feuer ihrer Geschütze liegt, sich
feste Positionen zu schaffen, sie hatten von ihren Kerntruppen hinausgesandt,
und ein guter Theil der Pariser war Zuschauer des Kampfes, von dem sie
eine Niederlage unserer Truppen sicher erwarteten. Aber die Geschütze des
Fort Aubervilliers, die Barrikaden, die Kerntruppen in gedeckter Stellung,
alles erwies sich wirkungslos gegen die unübertreffliche Tapferkeit und muster¬
hafte Gefechtsführung der 2. Gardedivision Budritzki. Als die Franzosen
in wilder Flucht nach der Stadt zurückstürzten, wurde den Zuschauern das
Herz schwach. Auch Trochu hat seitdem den Muth verloren, die große
Truppenmaffe, die er organisirt, zu einer Sprengung des Belagerungsringes
zu verwerthen. Jetzt darf man wohl aussprechen, daß diese Möglichkeit bis
vor wenig Tagen vorhanden war, und daß unsere Generalstabsoffiztere die letzten
Wochen in einer gewissen Nervenspannung durchlebt haben. Es waren 300,000 M.
Truppen in Paris gegen wenig mehr als 200,000 Deutsche in dem Bela-
gerungsheer. Die Besatzung von Paris ist nicht zu jeder Art von Felddieust


der neuen Verträge wird von dem Obercommando der deutschen Heere grade jetzt
wahrscheinlich nicht ganz so bedauert, wie von der nationalen Partei. Und
zwar aus einem praktischen Grunde. Preußen ist zur Zeit, nach den Verlusten
dieses Krieges, gar nicht im Stande, einen wesentlichen Theil der Talente
seines Officiercorps an Bayern und Württemberg abzugeben. Hat doch schon,
wie verlautet, die bevorstehende Uebernahme der badischen und hessischen Di¬
vision wohlbegründete militärische Erwägungen veranlußt. Erst nach einer
Reihe von Jahren wird die junge Solbatenkraft, welche dieser Krieg bildet,
in höheren Stellen die Erfahrung und Ausbildung erhalten haben, welche
wieder einen Ueberschuß von organtsirenden Talenten gibt. Unsere guten
Compagniesührer und Stabsoffiziere müssen zuerst sür unser Heer ergänzt werden.

Der Krieg zog sich durch die letzte Woche in Gefechten hin, welche zum
Theil den Charakter des kleinen Krieges weisen, in welchem nicht Feldherrn¬
kunst und die Tapferkeit disciplinirter Massen, sondern kluge Einfälle, List,
Gewandtheit der Einzelnen und der Zufall helfen und schaden. Die Massen¬
erhebung Frankreichs, welche Gambetta forderte, ist nicht erfolgt, einzelne
eifrige Orte oder Landschaften kommen zu spät und unkräftig, um an den
großen Resultaten des Krieges noch ändern zu können. Seit die Vereinigung der
drei Corps des Prinzen Friedrich Karl mit der Armee des Großherzogs von Meck¬
lenburg erfolgt ist, drängt das deutsche Heer in langer Linie die Loirearmee und
ihren Anhang von Paris ab, die Hauptstadt leidet an der Auszehrung und ihre
Ergebung wird in unserem Hauptquartier als nahe bevorstehend betrachtet.
Es ist merkwürdig, daß die Pariser nichts so sehr entmuthigt hat, als das
Gefecht bei Üe Bourget am 30. October. Aus allen Zeitungen, Briefen,
Aussagen Einzelner ist das zu entnehmen. Sie hatten einen Tag Zeit
gehabt, in dem Orte, der ohnedies unter dem Feuer ihrer Geschütze liegt, sich
feste Positionen zu schaffen, sie hatten von ihren Kerntruppen hinausgesandt,
und ein guter Theil der Pariser war Zuschauer des Kampfes, von dem sie
eine Niederlage unserer Truppen sicher erwarteten. Aber die Geschütze des
Fort Aubervilliers, die Barrikaden, die Kerntruppen in gedeckter Stellung,
alles erwies sich wirkungslos gegen die unübertreffliche Tapferkeit und muster¬
hafte Gefechtsführung der 2. Gardedivision Budritzki. Als die Franzosen
in wilder Flucht nach der Stadt zurückstürzten, wurde den Zuschauern das
Herz schwach. Auch Trochu hat seitdem den Muth verloren, die große
Truppenmaffe, die er organisirt, zu einer Sprengung des Belagerungsringes
zu verwerthen. Jetzt darf man wohl aussprechen, daß diese Möglichkeit bis
vor wenig Tagen vorhanden war, und daß unsere Generalstabsoffiztere die letzten
Wochen in einer gewissen Nervenspannung durchlebt haben. Es waren 300,000 M.
Truppen in Paris gegen wenig mehr als 200,000 Deutsche in dem Bela-
gerungsheer. Die Besatzung von Paris ist nicht zu jeder Art von Felddieust


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[0367] der neuen Verträge wird von dem Obercommando der deutschen Heere grade jetzt wahrscheinlich nicht ganz so bedauert, wie von der nationalen Partei. Und zwar aus einem praktischen Grunde. Preußen ist zur Zeit, nach den Verlusten dieses Krieges, gar nicht im Stande, einen wesentlichen Theil der Talente seines Officiercorps an Bayern und Württemberg abzugeben. Hat doch schon, wie verlautet, die bevorstehende Uebernahme der badischen und hessischen Di¬ vision wohlbegründete militärische Erwägungen veranlußt. Erst nach einer Reihe von Jahren wird die junge Solbatenkraft, welche dieser Krieg bildet, in höheren Stellen die Erfahrung und Ausbildung erhalten haben, welche wieder einen Ueberschuß von organtsirenden Talenten gibt. Unsere guten Compagniesührer und Stabsoffiziere müssen zuerst sür unser Heer ergänzt werden. Der Krieg zog sich durch die letzte Woche in Gefechten hin, welche zum Theil den Charakter des kleinen Krieges weisen, in welchem nicht Feldherrn¬ kunst und die Tapferkeit disciplinirter Massen, sondern kluge Einfälle, List, Gewandtheit der Einzelnen und der Zufall helfen und schaden. Die Massen¬ erhebung Frankreichs, welche Gambetta forderte, ist nicht erfolgt, einzelne eifrige Orte oder Landschaften kommen zu spät und unkräftig, um an den großen Resultaten des Krieges noch ändern zu können. Seit die Vereinigung der drei Corps des Prinzen Friedrich Karl mit der Armee des Großherzogs von Meck¬ lenburg erfolgt ist, drängt das deutsche Heer in langer Linie die Loirearmee und ihren Anhang von Paris ab, die Hauptstadt leidet an der Auszehrung und ihre Ergebung wird in unserem Hauptquartier als nahe bevorstehend betrachtet. Es ist merkwürdig, daß die Pariser nichts so sehr entmuthigt hat, als das Gefecht bei Üe Bourget am 30. October. Aus allen Zeitungen, Briefen, Aussagen Einzelner ist das zu entnehmen. Sie hatten einen Tag Zeit gehabt, in dem Orte, der ohnedies unter dem Feuer ihrer Geschütze liegt, sich feste Positionen zu schaffen, sie hatten von ihren Kerntruppen hinausgesandt, und ein guter Theil der Pariser war Zuschauer des Kampfes, von dem sie eine Niederlage unserer Truppen sicher erwarteten. Aber die Geschütze des Fort Aubervilliers, die Barrikaden, die Kerntruppen in gedeckter Stellung, alles erwies sich wirkungslos gegen die unübertreffliche Tapferkeit und muster¬ hafte Gefechtsführung der 2. Gardedivision Budritzki. Als die Franzosen in wilder Flucht nach der Stadt zurückstürzten, wurde den Zuschauern das Herz schwach. Auch Trochu hat seitdem den Muth verloren, die große Truppenmaffe, die er organisirt, zu einer Sprengung des Belagerungsringes zu verwerthen. Jetzt darf man wohl aussprechen, daß diese Möglichkeit bis vor wenig Tagen vorhanden war, und daß unsere Generalstabsoffiztere die letzten Wochen in einer gewissen Nervenspannung durchlebt haben. Es waren 300,000 M. Truppen in Paris gegen wenig mehr als 200,000 Deutsche in dem Bela- gerungsheer. Die Besatzung von Paris ist nicht zu jeder Art von Felddieust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/367>, abgerufen am 22.12.2024.