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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Ist in .jden Städten die Arbeit gethan, ^so pflanzt sich, schwächer werdend,
doch hundertfältig, das Echo in die Landgemeinden fort. "Land aus, Land
ab" ist die Bewegung im Gang, daß einem Demokraten das Herz im Leibe
lacht, und die Zeitungen ermangeln nicht, getreulich zu berichten, daß auch die
wackeren Bürger von Mezingen oder Bezingen sich der allgemeinen Agitation
angeschlossen hätten. Es ist schon eine feierlichere Nuance, wenn für diese Beschlüsse
auch Unterschriften eingesammelt werden, welche urkundlich die Personen bin¬
den und ihnen irgend welche, leichter oder schwerer genommene, moralische
Verpflichtung auferlegen. Hat nun eine solche Agitation ihren Rundgang
vollendet, so treten die Statistiker der betreffenden Partei auf und ermangeln
nicht, durch sorgfältiges Addiren zu erhärten, daß so und so viele Tausend
freie schwäbische Männer der einmüthigen Ueberzeugung sind, daß u s. w.
Zuletzt geschieht es, daß wiederum in der Hauptstadt eine allgemeine Ver¬
sammlung gehalten wird, welche gleichsam das Facit aus der Landesagitation
zieht, und die Einzelbeschlüsse noch einmal in einen Gesammtbeschluß zusam¬
menfaßt, der sich auf die Stimme des ganzen Landes stützt. Und sollen auch die
letzten Mittel erschöpft werden, so wird beschlossen, eine Adresse mit dem frag¬
lichen Landesgravamen durch eine Deputation dem Landesvater persönlich zu
überreichen, der dann die Deputation an seinen Minister zu verweisen pflegt,
wofern er nicht deren Besuch überhaupt für überflüssig hält, in welchem Fall
die Adresse wenigstens als untadeliges kalligraphisches Kunstwerk dem königl.
Kabinet übergeben wird, zuweilen mitsammt jenen Tausenden von Unter¬
schriften in Natur", was dann einem patriotischen Buchbinder Gelegenheit
zur Entfaltung seiner höchsten Künste gibt. Dieser ganze nicht unerhebliche
Apparat von jener einfachen Urresolution an durch alle ihre Metamorphosen
bis zum feierlichen Schlußact ist eine spezifische Eigenthümlichkeit des schwä¬
bischen Landes, er gehört zu unseren Sitten und Gewohnheiten. Man hat
in unsern Nachbarländern rechts und links, zumal in klerikalen Kreisen,
dasselbe Recept zuweilen für einen sogenannten Adrcssensturm benutzt. Aber
jedenfalls ist es ausschließlich in Süddeutschland verwendbar. In Ostpreußen
oder Westfalen würde man ohne Zweifel sehr verwundert sein, wenn Jemand
auf den Gedanken käme, diese Gewohnheit der "politisch entwickelteren", süd¬
deutschen Brüder dorthin zu verpflanzen. Ist auch das Contingent an Linie
und Landwehr, das Würtemberg bis jetzt zu stellen Willens und im Stande
ist, ein verhältnißmäßig bescheidenes, so ist es dafür beflissen, diesen Mangel
durch um so zahlreichere Volksversammlungen und Resolutionen jederzeit aus¬
zugleichen.

Käme es nun blos auf diesen Apparat öffentlicher Kundgebungen an, so
müßte allerdings gesagt werden, daß sich die Stimmung in Würtem¬
berg ganz entschieden umgewandt hat, und daß sie heute ebenso eifrig


Grenzboten IV. 1870. 45

Ist in .jden Städten die Arbeit gethan, ^so pflanzt sich, schwächer werdend,
doch hundertfältig, das Echo in die Landgemeinden fort. „Land aus, Land
ab" ist die Bewegung im Gang, daß einem Demokraten das Herz im Leibe
lacht, und die Zeitungen ermangeln nicht, getreulich zu berichten, daß auch die
wackeren Bürger von Mezingen oder Bezingen sich der allgemeinen Agitation
angeschlossen hätten. Es ist schon eine feierlichere Nuance, wenn für diese Beschlüsse
auch Unterschriften eingesammelt werden, welche urkundlich die Personen bin¬
den und ihnen irgend welche, leichter oder schwerer genommene, moralische
Verpflichtung auferlegen. Hat nun eine solche Agitation ihren Rundgang
vollendet, so treten die Statistiker der betreffenden Partei auf und ermangeln
nicht, durch sorgfältiges Addiren zu erhärten, daß so und so viele Tausend
freie schwäbische Männer der einmüthigen Ueberzeugung sind, daß u s. w.
Zuletzt geschieht es, daß wiederum in der Hauptstadt eine allgemeine Ver¬
sammlung gehalten wird, welche gleichsam das Facit aus der Landesagitation
zieht, und die Einzelbeschlüsse noch einmal in einen Gesammtbeschluß zusam¬
menfaßt, der sich auf die Stimme des ganzen Landes stützt. Und sollen auch die
letzten Mittel erschöpft werden, so wird beschlossen, eine Adresse mit dem frag¬
lichen Landesgravamen durch eine Deputation dem Landesvater persönlich zu
überreichen, der dann die Deputation an seinen Minister zu verweisen pflegt,
wofern er nicht deren Besuch überhaupt für überflüssig hält, in welchem Fall
die Adresse wenigstens als untadeliges kalligraphisches Kunstwerk dem königl.
Kabinet übergeben wird, zuweilen mitsammt jenen Tausenden von Unter¬
schriften in Natur«, was dann einem patriotischen Buchbinder Gelegenheit
zur Entfaltung seiner höchsten Künste gibt. Dieser ganze nicht unerhebliche
Apparat von jener einfachen Urresolution an durch alle ihre Metamorphosen
bis zum feierlichen Schlußact ist eine spezifische Eigenthümlichkeit des schwä¬
bischen Landes, er gehört zu unseren Sitten und Gewohnheiten. Man hat
in unsern Nachbarländern rechts und links, zumal in klerikalen Kreisen,
dasselbe Recept zuweilen für einen sogenannten Adrcssensturm benutzt. Aber
jedenfalls ist es ausschließlich in Süddeutschland verwendbar. In Ostpreußen
oder Westfalen würde man ohne Zweifel sehr verwundert sein, wenn Jemand
auf den Gedanken käme, diese Gewohnheit der „politisch entwickelteren", süd¬
deutschen Brüder dorthin zu verpflanzen. Ist auch das Contingent an Linie
und Landwehr, das Würtemberg bis jetzt zu stellen Willens und im Stande
ist, ein verhältnißmäßig bescheidenes, so ist es dafür beflissen, diesen Mangel
durch um so zahlreichere Volksversammlungen und Resolutionen jederzeit aus¬
zugleichen.

Käme es nun blos auf diesen Apparat öffentlicher Kundgebungen an, so
müßte allerdings gesagt werden, daß sich die Stimmung in Würtem¬
berg ganz entschieden umgewandt hat, und daß sie heute ebenso eifrig


Grenzboten IV. 1870. 45
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[0361] Ist in .jden Städten die Arbeit gethan, ^so pflanzt sich, schwächer werdend, doch hundertfältig, das Echo in die Landgemeinden fort. „Land aus, Land ab" ist die Bewegung im Gang, daß einem Demokraten das Herz im Leibe lacht, und die Zeitungen ermangeln nicht, getreulich zu berichten, daß auch die wackeren Bürger von Mezingen oder Bezingen sich der allgemeinen Agitation angeschlossen hätten. Es ist schon eine feierlichere Nuance, wenn für diese Beschlüsse auch Unterschriften eingesammelt werden, welche urkundlich die Personen bin¬ den und ihnen irgend welche, leichter oder schwerer genommene, moralische Verpflichtung auferlegen. Hat nun eine solche Agitation ihren Rundgang vollendet, so treten die Statistiker der betreffenden Partei auf und ermangeln nicht, durch sorgfältiges Addiren zu erhärten, daß so und so viele Tausend freie schwäbische Männer der einmüthigen Ueberzeugung sind, daß u s. w. Zuletzt geschieht es, daß wiederum in der Hauptstadt eine allgemeine Ver¬ sammlung gehalten wird, welche gleichsam das Facit aus der Landesagitation zieht, und die Einzelbeschlüsse noch einmal in einen Gesammtbeschluß zusam¬ menfaßt, der sich auf die Stimme des ganzen Landes stützt. Und sollen auch die letzten Mittel erschöpft werden, so wird beschlossen, eine Adresse mit dem frag¬ lichen Landesgravamen durch eine Deputation dem Landesvater persönlich zu überreichen, der dann die Deputation an seinen Minister zu verweisen pflegt, wofern er nicht deren Besuch überhaupt für überflüssig hält, in welchem Fall die Adresse wenigstens als untadeliges kalligraphisches Kunstwerk dem königl. Kabinet übergeben wird, zuweilen mitsammt jenen Tausenden von Unter¬ schriften in Natur«, was dann einem patriotischen Buchbinder Gelegenheit zur Entfaltung seiner höchsten Künste gibt. Dieser ganze nicht unerhebliche Apparat von jener einfachen Urresolution an durch alle ihre Metamorphosen bis zum feierlichen Schlußact ist eine spezifische Eigenthümlichkeit des schwä¬ bischen Landes, er gehört zu unseren Sitten und Gewohnheiten. Man hat in unsern Nachbarländern rechts und links, zumal in klerikalen Kreisen, dasselbe Recept zuweilen für einen sogenannten Adrcssensturm benutzt. Aber jedenfalls ist es ausschließlich in Süddeutschland verwendbar. In Ostpreußen oder Westfalen würde man ohne Zweifel sehr verwundert sein, wenn Jemand auf den Gedanken käme, diese Gewohnheit der „politisch entwickelteren", süd¬ deutschen Brüder dorthin zu verpflanzen. Ist auch das Contingent an Linie und Landwehr, das Würtemberg bis jetzt zu stellen Willens und im Stande ist, ein verhältnißmäßig bescheidenes, so ist es dafür beflissen, diesen Mangel durch um so zahlreichere Volksversammlungen und Resolutionen jederzeit aus¬ zugleichen. Käme es nun blos auf diesen Apparat öffentlicher Kundgebungen an, so müßte allerdings gesagt werden, daß sich die Stimmung in Würtem¬ berg ganz entschieden umgewandt hat, und daß sie heute ebenso eifrig Grenzboten IV. 1870. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/361>, abgerufen am 22.12.2024.