Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu tragen und dadurch sein Können mit seinem Wollen in einen Wider¬
spruch zu setzen, der beinahe gegen die Pflicht der Selbsterhaltung verstieß,
oder aber den so günstig vielleicht sich nie wieder darbietenden Augenblick zu
benutzen und so zu handeln, wie es that.

Es bleibt nur noch übrig zu betrachten, welche weitere Folgen dieser
Schritt haben kann, falls wir seinen Erfolg als gesichert ansehen. Eine See¬
macht ersten Ranges wird Nußland im Pontus niemals entfalten; dies wäre
baare Thorheit nach der geographischen Lage und der Größe seines Seehan¬
dels. Einen Handstreich auf Constantinopel zur See, von dem wohl mancher
fabelt, halte ich vom strategischen Gesichtspunkte aus einer Macht gegen¬
über, die. wie die Türkei über eine der besten europäischen Armeen von
140,000 Mann Linie und 140,000 Reserven verfügt, für ein aussichtsloses
Abenteuer, da die wenigen Tausend Mann, welche die russische Flotte zu
tragen vermöchte, bald von einem türkischen Heere erdrückt sein würden.
Auch ist die pontische Küste der europäischen Türkei kurz genug, um überall
die umfassendsten Küstenvertheidigungs-Borkehrungen zu treffen, von deren
Wirksamkeit uns die Gegenwart überzeugt. Mit einem Wort: der russischen
Flotte wird die Türkei sich immer allein erwehren können, der russischen
Landmacht niemals. Deshalb wird das Schicksal der Türkei nur in
Landschlachten entschieden werden, die möglicher Weise sehr weit von der
Türkei abliegen werden.

In einer Pontusflotte liegt also durchaus keine Gefahr für die Türkei, son¬
dern die Gefahr liegt im Angriff zu Lande. Die Oestreicher würden mithin
erst dann Grund haben, unsern Absichten hinsichtlich russischer Unterstützung
zu mißtrauen, wenn sie Veranlassung zu der Annahme hätten, daß Deutsch¬
land einer Erweiterung des russischen Gebietes im Südwesten seine Zu¬
stimmung ertheilen würde. Zu dieser Annahme berechtigt gar nichts, im
Gegentheil hat Deutschland wohl Grund eine Machterweiterung Rußlands
nicht zu wünschen, wenn es daran denkt, daß die guten Beziehungen der
Gegenwart wesentlich auf gewissen Persönlichkeiten beruhen, und daß die
Zukunft in Rußland sehr leicht einmal deutschfeindliche Parteien ans Staats¬
ruder bringen kann. Deutschland würde also nur dann seine Zustimmung
zu solchen eventuellen Plänen geben, wenn es zukünftig in eine Lage käme,
in der es so großer Dienste von Seiten Rußlands so dringend benöthigt
wäre, daß dieselbe um diesen Preis nicht zu theuer erkauft wären. Wenn das
constituirte deutsche Reich mit gesicherter Westgrenze ohnehin stark genug er¬
scheint, um eine derartige Hilssbedürftigkeit für die Zukunft unwahrscheinlich
zu machen, so lange Oestreich nicht zu unsern Feinden zählt, so liegt es doch,
wenn ein solcher Fall einträte, ganz in den Händen Oestreichs, uns durch
seine Unterstützung die russische Hilfe en thes rund zu machen; es liegt in seinen


zu tragen und dadurch sein Können mit seinem Wollen in einen Wider¬
spruch zu setzen, der beinahe gegen die Pflicht der Selbsterhaltung verstieß,
oder aber den so günstig vielleicht sich nie wieder darbietenden Augenblick zu
benutzen und so zu handeln, wie es that.

Es bleibt nur noch übrig zu betrachten, welche weitere Folgen dieser
Schritt haben kann, falls wir seinen Erfolg als gesichert ansehen. Eine See¬
macht ersten Ranges wird Nußland im Pontus niemals entfalten; dies wäre
baare Thorheit nach der geographischen Lage und der Größe seines Seehan¬
dels. Einen Handstreich auf Constantinopel zur See, von dem wohl mancher
fabelt, halte ich vom strategischen Gesichtspunkte aus einer Macht gegen¬
über, die. wie die Türkei über eine der besten europäischen Armeen von
140,000 Mann Linie und 140,000 Reserven verfügt, für ein aussichtsloses
Abenteuer, da die wenigen Tausend Mann, welche die russische Flotte zu
tragen vermöchte, bald von einem türkischen Heere erdrückt sein würden.
Auch ist die pontische Küste der europäischen Türkei kurz genug, um überall
die umfassendsten Küstenvertheidigungs-Borkehrungen zu treffen, von deren
Wirksamkeit uns die Gegenwart überzeugt. Mit einem Wort: der russischen
Flotte wird die Türkei sich immer allein erwehren können, der russischen
Landmacht niemals. Deshalb wird das Schicksal der Türkei nur in
Landschlachten entschieden werden, die möglicher Weise sehr weit von der
Türkei abliegen werden.

In einer Pontusflotte liegt also durchaus keine Gefahr für die Türkei, son¬
dern die Gefahr liegt im Angriff zu Lande. Die Oestreicher würden mithin
erst dann Grund haben, unsern Absichten hinsichtlich russischer Unterstützung
zu mißtrauen, wenn sie Veranlassung zu der Annahme hätten, daß Deutsch¬
land einer Erweiterung des russischen Gebietes im Südwesten seine Zu¬
stimmung ertheilen würde. Zu dieser Annahme berechtigt gar nichts, im
Gegentheil hat Deutschland wohl Grund eine Machterweiterung Rußlands
nicht zu wünschen, wenn es daran denkt, daß die guten Beziehungen der
Gegenwart wesentlich auf gewissen Persönlichkeiten beruhen, und daß die
Zukunft in Rußland sehr leicht einmal deutschfeindliche Parteien ans Staats¬
ruder bringen kann. Deutschland würde also nur dann seine Zustimmung
zu solchen eventuellen Plänen geben, wenn es zukünftig in eine Lage käme,
in der es so großer Dienste von Seiten Rußlands so dringend benöthigt
wäre, daß dieselbe um diesen Preis nicht zu theuer erkauft wären. Wenn das
constituirte deutsche Reich mit gesicherter Westgrenze ohnehin stark genug er¬
scheint, um eine derartige Hilssbedürftigkeit für die Zukunft unwahrscheinlich
zu machen, so lange Oestreich nicht zu unsern Feinden zählt, so liegt es doch,
wenn ein solcher Fall einträte, ganz in den Händen Oestreichs, uns durch
seine Unterstützung die russische Hilfe en thes rund zu machen; es liegt in seinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125056"/>
          <p xml:id="ID_1052" prev="#ID_1051"> zu tragen und dadurch sein Können mit seinem Wollen in einen Wider¬<lb/>
spruch zu setzen, der beinahe gegen die Pflicht der Selbsterhaltung verstieß,<lb/>
oder aber den so günstig vielleicht sich nie wieder darbietenden Augenblick zu<lb/>
benutzen und so zu handeln, wie es that.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1053"> Es bleibt nur noch übrig zu betrachten, welche weitere Folgen dieser<lb/>
Schritt haben kann, falls wir seinen Erfolg als gesichert ansehen. Eine See¬<lb/>
macht ersten Ranges wird Nußland im Pontus niemals entfalten; dies wäre<lb/>
baare Thorheit nach der geographischen Lage und der Größe seines Seehan¬<lb/>
dels. Einen Handstreich auf Constantinopel zur See, von dem wohl mancher<lb/>
fabelt, halte ich vom strategischen Gesichtspunkte aus einer Macht gegen¬<lb/>
über, die. wie die Türkei über eine der besten europäischen Armeen von<lb/>
140,000 Mann Linie und 140,000 Reserven verfügt, für ein aussichtsloses<lb/>
Abenteuer, da die wenigen Tausend Mann, welche die russische Flotte zu<lb/>
tragen vermöchte, bald von einem türkischen Heere erdrückt sein würden.<lb/>
Auch ist die pontische Küste der europäischen Türkei kurz genug, um überall<lb/>
die umfassendsten Küstenvertheidigungs-Borkehrungen zu treffen, von deren<lb/>
Wirksamkeit uns die Gegenwart überzeugt. Mit einem Wort: der russischen<lb/>
Flotte wird die Türkei sich immer allein erwehren können, der russischen<lb/>
Landmacht niemals. Deshalb wird das Schicksal der Türkei nur in<lb/>
Landschlachten entschieden werden, die möglicher Weise sehr weit von der<lb/>
Türkei abliegen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1054" next="#ID_1055"> In einer Pontusflotte liegt also durchaus keine Gefahr für die Türkei, son¬<lb/>
dern die Gefahr liegt im Angriff zu Lande. Die Oestreicher würden mithin<lb/>
erst dann Grund haben, unsern Absichten hinsichtlich russischer Unterstützung<lb/>
zu mißtrauen, wenn sie Veranlassung zu der Annahme hätten, daß Deutsch¬<lb/>
land einer Erweiterung des russischen Gebietes im Südwesten seine Zu¬<lb/>
stimmung ertheilen würde. Zu dieser Annahme berechtigt gar nichts, im<lb/>
Gegentheil hat Deutschland wohl Grund eine Machterweiterung Rußlands<lb/>
nicht zu wünschen, wenn es daran denkt, daß die guten Beziehungen der<lb/>
Gegenwart wesentlich auf gewissen Persönlichkeiten beruhen, und daß die<lb/>
Zukunft in Rußland sehr leicht einmal deutschfeindliche Parteien ans Staats¬<lb/>
ruder bringen kann. Deutschland würde also nur dann seine Zustimmung<lb/>
zu solchen eventuellen Plänen geben, wenn es zukünftig in eine Lage käme,<lb/>
in der es so großer Dienste von Seiten Rußlands so dringend benöthigt<lb/>
wäre, daß dieselbe um diesen Preis nicht zu theuer erkauft wären. Wenn das<lb/>
constituirte deutsche Reich mit gesicherter Westgrenze ohnehin stark genug er¬<lb/>
scheint, um eine derartige Hilssbedürftigkeit für die Zukunft unwahrscheinlich<lb/>
zu machen, so lange Oestreich nicht zu unsern Feinden zählt, so liegt es doch,<lb/>
wenn ein solcher Fall einträte, ganz in den Händen Oestreichs, uns durch<lb/>
seine Unterstützung die russische Hilfe en thes rund zu machen; es liegt in seinen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] zu tragen und dadurch sein Können mit seinem Wollen in einen Wider¬ spruch zu setzen, der beinahe gegen die Pflicht der Selbsterhaltung verstieß, oder aber den so günstig vielleicht sich nie wieder darbietenden Augenblick zu benutzen und so zu handeln, wie es that. Es bleibt nur noch übrig zu betrachten, welche weitere Folgen dieser Schritt haben kann, falls wir seinen Erfolg als gesichert ansehen. Eine See¬ macht ersten Ranges wird Nußland im Pontus niemals entfalten; dies wäre baare Thorheit nach der geographischen Lage und der Größe seines Seehan¬ dels. Einen Handstreich auf Constantinopel zur See, von dem wohl mancher fabelt, halte ich vom strategischen Gesichtspunkte aus einer Macht gegen¬ über, die. wie die Türkei über eine der besten europäischen Armeen von 140,000 Mann Linie und 140,000 Reserven verfügt, für ein aussichtsloses Abenteuer, da die wenigen Tausend Mann, welche die russische Flotte zu tragen vermöchte, bald von einem türkischen Heere erdrückt sein würden. Auch ist die pontische Küste der europäischen Türkei kurz genug, um überall die umfassendsten Küstenvertheidigungs-Borkehrungen zu treffen, von deren Wirksamkeit uns die Gegenwart überzeugt. Mit einem Wort: der russischen Flotte wird die Türkei sich immer allein erwehren können, der russischen Landmacht niemals. Deshalb wird das Schicksal der Türkei nur in Landschlachten entschieden werden, die möglicher Weise sehr weit von der Türkei abliegen werden. In einer Pontusflotte liegt also durchaus keine Gefahr für die Türkei, son¬ dern die Gefahr liegt im Angriff zu Lande. Die Oestreicher würden mithin erst dann Grund haben, unsern Absichten hinsichtlich russischer Unterstützung zu mißtrauen, wenn sie Veranlassung zu der Annahme hätten, daß Deutsch¬ land einer Erweiterung des russischen Gebietes im Südwesten seine Zu¬ stimmung ertheilen würde. Zu dieser Annahme berechtigt gar nichts, im Gegentheil hat Deutschland wohl Grund eine Machterweiterung Rußlands nicht zu wünschen, wenn es daran denkt, daß die guten Beziehungen der Gegenwart wesentlich auf gewissen Persönlichkeiten beruhen, und daß die Zukunft in Rußland sehr leicht einmal deutschfeindliche Parteien ans Staats¬ ruder bringen kann. Deutschland würde also nur dann seine Zustimmung zu solchen eventuellen Plänen geben, wenn es zukünftig in eine Lage käme, in der es so großer Dienste von Seiten Rußlands so dringend benöthigt wäre, daß dieselbe um diesen Preis nicht zu theuer erkauft wären. Wenn das constituirte deutsche Reich mit gesicherter Westgrenze ohnehin stark genug er¬ scheint, um eine derartige Hilssbedürftigkeit für die Zukunft unwahrscheinlich zu machen, so lange Oestreich nicht zu unsern Feinden zählt, so liegt es doch, wenn ein solcher Fall einträte, ganz in den Händen Oestreichs, uns durch seine Unterstützung die russische Hilfe en thes rund zu machen; es liegt in seinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/350>, abgerufen am 22.12.2024.