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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Gluth geliebt, deren ein Südländer fähig ist, und ihm erst 1793 den Rücken
gekehrt, als Paoli durch Anrufung der Engländer seinem Ehrgeize die Bahn
zu versperren drohte; damals begann er gegen das Ideal seiner Jugend den
Krieg. Er unterlag, und als ein heimathloser Abenteurer, geächtet
und beraubt, betrat er den Boden Frankreichs. Wenn er dann zum
Schauplatz seiner Siege Italien erwählte, während er doch später zwei Mal
den östreichischen Staat von Süddeutschland aus angegriffen hat, so mag
man hierin den letzten Wiederschein seiner alten Sympathieen erblicken; groß
waren sie freilich nicht mehr, sonst würde er schwerlich kalten Blutes diejeni¬
gen, welche er so eben vom Joche der "Fremdherrschaft" befreit hatte, haben
ausplündern und niedermetzeln lassen. So ist er erst Corse, nachmals Im¬
perator gewesen, nie Franzose. Es wäre auch ein psychologisches Räthsel,
wie Jemand ein politisches System auf den Lastern seines eigenen Volkes
hätte auferbauen können.

Neben der bonapartistischen Legende geht, zum Theil mit denselben, zum
Theil mit entgegengesetzten Tendenzen, stets aber gleich dreist und anspruchs¬
voll, die republikanische. Ueber das Directorium behauptet sie, seine Mit-
glieder wären von den lautersten und edelsten Absichten für ihr Vaterland
beseelt gewesen und es sei ein unsterbliches Verdienst von Carnot und Bar¬
ras -- denn diesem wird meist der vorwiegende Einfluß zugeschrieben, wel¬
chen in Wahrheit Newbell ausübte -- daß sie die Errungenschaften der Re¬
volution von Anfang an tapfer gegen die Uebertreibungen der Jakobiner und
die Reactionsversuche der Royalisten vertheidigt und schließlich durch den
Wechsel der Zeiten hindurch gerettet hätten. Dem gegenüber befindet sich
der deutsche Forscher in einiger Verlegenheit, ob er nicht der Einbildungs¬
kraft der Republikaner den Preis vor den Bonapartisten ertheilen soll.
Wenn man die barbarischen Gesetze studirt, mit welchen die jakobinische Ma¬
jorität des Conventes Frankreich beschenkt hatte, und dagegen alles das hält,
was im ersten Jahre der neuen Negierung geschah, so erstaunt man über
den geringen Unterschied in allen Principienfragen. Da es in Frankreich
Modesache ist, mit dem Convente zu liebäugeln -- hat doch sogar der orlea-
nistische Thiers in Consequenz feiner fatalistischen Geschichtsauffassung nicht
so sehr viel gegen die Männer des Schreckens einzuwenden --, so wollen
wir dem ergreifenden Bilde, welches Sybel im 1. Capitel seines Buches von
dem Frankreich des Jahres 1795 entwirft, einige Züge entnehmen. Damals
war in Frankreich die Sicherheit der Person nicht größer als etwa in der
Türkei, da die Eintragung in die Emigrantenlisten, welche der Aechtung gleich
kam, jeder niederen Verwaltungsbehörde überlassen war. In den Augen des
Gesetzes war die Ehe kaum noch mehr als ein Spaziergang oder ein Zech¬
gelage, die Frau nur eine von Hand zu Hand gehende Luxuswaare; das


Gluth geliebt, deren ein Südländer fähig ist, und ihm erst 1793 den Rücken
gekehrt, als Paoli durch Anrufung der Engländer seinem Ehrgeize die Bahn
zu versperren drohte; damals begann er gegen das Ideal seiner Jugend den
Krieg. Er unterlag, und als ein heimathloser Abenteurer, geächtet
und beraubt, betrat er den Boden Frankreichs. Wenn er dann zum
Schauplatz seiner Siege Italien erwählte, während er doch später zwei Mal
den östreichischen Staat von Süddeutschland aus angegriffen hat, so mag
man hierin den letzten Wiederschein seiner alten Sympathieen erblicken; groß
waren sie freilich nicht mehr, sonst würde er schwerlich kalten Blutes diejeni¬
gen, welche er so eben vom Joche der „Fremdherrschaft" befreit hatte, haben
ausplündern und niedermetzeln lassen. So ist er erst Corse, nachmals Im¬
perator gewesen, nie Franzose. Es wäre auch ein psychologisches Räthsel,
wie Jemand ein politisches System auf den Lastern seines eigenen Volkes
hätte auferbauen können.

Neben der bonapartistischen Legende geht, zum Theil mit denselben, zum
Theil mit entgegengesetzten Tendenzen, stets aber gleich dreist und anspruchs¬
voll, die republikanische. Ueber das Directorium behauptet sie, seine Mit-
glieder wären von den lautersten und edelsten Absichten für ihr Vaterland
beseelt gewesen und es sei ein unsterbliches Verdienst von Carnot und Bar¬
ras — denn diesem wird meist der vorwiegende Einfluß zugeschrieben, wel¬
chen in Wahrheit Newbell ausübte — daß sie die Errungenschaften der Re¬
volution von Anfang an tapfer gegen die Uebertreibungen der Jakobiner und
die Reactionsversuche der Royalisten vertheidigt und schließlich durch den
Wechsel der Zeiten hindurch gerettet hätten. Dem gegenüber befindet sich
der deutsche Forscher in einiger Verlegenheit, ob er nicht der Einbildungs¬
kraft der Republikaner den Preis vor den Bonapartisten ertheilen soll.
Wenn man die barbarischen Gesetze studirt, mit welchen die jakobinische Ma¬
jorität des Conventes Frankreich beschenkt hatte, und dagegen alles das hält,
was im ersten Jahre der neuen Negierung geschah, so erstaunt man über
den geringen Unterschied in allen Principienfragen. Da es in Frankreich
Modesache ist, mit dem Convente zu liebäugeln — hat doch sogar der orlea-
nistische Thiers in Consequenz feiner fatalistischen Geschichtsauffassung nicht
so sehr viel gegen die Männer des Schreckens einzuwenden —, so wollen
wir dem ergreifenden Bilde, welches Sybel im 1. Capitel seines Buches von
dem Frankreich des Jahres 1795 entwirft, einige Züge entnehmen. Damals
war in Frankreich die Sicherheit der Person nicht größer als etwa in der
Türkei, da die Eintragung in die Emigrantenlisten, welche der Aechtung gleich
kam, jeder niederen Verwaltungsbehörde überlassen war. In den Augen des
Gesetzes war die Ehe kaum noch mehr als ein Spaziergang oder ein Zech¬
gelage, die Frau nur eine von Hand zu Hand gehende Luxuswaare; das


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[0334] Gluth geliebt, deren ein Südländer fähig ist, und ihm erst 1793 den Rücken gekehrt, als Paoli durch Anrufung der Engländer seinem Ehrgeize die Bahn zu versperren drohte; damals begann er gegen das Ideal seiner Jugend den Krieg. Er unterlag, und als ein heimathloser Abenteurer, geächtet und beraubt, betrat er den Boden Frankreichs. Wenn er dann zum Schauplatz seiner Siege Italien erwählte, während er doch später zwei Mal den östreichischen Staat von Süddeutschland aus angegriffen hat, so mag man hierin den letzten Wiederschein seiner alten Sympathieen erblicken; groß waren sie freilich nicht mehr, sonst würde er schwerlich kalten Blutes diejeni¬ gen, welche er so eben vom Joche der „Fremdherrschaft" befreit hatte, haben ausplündern und niedermetzeln lassen. So ist er erst Corse, nachmals Im¬ perator gewesen, nie Franzose. Es wäre auch ein psychologisches Räthsel, wie Jemand ein politisches System auf den Lastern seines eigenen Volkes hätte auferbauen können. Neben der bonapartistischen Legende geht, zum Theil mit denselben, zum Theil mit entgegengesetzten Tendenzen, stets aber gleich dreist und anspruchs¬ voll, die republikanische. Ueber das Directorium behauptet sie, seine Mit- glieder wären von den lautersten und edelsten Absichten für ihr Vaterland beseelt gewesen und es sei ein unsterbliches Verdienst von Carnot und Bar¬ ras — denn diesem wird meist der vorwiegende Einfluß zugeschrieben, wel¬ chen in Wahrheit Newbell ausübte — daß sie die Errungenschaften der Re¬ volution von Anfang an tapfer gegen die Uebertreibungen der Jakobiner und die Reactionsversuche der Royalisten vertheidigt und schließlich durch den Wechsel der Zeiten hindurch gerettet hätten. Dem gegenüber befindet sich der deutsche Forscher in einiger Verlegenheit, ob er nicht der Einbildungs¬ kraft der Republikaner den Preis vor den Bonapartisten ertheilen soll. Wenn man die barbarischen Gesetze studirt, mit welchen die jakobinische Ma¬ jorität des Conventes Frankreich beschenkt hatte, und dagegen alles das hält, was im ersten Jahre der neuen Negierung geschah, so erstaunt man über den geringen Unterschied in allen Principienfragen. Da es in Frankreich Modesache ist, mit dem Convente zu liebäugeln — hat doch sogar der orlea- nistische Thiers in Consequenz feiner fatalistischen Geschichtsauffassung nicht so sehr viel gegen die Männer des Schreckens einzuwenden —, so wollen wir dem ergreifenden Bilde, welches Sybel im 1. Capitel seines Buches von dem Frankreich des Jahres 1795 entwirft, einige Züge entnehmen. Damals war in Frankreich die Sicherheit der Person nicht größer als etwa in der Türkei, da die Eintragung in die Emigrantenlisten, welche der Aechtung gleich kam, jeder niederen Verwaltungsbehörde überlassen war. In den Augen des Gesetzes war die Ehe kaum noch mehr als ein Spaziergang oder ein Zech¬ gelage, die Frau nur eine von Hand zu Hand gehende Luxuswaare; das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/334>, abgerufen am 22.12.2024.