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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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ziger Ausnahme Lanfreys, abgeschrieben werden, steht natürlich nichts von
alle dem. Vielmehr erscheint der General Bonaparte hier wie ein Halbgott,
welcher kaum noch an irdische Verhältnisse gebunden ist, welchen keine Con-
stellation der Politik und keine Schwäche des feindlichen Heeres zu begün¬
stigen braucht, neben dem jedes andere Verdienst erbleicht. Glücklicher Weise
haben aber noch andere Leute Memoiren geschrieben, und aus denen Massena's
ersieht man, daß Bonaparte doch keineswegs immer so siegesgewiß und schnell
entschlossen war, wie er sich selber unter der Maske der Objectivität, hierin
einmal dem Vorbilde Cäsars folgend, gepriesen hat. So verdiente sich z. B.
Augereau den Herzogstitel von Castiglione nicht nur durch die vor den
östreichischen Batterien bewiesene Tapferkeit, sondern auch durch den Zuspruch,
womit er vor der Schlacht den Oberbefehlshaber in einem höchst kritischen
Moment zum Ausharren bestimmte.

Kaum geringere Beachtung, wenn auch keinen größeren Glauben, ver¬
dient eine andere Behauptung aus derselben Sphäre. Wie die Legenden des
Mittelalters nie unterlassen, die kirchliche Gesinnung des Heiligen schon an
einigen erbaulichen Zügen seiner Jugend zu erweisen, so muß natürlich der
Heilige der Bonapartisten bereits in der Wiege und auf der Schulbank der
großen Nation angehört haben. Mit einer wahrhaft komischen Aengstlichkeit
wird da eingeschärft, daß er nicht 1768, wo sein Heimathland von Genua
an Frankreich abgetreten wurde, sondern erst das Jahr darauf das Licht
der Welt erblickte, als ob unter dem Lilienbanner blos gute Franzosen hätten
geboren werden können. Wenn nur nicht der spätere Imperator in einer
Anwandlung conservativer Gesinnung schriftliche Aufzeichnungen aus seiner
Jugendzeit sauber in ein Packet gebunden und versiegelt hätte, welches dann
später der böse Monsieur Libri der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Fast
sollte man meinen, irgend ein Uebelwollender habe diese theils italienisch,
theils in mangelhaftem Französisch geschriebnen Documente gefälscht; so un¬
ehrerbietig spricht hier "der größte Sohn Frankreichs" von seinem Vater¬
lande. Was schreibt er noch im Jahre des glorreichen Bastillesturms an den
corsischen Freiheitshelden Paoli: "Ich wurde geboren, als das Vaterland (er
meint nämlich Corsica) unterging. 30,000 Franzosen, auf unsre Küsten aus¬
gespieen (vomis), welche den Thron der Freiheit in Strömen Blutes ertränk¬
ten: das war das verhaßte Schauspiel, welches sich zuerst meinen Blicken
darbot." Und wie redet er in einer Geschichte Corsica's seine "Landsleute"
an! "Franzosen, ihr seid nicht zufrieden, uns alles geraubt zu haben, was
wir lieb hatten, ihr habt auch unsre Sitten verdorben! Der jetzige Zustand
meines Vaterlandes und die Unfähigkeit ihn zu ändern, sind für mich ein
neuer Grund, ein Land zu fliehen, wo ich durch die Pflicht gezwungen bin,
Leute zu loben, welche ich in Wahrheit hasse." Corsica also hat er mit aller


ziger Ausnahme Lanfreys, abgeschrieben werden, steht natürlich nichts von
alle dem. Vielmehr erscheint der General Bonaparte hier wie ein Halbgott,
welcher kaum noch an irdische Verhältnisse gebunden ist, welchen keine Con-
stellation der Politik und keine Schwäche des feindlichen Heeres zu begün¬
stigen braucht, neben dem jedes andere Verdienst erbleicht. Glücklicher Weise
haben aber noch andere Leute Memoiren geschrieben, und aus denen Massena's
ersieht man, daß Bonaparte doch keineswegs immer so siegesgewiß und schnell
entschlossen war, wie er sich selber unter der Maske der Objectivität, hierin
einmal dem Vorbilde Cäsars folgend, gepriesen hat. So verdiente sich z. B.
Augereau den Herzogstitel von Castiglione nicht nur durch die vor den
östreichischen Batterien bewiesene Tapferkeit, sondern auch durch den Zuspruch,
womit er vor der Schlacht den Oberbefehlshaber in einem höchst kritischen
Moment zum Ausharren bestimmte.

Kaum geringere Beachtung, wenn auch keinen größeren Glauben, ver¬
dient eine andere Behauptung aus derselben Sphäre. Wie die Legenden des
Mittelalters nie unterlassen, die kirchliche Gesinnung des Heiligen schon an
einigen erbaulichen Zügen seiner Jugend zu erweisen, so muß natürlich der
Heilige der Bonapartisten bereits in der Wiege und auf der Schulbank der
großen Nation angehört haben. Mit einer wahrhaft komischen Aengstlichkeit
wird da eingeschärft, daß er nicht 1768, wo sein Heimathland von Genua
an Frankreich abgetreten wurde, sondern erst das Jahr darauf das Licht
der Welt erblickte, als ob unter dem Lilienbanner blos gute Franzosen hätten
geboren werden können. Wenn nur nicht der spätere Imperator in einer
Anwandlung conservativer Gesinnung schriftliche Aufzeichnungen aus seiner
Jugendzeit sauber in ein Packet gebunden und versiegelt hätte, welches dann
später der böse Monsieur Libri der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Fast
sollte man meinen, irgend ein Uebelwollender habe diese theils italienisch,
theils in mangelhaftem Französisch geschriebnen Documente gefälscht; so un¬
ehrerbietig spricht hier „der größte Sohn Frankreichs" von seinem Vater¬
lande. Was schreibt er noch im Jahre des glorreichen Bastillesturms an den
corsischen Freiheitshelden Paoli: „Ich wurde geboren, als das Vaterland (er
meint nämlich Corsica) unterging. 30,000 Franzosen, auf unsre Küsten aus¬
gespieen (vomis), welche den Thron der Freiheit in Strömen Blutes ertränk¬
ten: das war das verhaßte Schauspiel, welches sich zuerst meinen Blicken
darbot." Und wie redet er in einer Geschichte Corsica's seine „Landsleute"
an! „Franzosen, ihr seid nicht zufrieden, uns alles geraubt zu haben, was
wir lieb hatten, ihr habt auch unsre Sitten verdorben! Der jetzige Zustand
meines Vaterlandes und die Unfähigkeit ihn zu ändern, sind für mich ein
neuer Grund, ein Land zu fliehen, wo ich durch die Pflicht gezwungen bin,
Leute zu loben, welche ich in Wahrheit hasse." Corsica also hat er mit aller


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/333>, abgerufen am 23.12.2024.