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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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nicht beschrieben, dafür dank' ich ihm. Ja, wenn es weit hinter uns läge,
in das duftige, abtönende Blau der historischen Ferne gehüllt, wenn wir
nicht mehr zürnen müßten in den neunziger Jahren, nicht zagen bei Austerlitz.
nicht erröthen bei Jena, nicht trauern und hoffen in den endlosen Zeiten des
Harrens, nicht ausathmen an der Katzbach, nicht jubeln bei Leipzig! Sie
werden kommen, die Tage, wo das Alles der Schrecken der Tragödie ent¬
kleidet sein wird, wo es vorüberwallen wird am Ohre des Hörers mit dem
milden Rauschen des Epos, wo die Stein und^Blücher vor unserem Auge
fest dastehen werden, wie Luther in Worms: man bangt nicht mehr um ihn,
wenn man's heute liest, durch die Jahrhunderte hindurch fühlt man ihm ge¬
trost nach das siegreiche: Ich kann nicht anders! Wie aber? Sollten wir
inzwischen einer gediegenen Darstellung der großen neuen Zeiten entbehren?
Gerade daß wir noch mit ihnen fühlen, macht immer wieder in den Besten
den Wunsch rege, sie, soweit es schon angeht, auch zu erkennen. Gab' es
keine gute Geschichte davon, man würde zu den schlechten greifen. Da war
zum Glück Hauffer der Mann, eine gute zu schreiben.

Denn was sich um die Scheide des vergangenen und des laufenden
Jahrhunderts in Deutschland zugetragen, ist, wie ungeheuer auch die äuße¬
ren Ereignisse dieser Epoche gestaltet sind, doch seinem Wesen nach eine
innere Begebenheit gewesen, eine sittliche Wiedergeburt unserer Nation aus
der Verkommenheit der einen und dem Uebermuthe der anderen heraus zur
Selbsterkenntniß und zu thatkräftigen Ernste. Das eben war Hauffer's Ge¬
sichtspunkt von Hause aus; wie es Landschafter gibt, die gerade, was den
Reiz einer bestimmten Art von Gegenden ausmacht, als gewöhnliche An¬
schauungsweise im eigenen Auge mit sich herumtragen, so war die ethische
Auffassung dieses Mannes dem ethischen Gehalte vorzugsweise dieser Pertode
völlig angemessen. So auffallend kunstlos auch Hauffer's Darstellung ist,
muß man deshalb doch sagen, daß er den rechten Ton glücklich getroffen; ich
habe immer gesunden, daß die wackersten Leute sich vollkommen dadurch be¬
friedigt fühlten. Den alten Propheten möcht' ich ihn wohl vergleichen, nicht
als Wahrsagern, wofür man sie fälschlich ausgibt, sondern so wie sie wirk¬
lich waren: Kenner der nationalen Geschichte und Wecker, Warner, Mahner
in der Noth, unermüdlich, ihr Volk zur Besserung zurufen und wirksam
durch die Macht innerster Ueberzeugung. Der richtige Standpunkt für die
Betrachtung einer begrenzten Epoche pflegt aber auch allemal eine treffliche
Ruck- und Vorschau zu gestatten. Wer möchte, wer könnte die prächtige
Einleitung in Hauffer's Buche missen? Das Jahr 1786 ist nicht der eigent¬
liche Anfang für ihn. vom tiefsten Stande unserer nationalen Geschicke arbei¬
tet er sich mit immer steigender Freude an der Hand seines Gegenstandes
empor; er that es langsamer und doch hinreißender in seinen wundervollen


nicht beschrieben, dafür dank' ich ihm. Ja, wenn es weit hinter uns läge,
in das duftige, abtönende Blau der historischen Ferne gehüllt, wenn wir
nicht mehr zürnen müßten in den neunziger Jahren, nicht zagen bei Austerlitz.
nicht erröthen bei Jena, nicht trauern und hoffen in den endlosen Zeiten des
Harrens, nicht ausathmen an der Katzbach, nicht jubeln bei Leipzig! Sie
werden kommen, die Tage, wo das Alles der Schrecken der Tragödie ent¬
kleidet sein wird, wo es vorüberwallen wird am Ohre des Hörers mit dem
milden Rauschen des Epos, wo die Stein und^Blücher vor unserem Auge
fest dastehen werden, wie Luther in Worms: man bangt nicht mehr um ihn,
wenn man's heute liest, durch die Jahrhunderte hindurch fühlt man ihm ge¬
trost nach das siegreiche: Ich kann nicht anders! Wie aber? Sollten wir
inzwischen einer gediegenen Darstellung der großen neuen Zeiten entbehren?
Gerade daß wir noch mit ihnen fühlen, macht immer wieder in den Besten
den Wunsch rege, sie, soweit es schon angeht, auch zu erkennen. Gab' es
keine gute Geschichte davon, man würde zu den schlechten greifen. Da war
zum Glück Hauffer der Mann, eine gute zu schreiben.

Denn was sich um die Scheide des vergangenen und des laufenden
Jahrhunderts in Deutschland zugetragen, ist, wie ungeheuer auch die äuße¬
ren Ereignisse dieser Epoche gestaltet sind, doch seinem Wesen nach eine
innere Begebenheit gewesen, eine sittliche Wiedergeburt unserer Nation aus
der Verkommenheit der einen und dem Uebermuthe der anderen heraus zur
Selbsterkenntniß und zu thatkräftigen Ernste. Das eben war Hauffer's Ge¬
sichtspunkt von Hause aus; wie es Landschafter gibt, die gerade, was den
Reiz einer bestimmten Art von Gegenden ausmacht, als gewöhnliche An¬
schauungsweise im eigenen Auge mit sich herumtragen, so war die ethische
Auffassung dieses Mannes dem ethischen Gehalte vorzugsweise dieser Pertode
völlig angemessen. So auffallend kunstlos auch Hauffer's Darstellung ist,
muß man deshalb doch sagen, daß er den rechten Ton glücklich getroffen; ich
habe immer gesunden, daß die wackersten Leute sich vollkommen dadurch be¬
friedigt fühlten. Den alten Propheten möcht' ich ihn wohl vergleichen, nicht
als Wahrsagern, wofür man sie fälschlich ausgibt, sondern so wie sie wirk¬
lich waren: Kenner der nationalen Geschichte und Wecker, Warner, Mahner
in der Noth, unermüdlich, ihr Volk zur Besserung zurufen und wirksam
durch die Macht innerster Ueberzeugung. Der richtige Standpunkt für die
Betrachtung einer begrenzten Epoche pflegt aber auch allemal eine treffliche
Ruck- und Vorschau zu gestatten. Wer möchte, wer könnte die prächtige
Einleitung in Hauffer's Buche missen? Das Jahr 1786 ist nicht der eigent¬
liche Anfang für ihn. vom tiefsten Stande unserer nationalen Geschicke arbei¬
tet er sich mit immer steigender Freude an der Hand seines Gegenstandes
empor; er that es langsamer und doch hinreißender in seinen wundervollen


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[0268] nicht beschrieben, dafür dank' ich ihm. Ja, wenn es weit hinter uns läge, in das duftige, abtönende Blau der historischen Ferne gehüllt, wenn wir nicht mehr zürnen müßten in den neunziger Jahren, nicht zagen bei Austerlitz. nicht erröthen bei Jena, nicht trauern und hoffen in den endlosen Zeiten des Harrens, nicht ausathmen an der Katzbach, nicht jubeln bei Leipzig! Sie werden kommen, die Tage, wo das Alles der Schrecken der Tragödie ent¬ kleidet sein wird, wo es vorüberwallen wird am Ohre des Hörers mit dem milden Rauschen des Epos, wo die Stein und^Blücher vor unserem Auge fest dastehen werden, wie Luther in Worms: man bangt nicht mehr um ihn, wenn man's heute liest, durch die Jahrhunderte hindurch fühlt man ihm ge¬ trost nach das siegreiche: Ich kann nicht anders! Wie aber? Sollten wir inzwischen einer gediegenen Darstellung der großen neuen Zeiten entbehren? Gerade daß wir noch mit ihnen fühlen, macht immer wieder in den Besten den Wunsch rege, sie, soweit es schon angeht, auch zu erkennen. Gab' es keine gute Geschichte davon, man würde zu den schlechten greifen. Da war zum Glück Hauffer der Mann, eine gute zu schreiben. Denn was sich um die Scheide des vergangenen und des laufenden Jahrhunderts in Deutschland zugetragen, ist, wie ungeheuer auch die äuße¬ ren Ereignisse dieser Epoche gestaltet sind, doch seinem Wesen nach eine innere Begebenheit gewesen, eine sittliche Wiedergeburt unserer Nation aus der Verkommenheit der einen und dem Uebermuthe der anderen heraus zur Selbsterkenntniß und zu thatkräftigen Ernste. Das eben war Hauffer's Ge¬ sichtspunkt von Hause aus; wie es Landschafter gibt, die gerade, was den Reiz einer bestimmten Art von Gegenden ausmacht, als gewöhnliche An¬ schauungsweise im eigenen Auge mit sich herumtragen, so war die ethische Auffassung dieses Mannes dem ethischen Gehalte vorzugsweise dieser Pertode völlig angemessen. So auffallend kunstlos auch Hauffer's Darstellung ist, muß man deshalb doch sagen, daß er den rechten Ton glücklich getroffen; ich habe immer gesunden, daß die wackersten Leute sich vollkommen dadurch be¬ friedigt fühlten. Den alten Propheten möcht' ich ihn wohl vergleichen, nicht als Wahrsagern, wofür man sie fälschlich ausgibt, sondern so wie sie wirk¬ lich waren: Kenner der nationalen Geschichte und Wecker, Warner, Mahner in der Noth, unermüdlich, ihr Volk zur Besserung zurufen und wirksam durch die Macht innerster Ueberzeugung. Der richtige Standpunkt für die Betrachtung einer begrenzten Epoche pflegt aber auch allemal eine treffliche Ruck- und Vorschau zu gestatten. Wer möchte, wer könnte die prächtige Einleitung in Hauffer's Buche missen? Das Jahr 1786 ist nicht der eigent¬ liche Anfang für ihn. vom tiefsten Stande unserer nationalen Geschicke arbei¬ tet er sich mit immer steigender Freude an der Hand seines Gegenstandes empor; er that es langsamer und doch hinreißender in seinen wundervollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/268>, abgerufen am 23.12.2024.