Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht ihr ganzes Dasein in den Arbeiten ihres Fleißes beschlossen! Es sind
nicht selten gerade die vom ersten Range, deren Leben und Treiben außer¬
halb ihrer Bücher nachzufragen nicht der Mühe lohnt. Von den Historikern
nun sollte man das freilich nichl erwarten; man sollte meinen, sie müßten
die lebendigen Kräfte, deren einstige mächtige Wirksamkeit sie aus den Ueber¬
resten der Vergangenheit zu erschließen bemüht sind, auch im bewegten Spiel
der Gegenwart zu erkennen trachten, nichts Menschliches, was für Kampf es ihnen
auch eintrüge, dürfte ihnen^fremd bleiben. Ein Redner, lautete Cato's wun¬
derliche, aber großartige Definition, sei ein tüchtiger Mann, der zu sprechen
wisse; so möchten denn auch wir, wenn es gilt, den Begriff des rechten Ge¬
schichtschreibers zu bestimmen, ihn keinem andern Gattungsbegriffe unter¬
ordnen, als dem des tüchtigen Mannes. Nicht alle der Unseren ließen sich
solcher Definition einfügen, von dem historischen Stuhle zu Heidelberg aber
muß man rühmen, daß ihn die letzten Jahrzehnte über Männer innegehabt,
denen der Hauch des Muthes gewaltig durch die Rede blies. Da hämmerte der
alte Schlosser mit eisernem Zorn auf alles los, was ihm sittlich kraus
und krumm erschien, da wirkt heute zur nationalen Erziehung der jugend¬
lichen Geister der beherzte Mann, dessen ritterliche Feder der Ulrichs von
Hütten dreist die Spitze bieten darf. Und zwischen ihnen ragt die kräftige
Gestalt Ludwig Hauffer's empor, unvergeßlich Allen, die ihn gekannt,
eine frische Freude, so oft man seiner gedenkt. Mir ist es dann und wann,
und besonders in diesem Jahre fast unglaublich erschienen, daß er todt sei,
wie ein Traum, der wieder vorbeiziehen müsse: so viel Leben war in diesem
Mann!

Das Hauptwerk seines Fleißes, seine deutsche Geschichte vom Tode
Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, hat eine
unvergleichliche Bedeutung für unser Volk. Nirgends geht es ungerechter zu,
als bei Preisvertheilungen; aber daß diesem Buche der Berliner Königs¬
preis für deutsche Geschichte -- einer der edlen Gedanken Friedrich Wil¬
helms IV. -- zuerkannt ward, das war einmal ins Schwarze getroffen. Die
Geschichte jener Jahre wird im Einzelnen noch ungeschrieben werden müssen,
vielleicht bald, wenn die Hardenberg'schen Papiere ohne Hinterhalt ans Licht
gebracht werden. Ja jetzt schon ist, wo sich Sybel mit Hauffer berührt,
euer ohne alle Frage feiner und bedeutender. Auch nicht eigentlich geistreich
wird man das Werk nennen dürfen, aber der Himmel bewahre uns vor
lauter geistreichen Geschichtschreibern! Dafür ist es durch und durch deutsch
und -- ich finde keinen besseren Ausdruck -- so recht kerngesund. Man ver¬
zeihe mir die Ketzerei: die Geschichten des sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hunderts, die Päpste und Karl V., Richelieu oder selbst Wallenstein verlangt
mich nach Ranke nicht anderwärts wieder zu lesen; aber daß er das Jahr 13


nicht ihr ganzes Dasein in den Arbeiten ihres Fleißes beschlossen! Es sind
nicht selten gerade die vom ersten Range, deren Leben und Treiben außer¬
halb ihrer Bücher nachzufragen nicht der Mühe lohnt. Von den Historikern
nun sollte man das freilich nichl erwarten; man sollte meinen, sie müßten
die lebendigen Kräfte, deren einstige mächtige Wirksamkeit sie aus den Ueber¬
resten der Vergangenheit zu erschließen bemüht sind, auch im bewegten Spiel
der Gegenwart zu erkennen trachten, nichts Menschliches, was für Kampf es ihnen
auch eintrüge, dürfte ihnen^fremd bleiben. Ein Redner, lautete Cato's wun¬
derliche, aber großartige Definition, sei ein tüchtiger Mann, der zu sprechen
wisse; so möchten denn auch wir, wenn es gilt, den Begriff des rechten Ge¬
schichtschreibers zu bestimmen, ihn keinem andern Gattungsbegriffe unter¬
ordnen, als dem des tüchtigen Mannes. Nicht alle der Unseren ließen sich
solcher Definition einfügen, von dem historischen Stuhle zu Heidelberg aber
muß man rühmen, daß ihn die letzten Jahrzehnte über Männer innegehabt,
denen der Hauch des Muthes gewaltig durch die Rede blies. Da hämmerte der
alte Schlosser mit eisernem Zorn auf alles los, was ihm sittlich kraus
und krumm erschien, da wirkt heute zur nationalen Erziehung der jugend¬
lichen Geister der beherzte Mann, dessen ritterliche Feder der Ulrichs von
Hütten dreist die Spitze bieten darf. Und zwischen ihnen ragt die kräftige
Gestalt Ludwig Hauffer's empor, unvergeßlich Allen, die ihn gekannt,
eine frische Freude, so oft man seiner gedenkt. Mir ist es dann und wann,
und besonders in diesem Jahre fast unglaublich erschienen, daß er todt sei,
wie ein Traum, der wieder vorbeiziehen müsse: so viel Leben war in diesem
Mann!

Das Hauptwerk seines Fleißes, seine deutsche Geschichte vom Tode
Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, hat eine
unvergleichliche Bedeutung für unser Volk. Nirgends geht es ungerechter zu,
als bei Preisvertheilungen; aber daß diesem Buche der Berliner Königs¬
preis für deutsche Geschichte — einer der edlen Gedanken Friedrich Wil¬
helms IV. — zuerkannt ward, das war einmal ins Schwarze getroffen. Die
Geschichte jener Jahre wird im Einzelnen noch ungeschrieben werden müssen,
vielleicht bald, wenn die Hardenberg'schen Papiere ohne Hinterhalt ans Licht
gebracht werden. Ja jetzt schon ist, wo sich Sybel mit Hauffer berührt,
euer ohne alle Frage feiner und bedeutender. Auch nicht eigentlich geistreich
wird man das Werk nennen dürfen, aber der Himmel bewahre uns vor
lauter geistreichen Geschichtschreibern! Dafür ist es durch und durch deutsch
und — ich finde keinen besseren Ausdruck — so recht kerngesund. Man ver¬
zeihe mir die Ketzerei: die Geschichten des sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hunderts, die Päpste und Karl V., Richelieu oder selbst Wallenstein verlangt
mich nach Ranke nicht anderwärts wieder zu lesen; aber daß er das Jahr 13


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124973"/>
          <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> nicht ihr ganzes Dasein in den Arbeiten ihres Fleißes beschlossen! Es sind<lb/>
nicht selten gerade die vom ersten Range, deren Leben und Treiben außer¬<lb/>
halb ihrer Bücher nachzufragen nicht der Mühe lohnt. Von den Historikern<lb/>
nun sollte man das freilich nichl erwarten; man sollte meinen, sie müßten<lb/>
die lebendigen Kräfte, deren einstige mächtige Wirksamkeit sie aus den Ueber¬<lb/>
resten der Vergangenheit zu erschließen bemüht sind, auch im bewegten Spiel<lb/>
der Gegenwart zu erkennen trachten, nichts Menschliches, was für Kampf es ihnen<lb/>
auch eintrüge, dürfte ihnen^fremd bleiben. Ein Redner, lautete Cato's wun¬<lb/>
derliche, aber großartige Definition, sei ein tüchtiger Mann, der zu sprechen<lb/>
wisse; so möchten denn auch wir, wenn es gilt, den Begriff des rechten Ge¬<lb/>
schichtschreibers zu bestimmen, ihn keinem andern Gattungsbegriffe unter¬<lb/>
ordnen, als dem des tüchtigen Mannes. Nicht alle der Unseren ließen sich<lb/>
solcher Definition einfügen, von dem historischen Stuhle zu Heidelberg aber<lb/>
muß man rühmen, daß ihn die letzten Jahrzehnte über Männer innegehabt,<lb/>
denen der Hauch des Muthes gewaltig durch die Rede blies. Da hämmerte der<lb/>
alte Schlosser mit eisernem Zorn auf alles los, was ihm sittlich kraus<lb/>
und krumm erschien, da wirkt heute zur nationalen Erziehung der jugend¬<lb/>
lichen Geister der beherzte Mann, dessen ritterliche Feder der Ulrichs von<lb/>
Hütten dreist die Spitze bieten darf. Und zwischen ihnen ragt die kräftige<lb/>
Gestalt Ludwig Hauffer's empor, unvergeßlich Allen, die ihn gekannt,<lb/>
eine frische Freude, so oft man seiner gedenkt. Mir ist es dann und wann,<lb/>
und besonders in diesem Jahre fast unglaublich erschienen, daß er todt sei,<lb/>
wie ein Traum, der wieder vorbeiziehen müsse: so viel Leben war in diesem<lb/>
Mann!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Das Hauptwerk seines Fleißes, seine deutsche Geschichte vom Tode<lb/>
Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, hat eine<lb/>
unvergleichliche Bedeutung für unser Volk. Nirgends geht es ungerechter zu,<lb/>
als bei Preisvertheilungen; aber daß diesem Buche der Berliner Königs¬<lb/>
preis für deutsche Geschichte &#x2014; einer der edlen Gedanken Friedrich Wil¬<lb/>
helms IV. &#x2014; zuerkannt ward, das war einmal ins Schwarze getroffen. Die<lb/>
Geschichte jener Jahre wird im Einzelnen noch ungeschrieben werden müssen,<lb/>
vielleicht bald, wenn die Hardenberg'schen Papiere ohne Hinterhalt ans Licht<lb/>
gebracht werden. Ja jetzt schon ist, wo sich Sybel mit Hauffer berührt,<lb/>
euer ohne alle Frage feiner und bedeutender. Auch nicht eigentlich geistreich<lb/>
wird man das Werk nennen dürfen, aber der Himmel bewahre uns vor<lb/>
lauter geistreichen Geschichtschreibern! Dafür ist es durch und durch deutsch<lb/>
und &#x2014; ich finde keinen besseren Ausdruck &#x2014; so recht kerngesund. Man ver¬<lb/>
zeihe mir die Ketzerei: die Geschichten des sechzehnten und siebzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts, die Päpste und Karl V., Richelieu oder selbst Wallenstein verlangt<lb/>
mich nach Ranke nicht anderwärts wieder zu lesen; aber daß er das Jahr 13</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] nicht ihr ganzes Dasein in den Arbeiten ihres Fleißes beschlossen! Es sind nicht selten gerade die vom ersten Range, deren Leben und Treiben außer¬ halb ihrer Bücher nachzufragen nicht der Mühe lohnt. Von den Historikern nun sollte man das freilich nichl erwarten; man sollte meinen, sie müßten die lebendigen Kräfte, deren einstige mächtige Wirksamkeit sie aus den Ueber¬ resten der Vergangenheit zu erschließen bemüht sind, auch im bewegten Spiel der Gegenwart zu erkennen trachten, nichts Menschliches, was für Kampf es ihnen auch eintrüge, dürfte ihnen^fremd bleiben. Ein Redner, lautete Cato's wun¬ derliche, aber großartige Definition, sei ein tüchtiger Mann, der zu sprechen wisse; so möchten denn auch wir, wenn es gilt, den Begriff des rechten Ge¬ schichtschreibers zu bestimmen, ihn keinem andern Gattungsbegriffe unter¬ ordnen, als dem des tüchtigen Mannes. Nicht alle der Unseren ließen sich solcher Definition einfügen, von dem historischen Stuhle zu Heidelberg aber muß man rühmen, daß ihn die letzten Jahrzehnte über Männer innegehabt, denen der Hauch des Muthes gewaltig durch die Rede blies. Da hämmerte der alte Schlosser mit eisernem Zorn auf alles los, was ihm sittlich kraus und krumm erschien, da wirkt heute zur nationalen Erziehung der jugend¬ lichen Geister der beherzte Mann, dessen ritterliche Feder der Ulrichs von Hütten dreist die Spitze bieten darf. Und zwischen ihnen ragt die kräftige Gestalt Ludwig Hauffer's empor, unvergeßlich Allen, die ihn gekannt, eine frische Freude, so oft man seiner gedenkt. Mir ist es dann und wann, und besonders in diesem Jahre fast unglaublich erschienen, daß er todt sei, wie ein Traum, der wieder vorbeiziehen müsse: so viel Leben war in diesem Mann! Das Hauptwerk seines Fleißes, seine deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, hat eine unvergleichliche Bedeutung für unser Volk. Nirgends geht es ungerechter zu, als bei Preisvertheilungen; aber daß diesem Buche der Berliner Königs¬ preis für deutsche Geschichte — einer der edlen Gedanken Friedrich Wil¬ helms IV. — zuerkannt ward, das war einmal ins Schwarze getroffen. Die Geschichte jener Jahre wird im Einzelnen noch ungeschrieben werden müssen, vielleicht bald, wenn die Hardenberg'schen Papiere ohne Hinterhalt ans Licht gebracht werden. Ja jetzt schon ist, wo sich Sybel mit Hauffer berührt, euer ohne alle Frage feiner und bedeutender. Auch nicht eigentlich geistreich wird man das Werk nennen dürfen, aber der Himmel bewahre uns vor lauter geistreichen Geschichtschreibern! Dafür ist es durch und durch deutsch und — ich finde keinen besseren Ausdruck — so recht kerngesund. Man ver¬ zeihe mir die Ketzerei: die Geschichten des sechzehnten und siebzehnten Jahr¬ hunderts, die Päpste und Karl V., Richelieu oder selbst Wallenstein verlangt mich nach Ranke nicht anderwärts wieder zu lesen; aber daß er das Jahr 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/267>, abgerufen am 23.12.2024.