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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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erweib'rungen. Am durchschlagendsten scheint das politische Bedenken, daß
die Führung eines Veto die Stellung des vetoberechtigten Staats im Bunde,
und vielleicht zu seinem eigenen Nachtheil, verrückt. Das Veto begründet
eine Art unberechenbaren, weil nicht von Bundes-, sondern Sonderinteressen,
möglicherweise sogar von blos eingebildeten Sonderinteressen geregelten Ueber¬
gewichts, das die im Bundesstaat ohnehin so schwierige Ausgleichung der
entgegenstrebenden Kräfte noch erschwert, sie selbst gefährdet.

Das Verlangen des Münchener Politikers geht von einem richtigen Grund¬
gedanken aus, ohne für denselben die richtige Verwirklichung zu finden. Ein
Staat von Bayerns Größe soll und muß eine andere Stellung, einen andern
Einfluß im Bunde haben, als eine Hansestadt. Der Canton Zürich steht in
der Eidgenossenschaft anders da als der Canton Uri, Diese Stellung, dieser
Einfluß sind aber bedingt durch Einordnung, uneingeschränkte Einordnung in den
Bund. Der Bund muß die Stellung, den Einfluß vermitteln, von ihm muß jene
sich herleiten, auf ihn dieser sich gründen. Wie der Staat nichts in seinem
Bereich duldet, was sich nicht ihm ein- und u-lterordnet. darf der Bund nichts
dulden, was ihn nicht ganz als Obergewalt über sich anerkennt. Ist dies
jedoch der Fall, kann einem Staate wie Bayern auch eine weiter gescheute
Sonderstellung eingeräumt werden, als wie sie der Münchner Politiker ins
Auge faßt.

Im Widerspruch mit dem sonst herrschenden Streben nach Individuali-
sirung, Ausprägung der Besonderheiten, unschemcitischer Behandlung des
Verwaltungsstoffs ist die Ansicht verbreitet, die Bundesgesetzgebung könne
und müsse sammt und sonders einheitlich gestaltet werden. Der die Nation
erfüllende Zug zur Einheit verleitet zu unmöglichen Forderungen. Die
norddeutsche Gesetzgebung hat in mehr als einem Fall gezeigt, daß sich schon
In dem von Natur und in Folge der vorangegangenen Entwickelung ein¬
heitlicheren norddeutschen Bundesgebiet nicht einfach Alles über einen Kamm
scheeren ließ. Das Handelsgesetzbuch, das doch eine Reihe von Jahren that¬
sächlich deutsches Recht, ist zum Bundesgesetz erklärt worden, indem gewisse
Rechtsbestimmungen particulären Ursprungs vorbehalten wurden. Die Bun¬
desgewerbeordnung hat verschiedene wesentliche Punkte der Landesgesetz¬
gebung überlassen, ebenso das Gesetz über den Unterstützungs^ohnsitz. Die
Gerichtsverfassung wird nicht anders verfahren können, wenn sie auch nur
für Norddeutschland beschlossen werden sollte. Die Leichtigkeit, mit der die
Bundesgesetzgebung bisher' arbeitete, brachte die Schwierigkeiten, die sie über¬
winden mußte, nicht zu vollem Bewußtsein. Diese würden sofort hervor¬
treten, wenn die Bundesgesstzgebung die richtige Fühlung verlöre, wenn sie
einzelsta^tliches Detail in ihren Bereich ziehen wollte. Damit ist selbstredend
nicht gesagt, daß die Bundesgesetzgebung gesetzgeberische Programme aufstellen


erweib'rungen. Am durchschlagendsten scheint das politische Bedenken, daß
die Führung eines Veto die Stellung des vetoberechtigten Staats im Bunde,
und vielleicht zu seinem eigenen Nachtheil, verrückt. Das Veto begründet
eine Art unberechenbaren, weil nicht von Bundes-, sondern Sonderinteressen,
möglicherweise sogar von blos eingebildeten Sonderinteressen geregelten Ueber¬
gewichts, das die im Bundesstaat ohnehin so schwierige Ausgleichung der
entgegenstrebenden Kräfte noch erschwert, sie selbst gefährdet.

Das Verlangen des Münchener Politikers geht von einem richtigen Grund¬
gedanken aus, ohne für denselben die richtige Verwirklichung zu finden. Ein
Staat von Bayerns Größe soll und muß eine andere Stellung, einen andern
Einfluß im Bunde haben, als eine Hansestadt. Der Canton Zürich steht in
der Eidgenossenschaft anders da als der Canton Uri, Diese Stellung, dieser
Einfluß sind aber bedingt durch Einordnung, uneingeschränkte Einordnung in den
Bund. Der Bund muß die Stellung, den Einfluß vermitteln, von ihm muß jene
sich herleiten, auf ihn dieser sich gründen. Wie der Staat nichts in seinem
Bereich duldet, was sich nicht ihm ein- und u-lterordnet. darf der Bund nichts
dulden, was ihn nicht ganz als Obergewalt über sich anerkennt. Ist dies
jedoch der Fall, kann einem Staate wie Bayern auch eine weiter gescheute
Sonderstellung eingeräumt werden, als wie sie der Münchner Politiker ins
Auge faßt.

Im Widerspruch mit dem sonst herrschenden Streben nach Individuali-
sirung, Ausprägung der Besonderheiten, unschemcitischer Behandlung des
Verwaltungsstoffs ist die Ansicht verbreitet, die Bundesgesetzgebung könne
und müsse sammt und sonders einheitlich gestaltet werden. Der die Nation
erfüllende Zug zur Einheit verleitet zu unmöglichen Forderungen. Die
norddeutsche Gesetzgebung hat in mehr als einem Fall gezeigt, daß sich schon
In dem von Natur und in Folge der vorangegangenen Entwickelung ein¬
heitlicheren norddeutschen Bundesgebiet nicht einfach Alles über einen Kamm
scheeren ließ. Das Handelsgesetzbuch, das doch eine Reihe von Jahren that¬
sächlich deutsches Recht, ist zum Bundesgesetz erklärt worden, indem gewisse
Rechtsbestimmungen particulären Ursprungs vorbehalten wurden. Die Bun¬
desgewerbeordnung hat verschiedene wesentliche Punkte der Landesgesetz¬
gebung überlassen, ebenso das Gesetz über den Unterstützungs^ohnsitz. Die
Gerichtsverfassung wird nicht anders verfahren können, wenn sie auch nur
für Norddeutschland beschlossen werden sollte. Die Leichtigkeit, mit der die
Bundesgesetzgebung bisher' arbeitete, brachte die Schwierigkeiten, die sie über¬
winden mußte, nicht zu vollem Bewußtsein. Diese würden sofort hervor¬
treten, wenn die Bundesgesstzgebung die richtige Fühlung verlöre, wenn sie
einzelsta^tliches Detail in ihren Bereich ziehen wollte. Damit ist selbstredend
nicht gesagt, daß die Bundesgesetzgebung gesetzgeberische Programme aufstellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/262>, abgerufen am 23.12.2024.