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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gewahrt sehen. Er nimmt für seinen Staat ein Recht in Anspruch, das selbst
dem Bundespräsidium nicht zusteht. Der leitende Gedanke ist klar; die natür¬
liche Erpensionskrnft des deutschen Bundesstaats soll von Anfang gehemmt
sein. Man vergegenwärtige sich die Wirkungen des Veto! Die unmittel¬
baren Wirkungen eines solchen Verbietungrechts wollen weniger als die un¬
mittelbaren sagen. Fällt das Schwert nieder, mit dem einem vielleicht mühe¬
voll geschaffenen Werk der Lebensfaden zerschnitten wird, ist für jedermann
offenkundig, was und wie es geschah. Das Schwert läßt sich aber auch in
der Hand halten, um es in jedem Augenblicke niederfallen zu lassen, man
kann drohen es niederfallen zulassen, man kann durch diese Drohung einen ge¬
bietenden Einfluß üben. Es ist nicht gesagt, daß der Einfluß geübt, daß die
Drohung angewendet wird, es ist nicht zu bestreiten, daß der Einfluß geübt,
daß die Drohung angewendet werden kann und bei öffentlichen Einrichtungen
ist nicht danach zu fragen, was mit ihnen und durch sie gemacht wird, son¬
dern was mit ihnen und durch sie gemacht werden kann. Sollen einem solchen
Mißbrauch diplomatische Mittel der Präsidialmacht vorbeugen, ist dem bean¬
spruchten Recht von vornherein die volle Berechtigung abgesprochen und
dasselbe zu einem Scheinrecht gestempelt. Man erkennt seine innere Unvereinbarkeit
mit der gegebenen Staatsform an, man giebt Preis, was bei einer Verfassung vor
allem angestrebt werden muß, die Klarheit und Greifbarkeit des Rechts.

Es kann nicht eingewandt werden, daß dem Bundespräsidium ein be¬
schränktes Veto für Heeres-, Flotten-, Zollangelegenheiten in dem Sinne
zustehe, "daß, im Fall der Meinungsverschiedenheit im Bundesrath die Stimme
des Präsidiums den Ausschlag gebe, wenn sie sich für Aufrechthaltung der
bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspreche". Bei diesem Präsidialacte
hand?le es sich überwiegend um Gesetzgebung??- und Verwaltungsrecht, an
zweiter Stelle um Verfassungsfragen. Es ist auch kein unbeschränktes, kein
unbedingt verbietendes, blos ein verhinderndes, man könnte sagen, ein erhal¬
tendes Veto. Uebrigens wird schon feine Zulässigkeit wissenschaftlich in Frage
gezogen und -- wir stellen dahin, mit welchem Recht -- angenommen, daß
seine Ausübung "ein Jnternum im Schooße des Bundesrathes, eine Differenz
im Kreise der souveränen Glieder des Bundes sei, die auch lediglich inner¬
halb dieses Kreises zum Austrag gebracht werde" (G. Meyer). Die Verlaut¬
barung der Vetoeinlegung des Bundespräsidiums wird nach den bisherigen
Erfahrungen und bei der richtigerweise beliebten öffentlichen Behandlung der
Bundesangelegenheiten schwerlich unterbleiben können.

Manches Bedenken läßt sich noch gegen das bayrische Verfassungsveto
erheben. Warum soll es nicht auch den andern Südstaaten zustehen? warum
auf Verfassungsfragen beschränkt sein? Ausführungsgesetze können die Selb¬
ständigkeit der Einzelstaaten materiell viel mehr schädigen, als Verfassungs-


gewahrt sehen. Er nimmt für seinen Staat ein Recht in Anspruch, das selbst
dem Bundespräsidium nicht zusteht. Der leitende Gedanke ist klar; die natür¬
liche Erpensionskrnft des deutschen Bundesstaats soll von Anfang gehemmt
sein. Man vergegenwärtige sich die Wirkungen des Veto! Die unmittel¬
baren Wirkungen eines solchen Verbietungrechts wollen weniger als die un¬
mittelbaren sagen. Fällt das Schwert nieder, mit dem einem vielleicht mühe¬
voll geschaffenen Werk der Lebensfaden zerschnitten wird, ist für jedermann
offenkundig, was und wie es geschah. Das Schwert läßt sich aber auch in
der Hand halten, um es in jedem Augenblicke niederfallen zu lassen, man
kann drohen es niederfallen zulassen, man kann durch diese Drohung einen ge¬
bietenden Einfluß üben. Es ist nicht gesagt, daß der Einfluß geübt, daß die
Drohung angewendet wird, es ist nicht zu bestreiten, daß der Einfluß geübt,
daß die Drohung angewendet werden kann und bei öffentlichen Einrichtungen
ist nicht danach zu fragen, was mit ihnen und durch sie gemacht wird, son¬
dern was mit ihnen und durch sie gemacht werden kann. Sollen einem solchen
Mißbrauch diplomatische Mittel der Präsidialmacht vorbeugen, ist dem bean¬
spruchten Recht von vornherein die volle Berechtigung abgesprochen und
dasselbe zu einem Scheinrecht gestempelt. Man erkennt seine innere Unvereinbarkeit
mit der gegebenen Staatsform an, man giebt Preis, was bei einer Verfassung vor
allem angestrebt werden muß, die Klarheit und Greifbarkeit des Rechts.

Es kann nicht eingewandt werden, daß dem Bundespräsidium ein be¬
schränktes Veto für Heeres-, Flotten-, Zollangelegenheiten in dem Sinne
zustehe, „daß, im Fall der Meinungsverschiedenheit im Bundesrath die Stimme
des Präsidiums den Ausschlag gebe, wenn sie sich für Aufrechthaltung der
bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspreche". Bei diesem Präsidialacte
hand?le es sich überwiegend um Gesetzgebung??- und Verwaltungsrecht, an
zweiter Stelle um Verfassungsfragen. Es ist auch kein unbeschränktes, kein
unbedingt verbietendes, blos ein verhinderndes, man könnte sagen, ein erhal¬
tendes Veto. Uebrigens wird schon feine Zulässigkeit wissenschaftlich in Frage
gezogen und — wir stellen dahin, mit welchem Recht — angenommen, daß
seine Ausübung „ein Jnternum im Schooße des Bundesrathes, eine Differenz
im Kreise der souveränen Glieder des Bundes sei, die auch lediglich inner¬
halb dieses Kreises zum Austrag gebracht werde" (G. Meyer). Die Verlaut¬
barung der Vetoeinlegung des Bundespräsidiums wird nach den bisherigen
Erfahrungen und bei der richtigerweise beliebten öffentlichen Behandlung der
Bundesangelegenheiten schwerlich unterbleiben können.

Manches Bedenken läßt sich noch gegen das bayrische Verfassungsveto
erheben. Warum soll es nicht auch den andern Südstaaten zustehen? warum
auf Verfassungsfragen beschränkt sein? Ausführungsgesetze können die Selb¬
ständigkeit der Einzelstaaten materiell viel mehr schädigen, als Verfassungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/261>, abgerufen am 23.12.2024.