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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Preises, gemacht. Bezeichnet wird diese Art Verfassungsänderungen nicht und
so läßt sich nicht über sie urtheilen. Die Andeutungen, die von München
her (Augsburger allgemeine Zeitung Ur. 260, S. 4125) darüber in die
Oeffentlichkeit gedrungen, bieten lebhaftes Interesse, ermangeln jedoch vor¬
läufig einer zuverlässigen Unterlage.

Die Verfassungsänderungen, die aus den Parteien heraus gefordert
werden, tragen doppelten Charakter. Die eine Partei will den Bund in all¬
gemein politischer Beziehung entwickelt oder erweitert sehen, die freiheitlichen
Rechte sollen vom Bunde gewährt oder gewährleistet werden, die Bundes¬
verfassung soll die Grundrechte der Bürger aufnehmen und unantastbar
machen. Es ist kaum zweifelhaft, daß die Vertreterzahl dieser Partei eher
ab- als zunimmt. Das Beispiel von Mecklenburg lehrt, daß der mittelbare
Einfluß des Bundes und der Bundesgesetze stark genug ist. um auf die inne¬
ren Verhältnisse des Landes einzuwirken und ihre Ausgleichung mit denen
der übrigen Bundesstaaten zur Nothwendigkeit zu machen. Wenn der Ein¬
fluß langsamer zur Geltung gelangt, ist dies in der Natur der Sachs be¬
gründet.

Die andere Partei will den Bund partikularistisch -- dürfen wir noch
sagen entwickelt? -- sehen. Ihr Programm faßt sich weniger in offene posi¬
tive Forderungen, als in die verhüllte Forderung, positiv nichts zu machen,
zusammen. Ihnen scheint, um ein Bild des Grafen Bismarck zu benutzen,
der Bund ein Uhrwerk zu sein, das nicht nach seinen eigenen Gesetzen, sondern
nach ihrem Belieben und Gefallen eingerichtet wird und geht. Neben an¬
deren Mißverständnissen, in denen sie sich befinden, sind sie im gänzlichen
Mißverständniß über die dem Bunde innewohnende staatliche Macht, über
das großartige Leben, das rasch und unaufhaltsam das kaum zusammenge¬
fügte Volksganze zu durchströmen beginnt.

Dem Verlangen nach Abänderung der Bundesverfassung liegt theils Un-
befriedigung, theils versteckter Widerwille gegen die zusammenfassende ein¬
heitlichende Macht des Bundes unter. Nicht daß man einem andern Ziel
zustrebte, man fühlt, daß der norddeutsche Bund deutsche Aufgaben vollbringt
und deutsche Arbeit verrichtet, man fühlt wohl auch, daß ihm besondere Be¬
dingungen gestellt sind, denen er, entgegen den Forderungen der Lehre und der
überlieferten Anschauungen, genügen muß. Allein die Neigung den Staat
nicht zu nehmen, wie er ist, sondern wie er sein, ja er nach der eignen per¬
sönlichen Ansicht sein soll, bringt sich zur Geltung, sie würde wie schon man¬
ches Mal von empfindlichen Nachtheil sein, wenn nicht der Zwang der Lage
zur Niederhaltung jedes nicht völlig berechtigten Zweifels, Bedenkens und
Anstands nöthigte.

Ein solcher Zweifel und Anstand, ein solches Bedenken besteht und bildet,
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Preises, gemacht. Bezeichnet wird diese Art Verfassungsänderungen nicht und
so läßt sich nicht über sie urtheilen. Die Andeutungen, die von München
her (Augsburger allgemeine Zeitung Ur. 260, S. 4125) darüber in die
Oeffentlichkeit gedrungen, bieten lebhaftes Interesse, ermangeln jedoch vor¬
läufig einer zuverlässigen Unterlage.

Die Verfassungsänderungen, die aus den Parteien heraus gefordert
werden, tragen doppelten Charakter. Die eine Partei will den Bund in all¬
gemein politischer Beziehung entwickelt oder erweitert sehen, die freiheitlichen
Rechte sollen vom Bunde gewährt oder gewährleistet werden, die Bundes¬
verfassung soll die Grundrechte der Bürger aufnehmen und unantastbar
machen. Es ist kaum zweifelhaft, daß die Vertreterzahl dieser Partei eher
ab- als zunimmt. Das Beispiel von Mecklenburg lehrt, daß der mittelbare
Einfluß des Bundes und der Bundesgesetze stark genug ist. um auf die inne¬
ren Verhältnisse des Landes einzuwirken und ihre Ausgleichung mit denen
der übrigen Bundesstaaten zur Nothwendigkeit zu machen. Wenn der Ein¬
fluß langsamer zur Geltung gelangt, ist dies in der Natur der Sachs be¬
gründet.

Die andere Partei will den Bund partikularistisch — dürfen wir noch
sagen entwickelt? — sehen. Ihr Programm faßt sich weniger in offene posi¬
tive Forderungen, als in die verhüllte Forderung, positiv nichts zu machen,
zusammen. Ihnen scheint, um ein Bild des Grafen Bismarck zu benutzen,
der Bund ein Uhrwerk zu sein, das nicht nach seinen eigenen Gesetzen, sondern
nach ihrem Belieben und Gefallen eingerichtet wird und geht. Neben an¬
deren Mißverständnissen, in denen sie sich befinden, sind sie im gänzlichen
Mißverständniß über die dem Bunde innewohnende staatliche Macht, über
das großartige Leben, das rasch und unaufhaltsam das kaum zusammenge¬
fügte Volksganze zu durchströmen beginnt.

Dem Verlangen nach Abänderung der Bundesverfassung liegt theils Un-
befriedigung, theils versteckter Widerwille gegen die zusammenfassende ein¬
heitlichende Macht des Bundes unter. Nicht daß man einem andern Ziel
zustrebte, man fühlt, daß der norddeutsche Bund deutsche Aufgaben vollbringt
und deutsche Arbeit verrichtet, man fühlt wohl auch, daß ihm besondere Be¬
dingungen gestellt sind, denen er, entgegen den Forderungen der Lehre und der
überlieferten Anschauungen, genügen muß. Allein die Neigung den Staat
nicht zu nehmen, wie er ist, sondern wie er sein, ja er nach der eignen per¬
sönlichen Ansicht sein soll, bringt sich zur Geltung, sie würde wie schon man¬
ches Mal von empfindlichen Nachtheil sein, wenn nicht der Zwang der Lage
zur Niederhaltung jedes nicht völlig berechtigten Zweifels, Bedenkens und
Anstands nöthigte.

Ein solcher Zweifel und Anstand, ein solches Bedenken besteht und bildet,
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[0259] Preises, gemacht. Bezeichnet wird diese Art Verfassungsänderungen nicht und so läßt sich nicht über sie urtheilen. Die Andeutungen, die von München her (Augsburger allgemeine Zeitung Ur. 260, S. 4125) darüber in die Oeffentlichkeit gedrungen, bieten lebhaftes Interesse, ermangeln jedoch vor¬ läufig einer zuverlässigen Unterlage. Die Verfassungsänderungen, die aus den Parteien heraus gefordert werden, tragen doppelten Charakter. Die eine Partei will den Bund in all¬ gemein politischer Beziehung entwickelt oder erweitert sehen, die freiheitlichen Rechte sollen vom Bunde gewährt oder gewährleistet werden, die Bundes¬ verfassung soll die Grundrechte der Bürger aufnehmen und unantastbar machen. Es ist kaum zweifelhaft, daß die Vertreterzahl dieser Partei eher ab- als zunimmt. Das Beispiel von Mecklenburg lehrt, daß der mittelbare Einfluß des Bundes und der Bundesgesetze stark genug ist. um auf die inne¬ ren Verhältnisse des Landes einzuwirken und ihre Ausgleichung mit denen der übrigen Bundesstaaten zur Nothwendigkeit zu machen. Wenn der Ein¬ fluß langsamer zur Geltung gelangt, ist dies in der Natur der Sachs be¬ gründet. Die andere Partei will den Bund partikularistisch — dürfen wir noch sagen entwickelt? — sehen. Ihr Programm faßt sich weniger in offene posi¬ tive Forderungen, als in die verhüllte Forderung, positiv nichts zu machen, zusammen. Ihnen scheint, um ein Bild des Grafen Bismarck zu benutzen, der Bund ein Uhrwerk zu sein, das nicht nach seinen eigenen Gesetzen, sondern nach ihrem Belieben und Gefallen eingerichtet wird und geht. Neben an¬ deren Mißverständnissen, in denen sie sich befinden, sind sie im gänzlichen Mißverständniß über die dem Bunde innewohnende staatliche Macht, über das großartige Leben, das rasch und unaufhaltsam das kaum zusammenge¬ fügte Volksganze zu durchströmen beginnt. Dem Verlangen nach Abänderung der Bundesverfassung liegt theils Un- befriedigung, theils versteckter Widerwille gegen die zusammenfassende ein¬ heitlichende Macht des Bundes unter. Nicht daß man einem andern Ziel zustrebte, man fühlt, daß der norddeutsche Bund deutsche Aufgaben vollbringt und deutsche Arbeit verrichtet, man fühlt wohl auch, daß ihm besondere Be¬ dingungen gestellt sind, denen er, entgegen den Forderungen der Lehre und der überlieferten Anschauungen, genügen muß. Allein die Neigung den Staat nicht zu nehmen, wie er ist, sondern wie er sein, ja er nach der eignen per¬ sönlichen Ansicht sein soll, bringt sich zur Geltung, sie würde wie schon man¬ ches Mal von empfindlichen Nachtheil sein, wenn nicht der Zwang der Lage zur Niederhaltung jedes nicht völlig berechtigten Zweifels, Bedenkens und Anstands nöthigte. Ein solcher Zweifel und Anstand, ein solches Bedenken besteht und bildet, * 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/259>, abgerufen am 22.12.2024.