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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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male Fehlgriffe mehr und mehr abnimmt, daß die Nation sich das Talent
ihres leitenden Staatsmanns aneignet, mit den gegebenen Größen zu rech¬
nen, von den gegebenen Voraussetzungen aus dem Ziele'zuzustreben.

Die politische Beweglichkeit, die sich in dieser Zeit raschen Werdens und
Gestaltens in unserm Volke zeigt, tritt augenblicklich wieder hervor. Kaum
ist der norddeutsche Bund unter großen Mühen und durch eine seltene Gunst
der Verhältnisse begründet, kaum hat er die Feuertaufe erhalten und seine
staatliche Tüchtigkeit in einem Kampf ohne Gleichen, dessen Sieg wesentlich
und vor allem ihm zu danken, bewährt, und schon werden Zweifel laut, ob
der eben im Festen begriffene Kern deutscher Staatlichkeit nicht einem neuen
noch unerkannten Staatswesen Platz machen solle. Die Zweifel sind gewiß
von lauterer nationaler Gesinnung eingegeben; wenn man ihnen aber Folge
gäbe, was sollte werden? Ein einfacher Tausch der Namen verlangt keinen
Vorgang, der auf Verleugnung der kurzen rühmlichen Geschichte des nord¬
deutschen Bundes hinauskäme. Eine Veränderung der Verhältnisse, könnte
sie von nationaler Seite wirklich gewollt sein? Treten wir der Frage, über
die nicht überall die wünschenswerthe Klarheit herrscht, näher.

Die Schöpfung des norddeutschen Bundes hat wie alles Neue viele An¬
fechtung zu erfahren. Den einen ist der neu" Staat zu stark, den andern zu
schwach gestaltet, den einen zu viel, den andern zu wenig politisch neuernd.
Das nur in Erscheinung getretene Gebilde soll die Vollendung altbestehen¬
der Staaten aufweisen; es soll auch seinen Einfassen alsbald darin heimisch
sein. Die größten Forderungrn werden an das schwierigste Werk, an das
künstlichste Staatswesen gestellt, man fragt wenig, ob die Forderungen wirk¬
lich erfüllbar sind, ob nicht alles oder außerordentlich viel erfüllt ist. was in
der knappen Spanne von drei Jahren erfüllt werden konnte. Der neue
Staat hat, obschon gemeinwichtige Neuerungen wie die Regelung von Maß
und Gewicht noch nicht in Wirksamkeit gesetzt, so viel geschaffen, daß einfache
Rückkehr zu den alten Verhältnissen überall unmöglich wäre. Mußten wir
den norddeutschen Bund wieder aufgeben, erst dann würden wir vollständig
erfahren, was wir in ihm zu Wasser und zu Lande, nach außen und nach
innen besitzen.

Der Werth des Bundes wird nicht so verkannt, daß man ihn einfach
zerschlagen wissen wollte. So weit gehen blos die Politiker von äußerster
Stellung, die jeder staatlichen Gestaltung bisher die Mitwirkung versagten.
Aber man will den Bund anders gestaltet sehen, man verlangt Verfassungs¬
änderungen, und wenn die Blätter richtig berichten, werden diese nicht allein
von Parteiführern und Parteien, sondern auch von Regierungen im Süden
verlangt und zu Bedingungen ihres Eintritts in das Bundesverhältniß, mit¬
hin zu Bedingungen des Gelingens der nationalen Reform, unseres Sieges-


male Fehlgriffe mehr und mehr abnimmt, daß die Nation sich das Talent
ihres leitenden Staatsmanns aneignet, mit den gegebenen Größen zu rech¬
nen, von den gegebenen Voraussetzungen aus dem Ziele'zuzustreben.

Die politische Beweglichkeit, die sich in dieser Zeit raschen Werdens und
Gestaltens in unserm Volke zeigt, tritt augenblicklich wieder hervor. Kaum
ist der norddeutsche Bund unter großen Mühen und durch eine seltene Gunst
der Verhältnisse begründet, kaum hat er die Feuertaufe erhalten und seine
staatliche Tüchtigkeit in einem Kampf ohne Gleichen, dessen Sieg wesentlich
und vor allem ihm zu danken, bewährt, und schon werden Zweifel laut, ob
der eben im Festen begriffene Kern deutscher Staatlichkeit nicht einem neuen
noch unerkannten Staatswesen Platz machen solle. Die Zweifel sind gewiß
von lauterer nationaler Gesinnung eingegeben; wenn man ihnen aber Folge
gäbe, was sollte werden? Ein einfacher Tausch der Namen verlangt keinen
Vorgang, der auf Verleugnung der kurzen rühmlichen Geschichte des nord¬
deutschen Bundes hinauskäme. Eine Veränderung der Verhältnisse, könnte
sie von nationaler Seite wirklich gewollt sein? Treten wir der Frage, über
die nicht überall die wünschenswerthe Klarheit herrscht, näher.

Die Schöpfung des norddeutschen Bundes hat wie alles Neue viele An¬
fechtung zu erfahren. Den einen ist der neu« Staat zu stark, den andern zu
schwach gestaltet, den einen zu viel, den andern zu wenig politisch neuernd.
Das nur in Erscheinung getretene Gebilde soll die Vollendung altbestehen¬
der Staaten aufweisen; es soll auch seinen Einfassen alsbald darin heimisch
sein. Die größten Forderungrn werden an das schwierigste Werk, an das
künstlichste Staatswesen gestellt, man fragt wenig, ob die Forderungen wirk¬
lich erfüllbar sind, ob nicht alles oder außerordentlich viel erfüllt ist. was in
der knappen Spanne von drei Jahren erfüllt werden konnte. Der neue
Staat hat, obschon gemeinwichtige Neuerungen wie die Regelung von Maß
und Gewicht noch nicht in Wirksamkeit gesetzt, so viel geschaffen, daß einfache
Rückkehr zu den alten Verhältnissen überall unmöglich wäre. Mußten wir
den norddeutschen Bund wieder aufgeben, erst dann würden wir vollständig
erfahren, was wir in ihm zu Wasser und zu Lande, nach außen und nach
innen besitzen.

Der Werth des Bundes wird nicht so verkannt, daß man ihn einfach
zerschlagen wissen wollte. So weit gehen blos die Politiker von äußerster
Stellung, die jeder staatlichen Gestaltung bisher die Mitwirkung versagten.
Aber man will den Bund anders gestaltet sehen, man verlangt Verfassungs¬
änderungen, und wenn die Blätter richtig berichten, werden diese nicht allein
von Parteiführern und Parteien, sondern auch von Regierungen im Süden
verlangt und zu Bedingungen ihres Eintritts in das Bundesverhältniß, mit¬
hin zu Bedingungen des Gelingens der nationalen Reform, unseres Sieges-


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[0258] male Fehlgriffe mehr und mehr abnimmt, daß die Nation sich das Talent ihres leitenden Staatsmanns aneignet, mit den gegebenen Größen zu rech¬ nen, von den gegebenen Voraussetzungen aus dem Ziele'zuzustreben. Die politische Beweglichkeit, die sich in dieser Zeit raschen Werdens und Gestaltens in unserm Volke zeigt, tritt augenblicklich wieder hervor. Kaum ist der norddeutsche Bund unter großen Mühen und durch eine seltene Gunst der Verhältnisse begründet, kaum hat er die Feuertaufe erhalten und seine staatliche Tüchtigkeit in einem Kampf ohne Gleichen, dessen Sieg wesentlich und vor allem ihm zu danken, bewährt, und schon werden Zweifel laut, ob der eben im Festen begriffene Kern deutscher Staatlichkeit nicht einem neuen noch unerkannten Staatswesen Platz machen solle. Die Zweifel sind gewiß von lauterer nationaler Gesinnung eingegeben; wenn man ihnen aber Folge gäbe, was sollte werden? Ein einfacher Tausch der Namen verlangt keinen Vorgang, der auf Verleugnung der kurzen rühmlichen Geschichte des nord¬ deutschen Bundes hinauskäme. Eine Veränderung der Verhältnisse, könnte sie von nationaler Seite wirklich gewollt sein? Treten wir der Frage, über die nicht überall die wünschenswerthe Klarheit herrscht, näher. Die Schöpfung des norddeutschen Bundes hat wie alles Neue viele An¬ fechtung zu erfahren. Den einen ist der neu« Staat zu stark, den andern zu schwach gestaltet, den einen zu viel, den andern zu wenig politisch neuernd. Das nur in Erscheinung getretene Gebilde soll die Vollendung altbestehen¬ der Staaten aufweisen; es soll auch seinen Einfassen alsbald darin heimisch sein. Die größten Forderungrn werden an das schwierigste Werk, an das künstlichste Staatswesen gestellt, man fragt wenig, ob die Forderungen wirk¬ lich erfüllbar sind, ob nicht alles oder außerordentlich viel erfüllt ist. was in der knappen Spanne von drei Jahren erfüllt werden konnte. Der neue Staat hat, obschon gemeinwichtige Neuerungen wie die Regelung von Maß und Gewicht noch nicht in Wirksamkeit gesetzt, so viel geschaffen, daß einfache Rückkehr zu den alten Verhältnissen überall unmöglich wäre. Mußten wir den norddeutschen Bund wieder aufgeben, erst dann würden wir vollständig erfahren, was wir in ihm zu Wasser und zu Lande, nach außen und nach innen besitzen. Der Werth des Bundes wird nicht so verkannt, daß man ihn einfach zerschlagen wissen wollte. So weit gehen blos die Politiker von äußerster Stellung, die jeder staatlichen Gestaltung bisher die Mitwirkung versagten. Aber man will den Bund anders gestaltet sehen, man verlangt Verfassungs¬ änderungen, und wenn die Blätter richtig berichten, werden diese nicht allein von Parteiführern und Parteien, sondern auch von Regierungen im Süden verlangt und zu Bedingungen ihres Eintritts in das Bundesverhältniß, mit¬ hin zu Bedingungen des Gelingens der nationalen Reform, unseres Sieges-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/258>, abgerufen am 22.12.2024.