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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Achtzehnhundert. Dem verabredeten Plan zufolge eröffnet das Emigranten-
Bataillon den Reigen, indem es aus dem Courtrayer Thor ausfällt, den
Geluwe-Bach überschreitet, und die Vorstadt Brügge von Osten her angreift,
während gleichzeitig die übrigen 3 Bataillone mit 18 Geschützen auf dem
nächsten Wege durch die Barrieren des Brügger Thors ebenfalls auf die
Vorstadt losstürmen. Der Angriff der Emigranten mißlingt zwar völlig,
aber das Grenadier-Bataillon und das 1. Bataillon des 14. Regiments
stellen das Gefecht wieder her, indem sie, unter Hammersteins Führung, ohne
einen Schuß zu thun, die jenseit der Brücke stehende Halbbrigade Bandamme
mit dem Bajonnet über den Haufen werfen; doch unmittelbar darauf werden
sie von anderen überlegenen feindlichen Streitkräften, die Vandamme zu Hilfe
eilen, in ein neues sehr ernsthaftes Gefecht verwickelt.

Inzwischen will es das Unheil, daß die Geschütze sich am Thor ver¬
fahren und dadurch der Nachhut, dem 2. Bataillon des 14. Regiments, den
Ausweg versperren. Zwar gelingt es Scharnhorst endlich den zusammenge¬
ballten Knäuel zu entwirren, die Geschütze neben der Straße aufzufahren und
mit kräftigem Kartätschenfeuer den Angriff des Feindes abzuweisen. Aber schon
ist die Brügger Vorstadt von den Franzosen dicht besetzt; sie mit dem noch
übrigen einen Bataillon zu durchbrechen ist unmöglich; die anderen 3 Ba¬
taillone sind verschwunden, vermuthlich umzingelt und gefangen; wo nun
für den Rest und die Geschütze einen Ausweg finden? Man versucht, eine
südlich der Vorstadt gelegene Brücke zu benutzen; aber auch hier stößt man
schon auf den Feind. Eine andere Brücke ist durch die Anstauung der Ge¬
luwe unter Wasser gesetzt; dessen ungeachtet aber gelangen zwei Geschütze
glücklich hinüber, doch das dritte wird auf der Brücke umgeworfen und so
ist auch dieser Uebergang wieder versperrt. Hammerstein, der nach dem ge¬
lungenen Angriff der Grenadiere auf die Halbbrigade Vandamme, als treuer
Führer bei de" Nachhut zurückgeblieben, ist fest entschlossen, sich weder zu er¬
geben, noch auch sich wieder nach Menin hineindrängen zu lassen, sondern
sein Leben so theuer wie möglich zu verkaufen und mit den Seinen ehren¬
voll kämpfend unterzugehen. An und in der Geluwe entspinnt sich nun ein
Ringen der hellen Verzweiflung, Mann gegen Mann, ohne Quartier zu
nehmen oder zu geben! Indeß gewinnen immer noch Einzelne das schützende
Ufer des Baches, theils schwimmend, theils watend, theils von den Kamera¬
den hinübergezogen.

Da endlich sendet der Himmel den Braven unverhoffte Rettung: ein
Unteroffizier der Artillerie entdeckt nahe der Stadt eine dritte Brücke, die
eigentlich von den Vertheidigern der Festung längst abgebrochen sein sollte.
Eilends rettet sich durch dies letzte Schlupfloch der Rest der Geschütze und
Leute, mit ihnen Hammerstein und Scharnhorst. Da man indeß von dem


Achtzehnhundert. Dem verabredeten Plan zufolge eröffnet das Emigranten-
Bataillon den Reigen, indem es aus dem Courtrayer Thor ausfällt, den
Geluwe-Bach überschreitet, und die Vorstadt Brügge von Osten her angreift,
während gleichzeitig die übrigen 3 Bataillone mit 18 Geschützen auf dem
nächsten Wege durch die Barrieren des Brügger Thors ebenfalls auf die
Vorstadt losstürmen. Der Angriff der Emigranten mißlingt zwar völlig,
aber das Grenadier-Bataillon und das 1. Bataillon des 14. Regiments
stellen das Gefecht wieder her, indem sie, unter Hammersteins Führung, ohne
einen Schuß zu thun, die jenseit der Brücke stehende Halbbrigade Bandamme
mit dem Bajonnet über den Haufen werfen; doch unmittelbar darauf werden
sie von anderen überlegenen feindlichen Streitkräften, die Vandamme zu Hilfe
eilen, in ein neues sehr ernsthaftes Gefecht verwickelt.

Inzwischen will es das Unheil, daß die Geschütze sich am Thor ver¬
fahren und dadurch der Nachhut, dem 2. Bataillon des 14. Regiments, den
Ausweg versperren. Zwar gelingt es Scharnhorst endlich den zusammenge¬
ballten Knäuel zu entwirren, die Geschütze neben der Straße aufzufahren und
mit kräftigem Kartätschenfeuer den Angriff des Feindes abzuweisen. Aber schon
ist die Brügger Vorstadt von den Franzosen dicht besetzt; sie mit dem noch
übrigen einen Bataillon zu durchbrechen ist unmöglich; die anderen 3 Ba¬
taillone sind verschwunden, vermuthlich umzingelt und gefangen; wo nun
für den Rest und die Geschütze einen Ausweg finden? Man versucht, eine
südlich der Vorstadt gelegene Brücke zu benutzen; aber auch hier stößt man
schon auf den Feind. Eine andere Brücke ist durch die Anstauung der Ge¬
luwe unter Wasser gesetzt; dessen ungeachtet aber gelangen zwei Geschütze
glücklich hinüber, doch das dritte wird auf der Brücke umgeworfen und so
ist auch dieser Uebergang wieder versperrt. Hammerstein, der nach dem ge¬
lungenen Angriff der Grenadiere auf die Halbbrigade Vandamme, als treuer
Führer bei de» Nachhut zurückgeblieben, ist fest entschlossen, sich weder zu er¬
geben, noch auch sich wieder nach Menin hineindrängen zu lassen, sondern
sein Leben so theuer wie möglich zu verkaufen und mit den Seinen ehren¬
voll kämpfend unterzugehen. An und in der Geluwe entspinnt sich nun ein
Ringen der hellen Verzweiflung, Mann gegen Mann, ohne Quartier zu
nehmen oder zu geben! Indeß gewinnen immer noch Einzelne das schützende
Ufer des Baches, theils schwimmend, theils watend, theils von den Kamera¬
den hinübergezogen.

Da endlich sendet der Himmel den Braven unverhoffte Rettung: ein
Unteroffizier der Artillerie entdeckt nahe der Stadt eine dritte Brücke, die
eigentlich von den Vertheidigern der Festung längst abgebrochen sein sollte.
Eilends rettet sich durch dies letzte Schlupfloch der Rest der Geschütze und
Leute, mit ihnen Hammerstein und Scharnhorst. Da man indeß von dem


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[0255] Achtzehnhundert. Dem verabredeten Plan zufolge eröffnet das Emigranten- Bataillon den Reigen, indem es aus dem Courtrayer Thor ausfällt, den Geluwe-Bach überschreitet, und die Vorstadt Brügge von Osten her angreift, während gleichzeitig die übrigen 3 Bataillone mit 18 Geschützen auf dem nächsten Wege durch die Barrieren des Brügger Thors ebenfalls auf die Vorstadt losstürmen. Der Angriff der Emigranten mißlingt zwar völlig, aber das Grenadier-Bataillon und das 1. Bataillon des 14. Regiments stellen das Gefecht wieder her, indem sie, unter Hammersteins Führung, ohne einen Schuß zu thun, die jenseit der Brücke stehende Halbbrigade Bandamme mit dem Bajonnet über den Haufen werfen; doch unmittelbar darauf werden sie von anderen überlegenen feindlichen Streitkräften, die Vandamme zu Hilfe eilen, in ein neues sehr ernsthaftes Gefecht verwickelt. Inzwischen will es das Unheil, daß die Geschütze sich am Thor ver¬ fahren und dadurch der Nachhut, dem 2. Bataillon des 14. Regiments, den Ausweg versperren. Zwar gelingt es Scharnhorst endlich den zusammenge¬ ballten Knäuel zu entwirren, die Geschütze neben der Straße aufzufahren und mit kräftigem Kartätschenfeuer den Angriff des Feindes abzuweisen. Aber schon ist die Brügger Vorstadt von den Franzosen dicht besetzt; sie mit dem noch übrigen einen Bataillon zu durchbrechen ist unmöglich; die anderen 3 Ba¬ taillone sind verschwunden, vermuthlich umzingelt und gefangen; wo nun für den Rest und die Geschütze einen Ausweg finden? Man versucht, eine südlich der Vorstadt gelegene Brücke zu benutzen; aber auch hier stößt man schon auf den Feind. Eine andere Brücke ist durch die Anstauung der Ge¬ luwe unter Wasser gesetzt; dessen ungeachtet aber gelangen zwei Geschütze glücklich hinüber, doch das dritte wird auf der Brücke umgeworfen und so ist auch dieser Uebergang wieder versperrt. Hammerstein, der nach dem ge¬ lungenen Angriff der Grenadiere auf die Halbbrigade Vandamme, als treuer Führer bei de» Nachhut zurückgeblieben, ist fest entschlossen, sich weder zu er¬ geben, noch auch sich wieder nach Menin hineindrängen zu lassen, sondern sein Leben so theuer wie möglich zu verkaufen und mit den Seinen ehren¬ voll kämpfend unterzugehen. An und in der Geluwe entspinnt sich nun ein Ringen der hellen Verzweiflung, Mann gegen Mann, ohne Quartier zu nehmen oder zu geben! Indeß gewinnen immer noch Einzelne das schützende Ufer des Baches, theils schwimmend, theils watend, theils von den Kamera¬ den hinübergezogen. Da endlich sendet der Himmel den Braven unverhoffte Rettung: ein Unteroffizier der Artillerie entdeckt nahe der Stadt eine dritte Brücke, die eigentlich von den Vertheidigern der Festung längst abgebrochen sein sollte. Eilends rettet sich durch dies letzte Schlupfloch der Rest der Geschütze und Leute, mit ihnen Hammerstein und Scharnhorst. Da man indeß von dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/255>, abgerufen am 22.12.2024.