Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tapferkeit der Mannschaft. In Menin schrieb inzwischen Generalmajor von
Hammerstein unter den ihm vorgelegten Capitulations-Entwurf den lakoni¬
scher Bescheid: "Ich kenne meine Pflicht und werde mich niemals ergeben!"
Er konnte den Ausgang des Gefechts von Mouscron, welches sich erst gegen
4 Uhr Nachmittags entschied, natürlich nicht kennen; hätte er ihn aber auch
vorhergesehen, so würde seine Entscheidung doch um keine Haaresbreite anders
ausgefallen sein, denn seine Bravheit und sein lebhaftes Ehrgefühl ließen ihm
überhaupt jede Uebergabe als feig und schimpflich erscheinen. Ueberdies verbot
ihm auch die Rücksicht auf die emigrirten Waffenbrüder in eine Capitulation
zu willigen; denn diese waren und blieben in den Augen des Convents
Landesverräther, und nur die Guillotine oder die Kugel konnte ihr
Loos sein, wenn sie den Franzosen in die Hände fielen, gleichviel, ob darin
eine schreiende Verletzung der Capitulation lag, oder nicht. Wenigstens war
die Geschichte der damaligen Kriege an ähnlichen Beispielen einer ehrlosen
Handlungsweise der revolutionären Machthaber schon so reich, daß in dieser
Beziehung kein Zweifel mehr obwalten durfte.

Kaum war der Parlamentär zu den französischen Reihen zurückgekehrt,
als die Beschießung der Stadt mit gesteigerter Heftigkeit und diesmal leider
auch mit durchgreifenden Erfolge wieder begann. Die Feuersbrünste mehrten
sich fort und fort und nach wenigen Stunden stand der größere Theil der Stadt in
hellen Flammen. Dem Brande Einhalt zu thun war unmöglich, da sich die
Bürger an den Löschversuchen gar nicht betheiligten und die letzten Kräfte
der ohnehin schon aufs äußerste erschöpften Besatzung nicht vollends diesen voraus¬
sichtlich doch fruchtlosen Anstrengungen geopfert werden durften. Schließlich
blieb auch die Einäscherung der halben Stadt für die unmittelbare Verthei¬
digung der Werke noch das kleinere Uebel; viel gefahrdrohender in dieser
Hinsicht war ein andrer Unfall, der sich im Laufe des Nachmittags ereignete.
Auf der Esplanade hatte man eine Anzahl Wagen aufgefahren, welche den
größten Theil der noch vorhandenen Munition enthielten. Gegen 5 Uhr
wurde einer dieser Wagen von einer Granate getroffen und in die Luft ge¬
sprengt. Der Feind, hierdurch aufmerksam gemacht, concentrirte nun sein
Feuer auf diesen Ort mit verdoppelter Energie und mit so unheilvollen Er¬
folg, daß binnen einer Viertelstunde noch 10 andere Munitionswagen in die
Lust flogen. In diesem Augenblick hing das Schicksal der braven Besatzung
an einem Haar; ein sofort unternommener Sturm würde ihr Verhängniß
entschieden haben. Schon begann die Haltung der Mannschaft ein hippokra-
tisches Gesicht zu zeigen; viermal 24 Stunden ohne Ruhe und Rast, fast un¬
ausgesetzt dem feindlichen Feuer preisgegeben, die Stadt in Flammen, die
Munition verloren, die Aussicht auf Entsatz abgeschnitten, nur Kriegsgefan¬
genschaft oder Tod vor sich -- dies Alles würde auch die moralische und


Tapferkeit der Mannschaft. In Menin schrieb inzwischen Generalmajor von
Hammerstein unter den ihm vorgelegten Capitulations-Entwurf den lakoni¬
scher Bescheid: „Ich kenne meine Pflicht und werde mich niemals ergeben!"
Er konnte den Ausgang des Gefechts von Mouscron, welches sich erst gegen
4 Uhr Nachmittags entschied, natürlich nicht kennen; hätte er ihn aber auch
vorhergesehen, so würde seine Entscheidung doch um keine Haaresbreite anders
ausgefallen sein, denn seine Bravheit und sein lebhaftes Ehrgefühl ließen ihm
überhaupt jede Uebergabe als feig und schimpflich erscheinen. Ueberdies verbot
ihm auch die Rücksicht auf die emigrirten Waffenbrüder in eine Capitulation
zu willigen; denn diese waren und blieben in den Augen des Convents
Landesverräther, und nur die Guillotine oder die Kugel konnte ihr
Loos sein, wenn sie den Franzosen in die Hände fielen, gleichviel, ob darin
eine schreiende Verletzung der Capitulation lag, oder nicht. Wenigstens war
die Geschichte der damaligen Kriege an ähnlichen Beispielen einer ehrlosen
Handlungsweise der revolutionären Machthaber schon so reich, daß in dieser
Beziehung kein Zweifel mehr obwalten durfte.

Kaum war der Parlamentär zu den französischen Reihen zurückgekehrt,
als die Beschießung der Stadt mit gesteigerter Heftigkeit und diesmal leider
auch mit durchgreifenden Erfolge wieder begann. Die Feuersbrünste mehrten
sich fort und fort und nach wenigen Stunden stand der größere Theil der Stadt in
hellen Flammen. Dem Brande Einhalt zu thun war unmöglich, da sich die
Bürger an den Löschversuchen gar nicht betheiligten und die letzten Kräfte
der ohnehin schon aufs äußerste erschöpften Besatzung nicht vollends diesen voraus¬
sichtlich doch fruchtlosen Anstrengungen geopfert werden durften. Schließlich
blieb auch die Einäscherung der halben Stadt für die unmittelbare Verthei¬
digung der Werke noch das kleinere Uebel; viel gefahrdrohender in dieser
Hinsicht war ein andrer Unfall, der sich im Laufe des Nachmittags ereignete.
Auf der Esplanade hatte man eine Anzahl Wagen aufgefahren, welche den
größten Theil der noch vorhandenen Munition enthielten. Gegen 5 Uhr
wurde einer dieser Wagen von einer Granate getroffen und in die Luft ge¬
sprengt. Der Feind, hierdurch aufmerksam gemacht, concentrirte nun sein
Feuer auf diesen Ort mit verdoppelter Energie und mit so unheilvollen Er¬
folg, daß binnen einer Viertelstunde noch 10 andere Munitionswagen in die
Lust flogen. In diesem Augenblick hing das Schicksal der braven Besatzung
an einem Haar; ein sofort unternommener Sturm würde ihr Verhängniß
entschieden haben. Schon begann die Haltung der Mannschaft ein hippokra-
tisches Gesicht zu zeigen; viermal 24 Stunden ohne Ruhe und Rast, fast un¬
ausgesetzt dem feindlichen Feuer preisgegeben, die Stadt in Flammen, die
Munition verloren, die Aussicht auf Entsatz abgeschnitten, nur Kriegsgefan¬
genschaft oder Tod vor sich — dies Alles würde auch die moralische und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124959"/>
          <p xml:id="ID_782" prev="#ID_781"> Tapferkeit der Mannschaft. In Menin schrieb inzwischen Generalmajor von<lb/>
Hammerstein unter den ihm vorgelegten Capitulations-Entwurf den lakoni¬<lb/>
scher Bescheid: &#x201E;Ich kenne meine Pflicht und werde mich niemals ergeben!"<lb/>
Er konnte den Ausgang des Gefechts von Mouscron, welches sich erst gegen<lb/>
4 Uhr Nachmittags entschied, natürlich nicht kennen; hätte er ihn aber auch<lb/>
vorhergesehen, so würde seine Entscheidung doch um keine Haaresbreite anders<lb/>
ausgefallen sein, denn seine Bravheit und sein lebhaftes Ehrgefühl ließen ihm<lb/>
überhaupt jede Uebergabe als feig und schimpflich erscheinen. Ueberdies verbot<lb/>
ihm auch die Rücksicht auf die emigrirten Waffenbrüder in eine Capitulation<lb/>
zu willigen; denn diese waren und blieben in den Augen des Convents<lb/>
Landesverräther, und nur die Guillotine oder die Kugel konnte ihr<lb/>
Loos sein, wenn sie den Franzosen in die Hände fielen, gleichviel, ob darin<lb/>
eine schreiende Verletzung der Capitulation lag, oder nicht. Wenigstens war<lb/>
die Geschichte der damaligen Kriege an ähnlichen Beispielen einer ehrlosen<lb/>
Handlungsweise der revolutionären Machthaber schon so reich, daß in dieser<lb/>
Beziehung kein Zweifel mehr obwalten durfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_783" next="#ID_784"> Kaum war der Parlamentär zu den französischen Reihen zurückgekehrt,<lb/>
als die Beschießung der Stadt mit gesteigerter Heftigkeit und diesmal leider<lb/>
auch mit durchgreifenden Erfolge wieder begann. Die Feuersbrünste mehrten<lb/>
sich fort und fort und nach wenigen Stunden stand der größere Theil der Stadt in<lb/>
hellen Flammen. Dem Brande Einhalt zu thun war unmöglich, da sich die<lb/>
Bürger an den Löschversuchen gar nicht betheiligten und die letzten Kräfte<lb/>
der ohnehin schon aufs äußerste erschöpften Besatzung nicht vollends diesen voraus¬<lb/>
sichtlich doch fruchtlosen Anstrengungen geopfert werden durften. Schließlich<lb/>
blieb auch die Einäscherung der halben Stadt für die unmittelbare Verthei¬<lb/>
digung der Werke noch das kleinere Uebel; viel gefahrdrohender in dieser<lb/>
Hinsicht war ein andrer Unfall, der sich im Laufe des Nachmittags ereignete.<lb/>
Auf der Esplanade hatte man eine Anzahl Wagen aufgefahren, welche den<lb/>
größten Theil der noch vorhandenen Munition enthielten. Gegen 5 Uhr<lb/>
wurde einer dieser Wagen von einer Granate getroffen und in die Luft ge¬<lb/>
sprengt. Der Feind, hierdurch aufmerksam gemacht, concentrirte nun sein<lb/>
Feuer auf diesen Ort mit verdoppelter Energie und mit so unheilvollen Er¬<lb/>
folg, daß binnen einer Viertelstunde noch 10 andere Munitionswagen in die<lb/>
Lust flogen. In diesem Augenblick hing das Schicksal der braven Besatzung<lb/>
an einem Haar; ein sofort unternommener Sturm würde ihr Verhängniß<lb/>
entschieden haben. Schon begann die Haltung der Mannschaft ein hippokra-<lb/>
tisches Gesicht zu zeigen; viermal 24 Stunden ohne Ruhe und Rast, fast un¬<lb/>
ausgesetzt dem feindlichen Feuer preisgegeben, die Stadt in Flammen, die<lb/>
Munition verloren, die Aussicht auf Entsatz abgeschnitten, nur Kriegsgefan¬<lb/>
genschaft oder Tod vor sich &#x2014; dies Alles würde auch die moralische und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Tapferkeit der Mannschaft. In Menin schrieb inzwischen Generalmajor von Hammerstein unter den ihm vorgelegten Capitulations-Entwurf den lakoni¬ scher Bescheid: „Ich kenne meine Pflicht und werde mich niemals ergeben!" Er konnte den Ausgang des Gefechts von Mouscron, welches sich erst gegen 4 Uhr Nachmittags entschied, natürlich nicht kennen; hätte er ihn aber auch vorhergesehen, so würde seine Entscheidung doch um keine Haaresbreite anders ausgefallen sein, denn seine Bravheit und sein lebhaftes Ehrgefühl ließen ihm überhaupt jede Uebergabe als feig und schimpflich erscheinen. Ueberdies verbot ihm auch die Rücksicht auf die emigrirten Waffenbrüder in eine Capitulation zu willigen; denn diese waren und blieben in den Augen des Convents Landesverräther, und nur die Guillotine oder die Kugel konnte ihr Loos sein, wenn sie den Franzosen in die Hände fielen, gleichviel, ob darin eine schreiende Verletzung der Capitulation lag, oder nicht. Wenigstens war die Geschichte der damaligen Kriege an ähnlichen Beispielen einer ehrlosen Handlungsweise der revolutionären Machthaber schon so reich, daß in dieser Beziehung kein Zweifel mehr obwalten durfte. Kaum war der Parlamentär zu den französischen Reihen zurückgekehrt, als die Beschießung der Stadt mit gesteigerter Heftigkeit und diesmal leider auch mit durchgreifenden Erfolge wieder begann. Die Feuersbrünste mehrten sich fort und fort und nach wenigen Stunden stand der größere Theil der Stadt in hellen Flammen. Dem Brande Einhalt zu thun war unmöglich, da sich die Bürger an den Löschversuchen gar nicht betheiligten und die letzten Kräfte der ohnehin schon aufs äußerste erschöpften Besatzung nicht vollends diesen voraus¬ sichtlich doch fruchtlosen Anstrengungen geopfert werden durften. Schließlich blieb auch die Einäscherung der halben Stadt für die unmittelbare Verthei¬ digung der Werke noch das kleinere Uebel; viel gefahrdrohender in dieser Hinsicht war ein andrer Unfall, der sich im Laufe des Nachmittags ereignete. Auf der Esplanade hatte man eine Anzahl Wagen aufgefahren, welche den größten Theil der noch vorhandenen Munition enthielten. Gegen 5 Uhr wurde einer dieser Wagen von einer Granate getroffen und in die Luft ge¬ sprengt. Der Feind, hierdurch aufmerksam gemacht, concentrirte nun sein Feuer auf diesen Ort mit verdoppelter Energie und mit so unheilvollen Er¬ folg, daß binnen einer Viertelstunde noch 10 andere Munitionswagen in die Lust flogen. In diesem Augenblick hing das Schicksal der braven Besatzung an einem Haar; ein sofort unternommener Sturm würde ihr Verhängniß entschieden haben. Schon begann die Haltung der Mannschaft ein hippokra- tisches Gesicht zu zeigen; viermal 24 Stunden ohne Ruhe und Rast, fast un¬ ausgesetzt dem feindlichen Feuer preisgegeben, die Stadt in Flammen, die Munition verloren, die Aussicht auf Entsatz abgeschnitten, nur Kriegsgefan¬ genschaft oder Tod vor sich — dies Alles würde auch die moralische und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/253>, abgerufen am 23.12.2024.