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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wenn sie sich bis zum 29. hielte, dann Ersatz zu bringen; aber auch diese
Aussicht bot nur sehr geringe Chancen, denn sie beruhte natürlich auf der
Voraussetzung eines siegreichen Gefechts, wofür bet der Ueberlegenheit und
dem energischen Vorgehen der Franzosen kaum einige Wahrscheinlichkeit sprach.

Nachdem der Feind schon am 26. alle Vortruppen in die Festung zurück¬
geworfen und die Sprengung der Lysbrücke erzwungen hatte, vollendete er
am nächsten Tage die Einschließung und begann sogleich ein schwaches Bom¬
bardement, welches er die folgende Nacht hindurch fortsetzte. Es entstanden
dadurch einige Brände, die leicht eine gefährliche Ausdehnung hätten gewin¬
nen können, da die geängsteten Bürger durch nichts zu bewegen waren, die
sichere Zuflucht ihrer Keller zu verlassen und bei dem Löschen hilfreiche Hand
anzulegen. Noch gelang es indeß den Anstrengungen der Besatzung, Dank
der herrschenden Windstille und der soliden Bauart der Häuser, die Feuers¬
brunst zu bewältigen, oder doch in möglichst enge Grenzen zu bannen.

Bisher hatte man mit Rücksicht aus den geringen Munitionsvorrath
das feindliche Feuer fast garnicht beantwortet; diese anscheinende Verzagtheit
machte aber den Gegner kühner und kühner und am Vormittag des 28.
drangen bereits dichte Schwärme französischer Schützen über die nächsten
Felder, deren tiefe Ackerfurchen ihnen bedeutenden Schutz gewährten, in den
Hauptgraben der Nordfronte ein. Da plötzlich mit einem Schlage hüllen sich
die Wälle der Festung ringsum in Wolken weißen Pulverdampfes, den
Blitze durchzucken, und dröhnend ergießt sich ein vernichtender Hagel von
Fltntenkugeln und Kartätschen aus nächster Nähe auf die bestürzten Fran¬
zosen, die eiligsten Laufes in wirren Schaaren davonfliehen und nicht einmal
ihre Geschütze in Sicherheit zu bringen wagen. Betäubender Hurrahruf der
tapferen Besatzung folgt ihrer wilden Flucht und kaum lassen sich die braven
Hannoveraner durch den mahnenden Zuruf der besonneneren Führer abhal¬
ten, ihnen nachzueilen und die zurückgelassenen feindlichen Kanonen als Sie¬
gestrophäen fortzuführen. Die Bestürzung der Franzosen war so groß, daß
sie am Nachmittage das Feuergefecht nur noch aus bescheidener Ferne zu
führen wagten. Um so sicherer aber erwartet man für die nächste Nacht den
Sturm; General Hammerstein eilt selbst von Werk zu Werk und feuert die
Mannschaft mit kurzen, kernigen Worten an, eher zu sterben, als vom Fleck
zu weichen. Alle erwidern die Ansprache des verehrten Führers mit begei¬
stertem Gelöbniß.

Die Nacht verfloß indeß ziemlich ruhig; der Feind warf nur wenige
Brandgeschosse, welche die Feuersbrünste in der Stadt nicht vermehrten. Da¬
gegen brachte das Morgenlicht des 29. den Belagerten erneute und gestei¬
gerte Bedrängnisse. Wieder füllten sich die umliegenden Felder mit dichten
Schützenschwärmen und wieder fuhr der Feind an mehreren Stellen eine be-


wenn sie sich bis zum 29. hielte, dann Ersatz zu bringen; aber auch diese
Aussicht bot nur sehr geringe Chancen, denn sie beruhte natürlich auf der
Voraussetzung eines siegreichen Gefechts, wofür bet der Ueberlegenheit und
dem energischen Vorgehen der Franzosen kaum einige Wahrscheinlichkeit sprach.

Nachdem der Feind schon am 26. alle Vortruppen in die Festung zurück¬
geworfen und die Sprengung der Lysbrücke erzwungen hatte, vollendete er
am nächsten Tage die Einschließung und begann sogleich ein schwaches Bom¬
bardement, welches er die folgende Nacht hindurch fortsetzte. Es entstanden
dadurch einige Brände, die leicht eine gefährliche Ausdehnung hätten gewin¬
nen können, da die geängsteten Bürger durch nichts zu bewegen waren, die
sichere Zuflucht ihrer Keller zu verlassen und bei dem Löschen hilfreiche Hand
anzulegen. Noch gelang es indeß den Anstrengungen der Besatzung, Dank
der herrschenden Windstille und der soliden Bauart der Häuser, die Feuers¬
brunst zu bewältigen, oder doch in möglichst enge Grenzen zu bannen.

Bisher hatte man mit Rücksicht aus den geringen Munitionsvorrath
das feindliche Feuer fast garnicht beantwortet; diese anscheinende Verzagtheit
machte aber den Gegner kühner und kühner und am Vormittag des 28.
drangen bereits dichte Schwärme französischer Schützen über die nächsten
Felder, deren tiefe Ackerfurchen ihnen bedeutenden Schutz gewährten, in den
Hauptgraben der Nordfronte ein. Da plötzlich mit einem Schlage hüllen sich
die Wälle der Festung ringsum in Wolken weißen Pulverdampfes, den
Blitze durchzucken, und dröhnend ergießt sich ein vernichtender Hagel von
Fltntenkugeln und Kartätschen aus nächster Nähe auf die bestürzten Fran¬
zosen, die eiligsten Laufes in wirren Schaaren davonfliehen und nicht einmal
ihre Geschütze in Sicherheit zu bringen wagen. Betäubender Hurrahruf der
tapferen Besatzung folgt ihrer wilden Flucht und kaum lassen sich die braven
Hannoveraner durch den mahnenden Zuruf der besonneneren Führer abhal¬
ten, ihnen nachzueilen und die zurückgelassenen feindlichen Kanonen als Sie¬
gestrophäen fortzuführen. Die Bestürzung der Franzosen war so groß, daß
sie am Nachmittage das Feuergefecht nur noch aus bescheidener Ferne zu
führen wagten. Um so sicherer aber erwartet man für die nächste Nacht den
Sturm; General Hammerstein eilt selbst von Werk zu Werk und feuert die
Mannschaft mit kurzen, kernigen Worten an, eher zu sterben, als vom Fleck
zu weichen. Alle erwidern die Ansprache des verehrten Führers mit begei¬
stertem Gelöbniß.

Die Nacht verfloß indeß ziemlich ruhig; der Feind warf nur wenige
Brandgeschosse, welche die Feuersbrünste in der Stadt nicht vermehrten. Da¬
gegen brachte das Morgenlicht des 29. den Belagerten erneute und gestei¬
gerte Bedrängnisse. Wieder füllten sich die umliegenden Felder mit dichten
Schützenschwärmen und wieder fuhr der Feind an mehreren Stellen eine be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/251>, abgerufen am 22.12.2024.