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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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in solchen Dingen nicht den mindesten Spaß. Zwar der fahnenflüchtigen,
zerstreuten Truppen habhaft zu werden, war in den meisten Fällen ein Ding
der Unmöglichkeit. Desto sicherer und erbarmungsloser aber hielt man sich
an die commandirenden Offiziere. In dem einzigen Jahre 1793 büßten nicht
weniger als 4 Generäle (Custine. Houchard, Hedouville und Landrin) die
Mißgunst der launischen Kriegsgöttin unter dem Fallbeil, ein fünfter, Dam¬
pierre, entging diesem Schicksal nur durch seinen Heldentod unter den Mauern
von Conde' und ein sechster, Dumouriez, durch schmähliche Flucht in das
Lager des Feindes. Pichegru, der inzwischen zum Oberfeldherrn der Nord¬
armee ernannt worden war, zog es deshalb in gerechter Besorgniß um sei¬
nen Kopf vor, den Feldzug von 1794 mit einem verzweifelten Vorstoß gegen
die alliirte Hauptmacht zu eröffnen und Alles auf diese eine Karte zu setzen.
Blitzschnell stürzte er sich mit überlegenen Kräften auf die vereinzelten Ab¬
theilungen des Gegners, erstürmte Courtray. schlug die Hannoveraner unter
Wangenheim bet Mouscron und schloß die kleine Festung Menin ein.

Menin oder Meeren, auf der Grenze von Westflandern und Frankreich
am Ufer der Lys gelegen, bildete einst ein mächtiges Glied in dem granitnen
Gürtel, mit dem Vauban's Genie die französische Nordgrenze umgeben hatte.
Die ursprünglich meisterhaft angelegten Festungswerke waren indeß unter
der östreichischen Herrschaft dermaßen vernachlässigt, zum Theil sogar mit Ab¬
sicht zerstört worden, daß sie, nur noch ein trauriger Schatten früherer Größe,
dem stürmenden Feinde an vielen Stellen kaum noch ein wesentliches Hin>
derniß darboten. Die Besatzung bestand nur aus drei hannöverschen Jnfan-
teriebataillonen und einem Bataillon französischer Emigranten, zusammen
kaum 2000 Mann, mit einem Häuflein Cavalerie und 28 Geschützen. Be¬
fehlshaber war der General von Hammerstein, ein Mann von erprobtester,
unerschütterlicher Tapferkeit, dem als Stabschef der Artilleriecapitain Scharn-
horst zur Seite stand. An Munition und Mundvorrath herrschte entschie¬
dener Mangel, doch der treffliche Geist der Mannschaft ließ sich weder da¬
durch, noch durch die Aussicht auf einen verzweifelten Kampf gegen vielfache
Uebermacht einschüchtern.

Im Morgengrauen des 26. April trug bereits der Wind den dumpfen
Schall des Gewehrfeuers von dem unglücklichen Gefecht bei Mouscron her¬
über und wenig später sah man vom Kirchthurm aus, wie die französische
Division Souham das benachbarte Courtray mit Sturm nahm. Eine der
schärfsten Proben in der That für soldatische Standhaftigkeit, die furchtbare
Bedrängniß der Waffenbrüder mitansehen zu müssen und ihnen doch die heiß
ersehnte Hilfe nicht bringen zu dürfen! Ueberdies wußte man nur zu wohl,
daß die Niederlage der Freunde alle Hoffnung auf Beistand von außen ab¬
schnitt. Zwar hatte der östreichische General Clairfcut zugesagt, der Stadt,


in solchen Dingen nicht den mindesten Spaß. Zwar der fahnenflüchtigen,
zerstreuten Truppen habhaft zu werden, war in den meisten Fällen ein Ding
der Unmöglichkeit. Desto sicherer und erbarmungsloser aber hielt man sich
an die commandirenden Offiziere. In dem einzigen Jahre 1793 büßten nicht
weniger als 4 Generäle (Custine. Houchard, Hedouville und Landrin) die
Mißgunst der launischen Kriegsgöttin unter dem Fallbeil, ein fünfter, Dam¬
pierre, entging diesem Schicksal nur durch seinen Heldentod unter den Mauern
von Conde' und ein sechster, Dumouriez, durch schmähliche Flucht in das
Lager des Feindes. Pichegru, der inzwischen zum Oberfeldherrn der Nord¬
armee ernannt worden war, zog es deshalb in gerechter Besorgniß um sei¬
nen Kopf vor, den Feldzug von 1794 mit einem verzweifelten Vorstoß gegen
die alliirte Hauptmacht zu eröffnen und Alles auf diese eine Karte zu setzen.
Blitzschnell stürzte er sich mit überlegenen Kräften auf die vereinzelten Ab¬
theilungen des Gegners, erstürmte Courtray. schlug die Hannoveraner unter
Wangenheim bet Mouscron und schloß die kleine Festung Menin ein.

Menin oder Meeren, auf der Grenze von Westflandern und Frankreich
am Ufer der Lys gelegen, bildete einst ein mächtiges Glied in dem granitnen
Gürtel, mit dem Vauban's Genie die französische Nordgrenze umgeben hatte.
Die ursprünglich meisterhaft angelegten Festungswerke waren indeß unter
der östreichischen Herrschaft dermaßen vernachlässigt, zum Theil sogar mit Ab¬
sicht zerstört worden, daß sie, nur noch ein trauriger Schatten früherer Größe,
dem stürmenden Feinde an vielen Stellen kaum noch ein wesentliches Hin>
derniß darboten. Die Besatzung bestand nur aus drei hannöverschen Jnfan-
teriebataillonen und einem Bataillon französischer Emigranten, zusammen
kaum 2000 Mann, mit einem Häuflein Cavalerie und 28 Geschützen. Be¬
fehlshaber war der General von Hammerstein, ein Mann von erprobtester,
unerschütterlicher Tapferkeit, dem als Stabschef der Artilleriecapitain Scharn-
horst zur Seite stand. An Munition und Mundvorrath herrschte entschie¬
dener Mangel, doch der treffliche Geist der Mannschaft ließ sich weder da¬
durch, noch durch die Aussicht auf einen verzweifelten Kampf gegen vielfache
Uebermacht einschüchtern.

Im Morgengrauen des 26. April trug bereits der Wind den dumpfen
Schall des Gewehrfeuers von dem unglücklichen Gefecht bei Mouscron her¬
über und wenig später sah man vom Kirchthurm aus, wie die französische
Division Souham das benachbarte Courtray mit Sturm nahm. Eine der
schärfsten Proben in der That für soldatische Standhaftigkeit, die furchtbare
Bedrängniß der Waffenbrüder mitansehen zu müssen und ihnen doch die heiß
ersehnte Hilfe nicht bringen zu dürfen! Ueberdies wußte man nur zu wohl,
daß die Niederlage der Freunde alle Hoffnung auf Beistand von außen ab¬
schnitt. Zwar hatte der östreichische General Clairfcut zugesagt, der Stadt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/250>, abgerufen am 22.12.2024.