Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

würfen aufzählen, die theils ausgearbeitet theils in der Vorbereitung begriffen,
theils wenigstens beabsichtigt seien, so daß dem Landtag arbeitvolle, lange
Monde in Aussicht standen. Aber ein leichteres Dasein sollte ihm beschicken
sein. Wer sich heute seine zweijährige Geschichte vergegenwärtigt, der erschrickt
über die Dürftigkeit seiner Ergebnisse. Er hat in kurzer Zeit verhältni߬
mäßig viel geredet, aber Geschäfte zu erledigen war nicht seine Sache. Dazu
hatte er offenbar keine Zeit und vor allem keine Lust. Denn anstatt der
trockenen Details der Landesgesetzgebung reizten ihn die interessanteren The¬
mata der höheren Politik, so z. B. die Nordbundverfassung, deren mitleid¬
würdige Blößen der Kritik schwäbischer Freiheitsmänner unerschöpflichen
Stoff boten, das Werk von 1866, das nun endlich einmal aus der Welt
geschafft werden sollte, der va-sus losäoris, dieses dankbare Problem für den
Scharfsinn politischer Dilettanten, und dann der Lindwurm des Militarismus,
der in Folge des Allianzvetrags und des neuen Kriegsdienstgesetzes in das
Land eingebrochen war, und gegen den nun die Nachkommen jener 7 berühmten
Helden mit vereinten Kräften ins Feld zogen. Mit derlei Dingen pflegte
sich der Landtag am liebsten die Zeit zu vertreiben, und das verdroß offenbar
die Regierung, denn sie berief ihn nur noch, wenn sie ihn absolut brauchte,
zu den Erfordernissen des nationalen Kriegs.

Als die Kammer ihre erste Sesston im December 1868 mit der gro߬
artig in Scene gesetzten Adreßdebatte ausfüllte, deren Resultat die Verwerfung
sämmtlicher Anträge, also Null war, konnte man kaum voraussehen, daß eben
dieses Resultat die Signatur für den ganzen Landtag sein werde. Bevor
sie damals entlassen wurden, bekamen die Commissionen eine Fülle von Gesetz¬
entwürfen und sonstigem werthvollen Material mit, welches sie zu einer
eigenen Gesetzgebungssession verarbeiten sollten. Die Vertagung sollte eben
nur so lange dauern bis die Commissionen durch die mannigfaltigen Berichte
von Referenten und Correferenten, General- und Speclalreferenten für eine
hinreichende Beschäftigung des Plenums gesorgt hätten. Allein das
ganze Jahr 1869 ging hin, ohne daß der Landtag berufen wurde,
trotzdem daß jene Gesetze zum Theil allmählich ziemlich dringlich wurden.
Die Abgeordneten schoben die, Schuld auf die Negierung. die Negie¬
rung auf die Commissionen. Rief die Opposition: ihr wollt die Stimme
des Volks nicht hören, so entgegnete die Regierung, daß sie nur durch die
absolute Unthätigkeit der Berichterstatter, die noch nichts vorbereitet hätten,
an der Berufung des Landtags verhindert sei. Offenbar war dieser Vorwurf
nicht aus der Luft gegriffen, denn erst im Beginn des Jahres 1870 traten
etliche Commissionen zusammen, um -- zwar nicht die größeren und wichti¬
geren Gesetzentwürfe, wie z. B. die Steuerreform, wohl aber einige kleinere
Dinge, wie die neue Maß- und Gewichtsordnung, oder ein Gesetz, wegen


würfen aufzählen, die theils ausgearbeitet theils in der Vorbereitung begriffen,
theils wenigstens beabsichtigt seien, so daß dem Landtag arbeitvolle, lange
Monde in Aussicht standen. Aber ein leichteres Dasein sollte ihm beschicken
sein. Wer sich heute seine zweijährige Geschichte vergegenwärtigt, der erschrickt
über die Dürftigkeit seiner Ergebnisse. Er hat in kurzer Zeit verhältni߬
mäßig viel geredet, aber Geschäfte zu erledigen war nicht seine Sache. Dazu
hatte er offenbar keine Zeit und vor allem keine Lust. Denn anstatt der
trockenen Details der Landesgesetzgebung reizten ihn die interessanteren The¬
mata der höheren Politik, so z. B. die Nordbundverfassung, deren mitleid¬
würdige Blößen der Kritik schwäbischer Freiheitsmänner unerschöpflichen
Stoff boten, das Werk von 1866, das nun endlich einmal aus der Welt
geschafft werden sollte, der va-sus losäoris, dieses dankbare Problem für den
Scharfsinn politischer Dilettanten, und dann der Lindwurm des Militarismus,
der in Folge des Allianzvetrags und des neuen Kriegsdienstgesetzes in das
Land eingebrochen war, und gegen den nun die Nachkommen jener 7 berühmten
Helden mit vereinten Kräften ins Feld zogen. Mit derlei Dingen pflegte
sich der Landtag am liebsten die Zeit zu vertreiben, und das verdroß offenbar
die Regierung, denn sie berief ihn nur noch, wenn sie ihn absolut brauchte,
zu den Erfordernissen des nationalen Kriegs.

Als die Kammer ihre erste Sesston im December 1868 mit der gro߬
artig in Scene gesetzten Adreßdebatte ausfüllte, deren Resultat die Verwerfung
sämmtlicher Anträge, also Null war, konnte man kaum voraussehen, daß eben
dieses Resultat die Signatur für den ganzen Landtag sein werde. Bevor
sie damals entlassen wurden, bekamen die Commissionen eine Fülle von Gesetz¬
entwürfen und sonstigem werthvollen Material mit, welches sie zu einer
eigenen Gesetzgebungssession verarbeiten sollten. Die Vertagung sollte eben
nur so lange dauern bis die Commissionen durch die mannigfaltigen Berichte
von Referenten und Correferenten, General- und Speclalreferenten für eine
hinreichende Beschäftigung des Plenums gesorgt hätten. Allein das
ganze Jahr 1869 ging hin, ohne daß der Landtag berufen wurde,
trotzdem daß jene Gesetze zum Theil allmählich ziemlich dringlich wurden.
Die Abgeordneten schoben die, Schuld auf die Negierung. die Negie¬
rung auf die Commissionen. Rief die Opposition: ihr wollt die Stimme
des Volks nicht hören, so entgegnete die Regierung, daß sie nur durch die
absolute Unthätigkeit der Berichterstatter, die noch nichts vorbereitet hätten,
an der Berufung des Landtags verhindert sei. Offenbar war dieser Vorwurf
nicht aus der Luft gegriffen, denn erst im Beginn des Jahres 1870 traten
etliche Commissionen zusammen, um — zwar nicht die größeren und wichti¬
geren Gesetzentwürfe, wie z. B. die Steuerreform, wohl aber einige kleinere
Dinge, wie die neue Maß- und Gewichtsordnung, oder ein Gesetz, wegen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124942"/>
          <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> würfen aufzählen, die theils ausgearbeitet theils in der Vorbereitung begriffen,<lb/>
theils wenigstens beabsichtigt seien, so daß dem Landtag arbeitvolle, lange<lb/>
Monde in Aussicht standen. Aber ein leichteres Dasein sollte ihm beschicken<lb/>
sein. Wer sich heute seine zweijährige Geschichte vergegenwärtigt, der erschrickt<lb/>
über die Dürftigkeit seiner Ergebnisse. Er hat in kurzer Zeit verhältni߬<lb/>
mäßig viel geredet, aber Geschäfte zu erledigen war nicht seine Sache. Dazu<lb/>
hatte er offenbar keine Zeit und vor allem keine Lust. Denn anstatt der<lb/>
trockenen Details der Landesgesetzgebung reizten ihn die interessanteren The¬<lb/>
mata der höheren Politik, so z. B. die Nordbundverfassung, deren mitleid¬<lb/>
würdige Blößen der Kritik schwäbischer Freiheitsmänner unerschöpflichen<lb/>
Stoff boten, das Werk von 1866, das nun endlich einmal aus der Welt<lb/>
geschafft werden sollte, der va-sus losäoris, dieses dankbare Problem für den<lb/>
Scharfsinn politischer Dilettanten, und dann der Lindwurm des Militarismus,<lb/>
der in Folge des Allianzvetrags und des neuen Kriegsdienstgesetzes in das<lb/>
Land eingebrochen war, und gegen den nun die Nachkommen jener 7 berühmten<lb/>
Helden mit vereinten Kräften ins Feld zogen. Mit derlei Dingen pflegte<lb/>
sich der Landtag am liebsten die Zeit zu vertreiben, und das verdroß offenbar<lb/>
die Regierung, denn sie berief ihn nur noch, wenn sie ihn absolut brauchte,<lb/>
zu den Erfordernissen des nationalen Kriegs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_718" next="#ID_719"> Als die Kammer ihre erste Sesston im December 1868 mit der gro߬<lb/>
artig in Scene gesetzten Adreßdebatte ausfüllte, deren Resultat die Verwerfung<lb/>
sämmtlicher Anträge, also Null war, konnte man kaum voraussehen, daß eben<lb/>
dieses Resultat die Signatur für den ganzen Landtag sein werde. Bevor<lb/>
sie damals entlassen wurden, bekamen die Commissionen eine Fülle von Gesetz¬<lb/>
entwürfen und sonstigem werthvollen Material mit, welches sie zu einer<lb/>
eigenen Gesetzgebungssession verarbeiten sollten. Die Vertagung sollte eben<lb/>
nur so lange dauern bis die Commissionen durch die mannigfaltigen Berichte<lb/>
von Referenten und Correferenten, General- und Speclalreferenten für eine<lb/>
hinreichende Beschäftigung des Plenums gesorgt hätten. Allein das<lb/>
ganze Jahr 1869 ging hin, ohne daß der Landtag berufen wurde,<lb/>
trotzdem daß jene Gesetze zum Theil allmählich ziemlich dringlich wurden.<lb/>
Die Abgeordneten schoben die, Schuld auf die Negierung. die Negie¬<lb/>
rung auf die Commissionen. Rief die Opposition: ihr wollt die Stimme<lb/>
des Volks nicht hören, so entgegnete die Regierung, daß sie nur durch die<lb/>
absolute Unthätigkeit der Berichterstatter, die noch nichts vorbereitet hätten,<lb/>
an der Berufung des Landtags verhindert sei. Offenbar war dieser Vorwurf<lb/>
nicht aus der Luft gegriffen, denn erst im Beginn des Jahres 1870 traten<lb/>
etliche Commissionen zusammen, um &#x2014; zwar nicht die größeren und wichti¬<lb/>
geren Gesetzentwürfe, wie z. B. die Steuerreform, wohl aber einige kleinere<lb/>
Dinge, wie die neue Maß- und Gewichtsordnung, oder ein Gesetz, wegen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] würfen aufzählen, die theils ausgearbeitet theils in der Vorbereitung begriffen, theils wenigstens beabsichtigt seien, so daß dem Landtag arbeitvolle, lange Monde in Aussicht standen. Aber ein leichteres Dasein sollte ihm beschicken sein. Wer sich heute seine zweijährige Geschichte vergegenwärtigt, der erschrickt über die Dürftigkeit seiner Ergebnisse. Er hat in kurzer Zeit verhältni߬ mäßig viel geredet, aber Geschäfte zu erledigen war nicht seine Sache. Dazu hatte er offenbar keine Zeit und vor allem keine Lust. Denn anstatt der trockenen Details der Landesgesetzgebung reizten ihn die interessanteren The¬ mata der höheren Politik, so z. B. die Nordbundverfassung, deren mitleid¬ würdige Blößen der Kritik schwäbischer Freiheitsmänner unerschöpflichen Stoff boten, das Werk von 1866, das nun endlich einmal aus der Welt geschafft werden sollte, der va-sus losäoris, dieses dankbare Problem für den Scharfsinn politischer Dilettanten, und dann der Lindwurm des Militarismus, der in Folge des Allianzvetrags und des neuen Kriegsdienstgesetzes in das Land eingebrochen war, und gegen den nun die Nachkommen jener 7 berühmten Helden mit vereinten Kräften ins Feld zogen. Mit derlei Dingen pflegte sich der Landtag am liebsten die Zeit zu vertreiben, und das verdroß offenbar die Regierung, denn sie berief ihn nur noch, wenn sie ihn absolut brauchte, zu den Erfordernissen des nationalen Kriegs. Als die Kammer ihre erste Sesston im December 1868 mit der gro߬ artig in Scene gesetzten Adreßdebatte ausfüllte, deren Resultat die Verwerfung sämmtlicher Anträge, also Null war, konnte man kaum voraussehen, daß eben dieses Resultat die Signatur für den ganzen Landtag sein werde. Bevor sie damals entlassen wurden, bekamen die Commissionen eine Fülle von Gesetz¬ entwürfen und sonstigem werthvollen Material mit, welches sie zu einer eigenen Gesetzgebungssession verarbeiten sollten. Die Vertagung sollte eben nur so lange dauern bis die Commissionen durch die mannigfaltigen Berichte von Referenten und Correferenten, General- und Speclalreferenten für eine hinreichende Beschäftigung des Plenums gesorgt hätten. Allein das ganze Jahr 1869 ging hin, ohne daß der Landtag berufen wurde, trotzdem daß jene Gesetze zum Theil allmählich ziemlich dringlich wurden. Die Abgeordneten schoben die, Schuld auf die Negierung. die Negie¬ rung auf die Commissionen. Rief die Opposition: ihr wollt die Stimme des Volks nicht hören, so entgegnete die Regierung, daß sie nur durch die absolute Unthätigkeit der Berichterstatter, die noch nichts vorbereitet hätten, an der Berufung des Landtags verhindert sei. Offenbar war dieser Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen, denn erst im Beginn des Jahres 1870 traten etliche Commissionen zusammen, um — zwar nicht die größeren und wichti¬ geren Gesetzentwürfe, wie z. B. die Steuerreform, wohl aber einige kleinere Dinge, wie die neue Maß- und Gewichtsordnung, oder ein Gesetz, wegen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/236>, abgerufen am 22.12.2024.