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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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schwärmen oder viel Honig bekommen. Besonders waren die Weiber, als
wenn sie besessen wären. Ich dachte, sie würden nicht mehr für sich einstehen
können, und wenn sie auch keinen Aufruhr im Großen anfingen, so würden
sie doch hier und da im Kleinen Händel machen. Allein es ging alles ganz
ruhig her und ein Franzose ist ein verständiger Mensch, der immer seines
Zornes Meister bleibt und zufrieden, wenn er nur etwas an zornigen
Redensarten kann aufgehen lassen. Dies hängt auch mit dem Comö-
diantenwesen zusammen, das in diesem Volke, wie es scheint, von Ewigkeit
her gewohnt hat. Ich gehe deswegen hier auch gar nicht in's Theater.
Ueberall, wo man die Franzosen sieht, spielen sie Comödie, und man
kann, wenn man ein gutes Portativ-Theater bei sich hat, immer die nöthigen
Acteure finden, die man kann auftreten lassen, und ohne daß man es sich so
viel kosten läßt, wie in der Variete's, Boulevard des Ccipucins, welches das
Favorittheater der Commandantur ist. Die französische Comödie. kommt mir
wie eine Comödie in der zweiten Potenz vor, und ich sehe auch nicht, wie
ein Volk, bei dem keine Wahrheit mehr im Leben, zu einem Schau¬
spiel gelangen könnte. Wie wenig Wahrheit im Leben bei ihnen zu finden,
das sieht man an Davids dreien Horatiern, die der Künstler zu dreien fran¬
zösischen Comödianten gemacht, und David ist noch keiner der schlechtesten.

Obschon die Pferde nicht schwer sind, da jedes etwa 1800 Pfund wiegt,
so hatte das Abnehmen doch einige Schwierigkeiten, da kein Gerüst aufge¬
schlagen war. Die Engländer machten dieses mit einer bewunderungswür¬
digen Einfachheit und Leichtigkeit. Die Deichsel vom Wagen hatten sie ab¬
geschnitten, damit sie sie nicht hindere. Die obere Steindecke des Triumph¬
bogens, die etwa einen Fuß dick war, hatten sie der Kürze wegen ebenfalls
weggehauen, und die Pferde standen nun ganz los, da die bleiernen.Stränge,
mit denen sie angeschirrt, gleich abgeschnitten worden. Sie stellten nun über
das erste einen Dreifuß, in dem ein Flaschenzug hing, und zogen hiemit das
Pferd in die Höhe, Darauf schoben sie einen zweiten Flaschenzug mit einem
Balken über den Triumphbogen hinaus, und über diesen glitt nun das
Pferd vom Triumphwagen weg, ohne das Gesimse zu berühren, worin
eigentlich die Schwierigkeit der Aufgabe lag, weil kein Gerüste da war, was
höher als der Triumphbogen. Die Franzosen haben, als sie sie hinaufge¬
bracht, zu jedem Pferde acht Tage verwendet. Bei den englischen Pioniers
ging alles so ein wenig aus Schiffennanier; das Gestelle hing oben in Tauen,
daß es nicht umschlagen konnte, und es war angenehm zu sehen, mit welcher
Leichtigkeit sie den Oestreichern die Rößle auf ihre Feldwagen legten, welche
diese unt>r den Triumphbogen gefahren, und die dann damit davonfuhren. Die
Offiziere der Pionier-Compagnie waren in blauen Ueberröcken und in run-


Grcnzbotcn IV. 187". 29

schwärmen oder viel Honig bekommen. Besonders waren die Weiber, als
wenn sie besessen wären. Ich dachte, sie würden nicht mehr für sich einstehen
können, und wenn sie auch keinen Aufruhr im Großen anfingen, so würden
sie doch hier und da im Kleinen Händel machen. Allein es ging alles ganz
ruhig her und ein Franzose ist ein verständiger Mensch, der immer seines
Zornes Meister bleibt und zufrieden, wenn er nur etwas an zornigen
Redensarten kann aufgehen lassen. Dies hängt auch mit dem Comö-
diantenwesen zusammen, das in diesem Volke, wie es scheint, von Ewigkeit
her gewohnt hat. Ich gehe deswegen hier auch gar nicht in's Theater.
Ueberall, wo man die Franzosen sieht, spielen sie Comödie, und man
kann, wenn man ein gutes Portativ-Theater bei sich hat, immer die nöthigen
Acteure finden, die man kann auftreten lassen, und ohne daß man es sich so
viel kosten läßt, wie in der Variete's, Boulevard des Ccipucins, welches das
Favorittheater der Commandantur ist. Die französische Comödie. kommt mir
wie eine Comödie in der zweiten Potenz vor, und ich sehe auch nicht, wie
ein Volk, bei dem keine Wahrheit mehr im Leben, zu einem Schau¬
spiel gelangen könnte. Wie wenig Wahrheit im Leben bei ihnen zu finden,
das sieht man an Davids dreien Horatiern, die der Künstler zu dreien fran¬
zösischen Comödianten gemacht, und David ist noch keiner der schlechtesten.

Obschon die Pferde nicht schwer sind, da jedes etwa 1800 Pfund wiegt,
so hatte das Abnehmen doch einige Schwierigkeiten, da kein Gerüst aufge¬
schlagen war. Die Engländer machten dieses mit einer bewunderungswür¬
digen Einfachheit und Leichtigkeit. Die Deichsel vom Wagen hatten sie ab¬
geschnitten, damit sie sie nicht hindere. Die obere Steindecke des Triumph¬
bogens, die etwa einen Fuß dick war, hatten sie der Kürze wegen ebenfalls
weggehauen, und die Pferde standen nun ganz los, da die bleiernen.Stränge,
mit denen sie angeschirrt, gleich abgeschnitten worden. Sie stellten nun über
das erste einen Dreifuß, in dem ein Flaschenzug hing, und zogen hiemit das
Pferd in die Höhe, Darauf schoben sie einen zweiten Flaschenzug mit einem
Balken über den Triumphbogen hinaus, und über diesen glitt nun das
Pferd vom Triumphwagen weg, ohne das Gesimse zu berühren, worin
eigentlich die Schwierigkeit der Aufgabe lag, weil kein Gerüste da war, was
höher als der Triumphbogen. Die Franzosen haben, als sie sie hinaufge¬
bracht, zu jedem Pferde acht Tage verwendet. Bei den englischen Pioniers
ging alles so ein wenig aus Schiffennanier; das Gestelle hing oben in Tauen,
daß es nicht umschlagen konnte, und es war angenehm zu sehen, mit welcher
Leichtigkeit sie den Oestreichern die Rößle auf ihre Feldwagen legten, welche
diese unt>r den Triumphbogen gefahren, und die dann damit davonfuhren. Die
Offiziere der Pionier-Compagnie waren in blauen Ueberröcken und in run-


Grcnzbotcn IV. 187». 29
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[0233] schwärmen oder viel Honig bekommen. Besonders waren die Weiber, als wenn sie besessen wären. Ich dachte, sie würden nicht mehr für sich einstehen können, und wenn sie auch keinen Aufruhr im Großen anfingen, so würden sie doch hier und da im Kleinen Händel machen. Allein es ging alles ganz ruhig her und ein Franzose ist ein verständiger Mensch, der immer seines Zornes Meister bleibt und zufrieden, wenn er nur etwas an zornigen Redensarten kann aufgehen lassen. Dies hängt auch mit dem Comö- diantenwesen zusammen, das in diesem Volke, wie es scheint, von Ewigkeit her gewohnt hat. Ich gehe deswegen hier auch gar nicht in's Theater. Ueberall, wo man die Franzosen sieht, spielen sie Comödie, und man kann, wenn man ein gutes Portativ-Theater bei sich hat, immer die nöthigen Acteure finden, die man kann auftreten lassen, und ohne daß man es sich so viel kosten läßt, wie in der Variete's, Boulevard des Ccipucins, welches das Favorittheater der Commandantur ist. Die französische Comödie. kommt mir wie eine Comödie in der zweiten Potenz vor, und ich sehe auch nicht, wie ein Volk, bei dem keine Wahrheit mehr im Leben, zu einem Schau¬ spiel gelangen könnte. Wie wenig Wahrheit im Leben bei ihnen zu finden, das sieht man an Davids dreien Horatiern, die der Künstler zu dreien fran¬ zösischen Comödianten gemacht, und David ist noch keiner der schlechtesten. Obschon die Pferde nicht schwer sind, da jedes etwa 1800 Pfund wiegt, so hatte das Abnehmen doch einige Schwierigkeiten, da kein Gerüst aufge¬ schlagen war. Die Engländer machten dieses mit einer bewunderungswür¬ digen Einfachheit und Leichtigkeit. Die Deichsel vom Wagen hatten sie ab¬ geschnitten, damit sie sie nicht hindere. Die obere Steindecke des Triumph¬ bogens, die etwa einen Fuß dick war, hatten sie der Kürze wegen ebenfalls weggehauen, und die Pferde standen nun ganz los, da die bleiernen.Stränge, mit denen sie angeschirrt, gleich abgeschnitten worden. Sie stellten nun über das erste einen Dreifuß, in dem ein Flaschenzug hing, und zogen hiemit das Pferd in die Höhe, Darauf schoben sie einen zweiten Flaschenzug mit einem Balken über den Triumphbogen hinaus, und über diesen glitt nun das Pferd vom Triumphwagen weg, ohne das Gesimse zu berühren, worin eigentlich die Schwierigkeit der Aufgabe lag, weil kein Gerüste da war, was höher als der Triumphbogen. Die Franzosen haben, als sie sie hinaufge¬ bracht, zu jedem Pferde acht Tage verwendet. Bei den englischen Pioniers ging alles so ein wenig aus Schiffennanier; das Gestelle hing oben in Tauen, daß es nicht umschlagen konnte, und es war angenehm zu sehen, mit welcher Leichtigkeit sie den Oestreichern die Rößle auf ihre Feldwagen legten, welche diese unt>r den Triumphbogen gefahren, und die dann damit davonfuhren. Die Offiziere der Pionier-Compagnie waren in blauen Ueberröcken und in run- Grcnzbotcn IV. 187». 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/233>, abgerufen am 22.12.2024.