Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.reichliche Diäten). Die Versammlung discutirt und votirt die Gesetzentwürfe Außer dieser gesetzlich festgestellten Machtvollkommenheit nahm die Re¬ Man wird diesem ganzen System nicht das Verdienst absprechen können, reichliche Diäten). Die Versammlung discutirt und votirt die Gesetzentwürfe Außer dieser gesetzlich festgestellten Machtvollkommenheit nahm die Re¬ Man wird diesem ganzen System nicht das Verdienst absprechen können, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124920"/> <p xml:id="ID_647" prev="#ID_646"> reichliche Diäten). Die Versammlung discutirt und votirt die Gesetzentwürfe<lb/> und Steuern, sie hat nicht nur keine Initiative, sondern selbst Verbesserungs¬<lb/> anträge können nur in den Commissionen gestellt werden und werden im<lb/> Plenum nur zur Debatte zugelassen, wenn der Staatsrath sich vorher damit<lb/> einverstanden erklärt hat. Der Staatsrath vertheidigt die vorgelegten Gesetz¬<lb/> entwürfe vor dem Corps legislatif wie vor dem Senat. Ein hoher Gerichts¬<lb/> hof entscheidet ohne Berufung über alle Angriffe gegen das Staatsoberhaupt,<lb/> seine Familie und die innere oder äußere Sicherheit des Staates, nur der<lb/> Kaiser kann solche Fälle an dies Ausnahmetribunal verweisen. Diese Grund¬<lb/> züge der allgemeinen Verfassung wurden ergänzt durch entsprechende Abän¬<lb/> derungen der Localinstitutionen, die Zusammensetzung der Arrondissements-<lb/> räthe ward modificirt und der Regierung das Recht gegeben, die Präsidenten<lb/> und Secretäre derselben zu ernennen, desgleichen die Maires, die nicht einmal<lb/> Mitglieder der betreffenden Gemeinderäthe zu sein brauchten, die Gemeinde-<lb/> räthe von Paris und Lyon endlich wurden einfach von der Regierung ernannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_648"> Außer dieser gesetzlich festgestellten Machtvollkommenheit nahm die Re¬<lb/> gierung nun auch noch das Recht in Anspruch, das allgemeine Stimmrecht<lb/> vor Mißbrauch zu bewahren, indem sie dem Volke die Männer ihres Ver¬<lb/> trauens bezeichnete. Bei der Allmacht der Verwaltung, von deren gutem<lb/> Willen nicht einer unter hundert Bürgern unabhängig ist, waren die officiellen<lb/> Candidaturen, welche mit dem ganzen Druck der Bedrohungen und Beloh¬<lb/> nungen durchgeführt wurden, eine systematische und vollständige Korruption<lb/> des Wahlrechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_649" next="#ID_650"> Man wird diesem ganzen System nicht das Verdienst absprechen können,<lb/> daß es den Scheinconstitutionalismus in unübertrefflicher Weise organisirt<lb/> hat. Alle wirkliche Macht ist direct oder indirect in den Händen des Kaisers,<lb/> die großen Staatskörper dienen nur zur constitutionellen Dekoration, sie sind<lb/> fast durchgängig aus Statisten zusammengesetzt«, welche willig jeden Gesetzent¬<lb/> wurf sanctionirten. In 13 Jahren war die Dotation des Grafen Palikao<lb/> die einzige Maßregel, welche der gesetzgebende Körper verwarf, im Senat,<lb/> welcher der Hüter der öffentlichen und individuellen Freiheiten sein sollte,<lb/> stimmte nur der Marschall Mac Mahon gegen das Sicherheitsgesetz von 1868.<lb/> Auch die Gerechtigkeit wird man Napoleon III. widerfahren lassen müssen,<lb/> daß er während der 18 Jahre, die er regiert, niemals irgend einen wesent¬<lb/> lichen Punkt dieses Systems aufgegeben hat, welches er als das einzig rich¬<lb/> tige für sein Reich betrachtete. Alle Abänderungen der Verfassung, seien sie<lb/> freiwillig von ihm ausgegangen oder ihm, wie 1869, abgerungen, haben nur<lb/> unwesentliche Punkte berührt. Die 1859 bewilligte Adreßdebatte. die Wortminister<lb/> ließen die Machtvollkommenheit des Kaisers ebenso unangetastet wie das<lb/> senatus-Consult vom 8. Sept. 69. Der Schrecken, den die Wahlen von 1869</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
reichliche Diäten). Die Versammlung discutirt und votirt die Gesetzentwürfe
und Steuern, sie hat nicht nur keine Initiative, sondern selbst Verbesserungs¬
anträge können nur in den Commissionen gestellt werden und werden im
Plenum nur zur Debatte zugelassen, wenn der Staatsrath sich vorher damit
einverstanden erklärt hat. Der Staatsrath vertheidigt die vorgelegten Gesetz¬
entwürfe vor dem Corps legislatif wie vor dem Senat. Ein hoher Gerichts¬
hof entscheidet ohne Berufung über alle Angriffe gegen das Staatsoberhaupt,
seine Familie und die innere oder äußere Sicherheit des Staates, nur der
Kaiser kann solche Fälle an dies Ausnahmetribunal verweisen. Diese Grund¬
züge der allgemeinen Verfassung wurden ergänzt durch entsprechende Abän¬
derungen der Localinstitutionen, die Zusammensetzung der Arrondissements-
räthe ward modificirt und der Regierung das Recht gegeben, die Präsidenten
und Secretäre derselben zu ernennen, desgleichen die Maires, die nicht einmal
Mitglieder der betreffenden Gemeinderäthe zu sein brauchten, die Gemeinde-
räthe von Paris und Lyon endlich wurden einfach von der Regierung ernannt.
Außer dieser gesetzlich festgestellten Machtvollkommenheit nahm die Re¬
gierung nun auch noch das Recht in Anspruch, das allgemeine Stimmrecht
vor Mißbrauch zu bewahren, indem sie dem Volke die Männer ihres Ver¬
trauens bezeichnete. Bei der Allmacht der Verwaltung, von deren gutem
Willen nicht einer unter hundert Bürgern unabhängig ist, waren die officiellen
Candidaturen, welche mit dem ganzen Druck der Bedrohungen und Beloh¬
nungen durchgeführt wurden, eine systematische und vollständige Korruption
des Wahlrechts.
Man wird diesem ganzen System nicht das Verdienst absprechen können,
daß es den Scheinconstitutionalismus in unübertrefflicher Weise organisirt
hat. Alle wirkliche Macht ist direct oder indirect in den Händen des Kaisers,
die großen Staatskörper dienen nur zur constitutionellen Dekoration, sie sind
fast durchgängig aus Statisten zusammengesetzt«, welche willig jeden Gesetzent¬
wurf sanctionirten. In 13 Jahren war die Dotation des Grafen Palikao
die einzige Maßregel, welche der gesetzgebende Körper verwarf, im Senat,
welcher der Hüter der öffentlichen und individuellen Freiheiten sein sollte,
stimmte nur der Marschall Mac Mahon gegen das Sicherheitsgesetz von 1868.
Auch die Gerechtigkeit wird man Napoleon III. widerfahren lassen müssen,
daß er während der 18 Jahre, die er regiert, niemals irgend einen wesent¬
lichen Punkt dieses Systems aufgegeben hat, welches er als das einzig rich¬
tige für sein Reich betrachtete. Alle Abänderungen der Verfassung, seien sie
freiwillig von ihm ausgegangen oder ihm, wie 1869, abgerungen, haben nur
unwesentliche Punkte berührt. Die 1859 bewilligte Adreßdebatte. die Wortminister
ließen die Machtvollkommenheit des Kaisers ebenso unangetastet wie das
senatus-Consult vom 8. Sept. 69. Der Schrecken, den die Wahlen von 1869
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